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© Peters

Berliner Lichtspielhäuser: Ein Ort für alle Fälle

Von wegen Kinosterben: Das neue Zauberwort heißt Lounging. Kleiner Rundgang durch Berlins Lichtspielhäuser.

Willkommen, Bienvenue, Welcome: Ein Hauch von „Cabaret“ liegt in der Luft, von Großstadtnächten, Glamour, Sensation. Prickelnd wie der Begrüßungssekt, halbseiden wie der Theatervorhang, bunt leuchtend wie die Lichtspots, neugierig wie das Publikum, für die der Abend erkennbar ein Ereignis ist. Ein neues Kino für Berlin, in alter Hülle. Was bis Ende 2008 der Filmpalast am Kurfürstendamm war, nennt sich nun Astor-Film-Lounge und wirbt mit dem Slogan „Kino, wie man es sich wünscht“.

Eine gute Nachricht, angesichts des Kinosterbens der letzten Jahre, dem gerade am Kurfürstendamm Traditionshäuser wie Astor, Filmbühne Wien, Marmorhaus, Gloria, Hollywood und Royal Palast zum Opfer fielen. Das Berlinale Treiben, das die Ku’damm- Kinos für zwei Wochen im Jahr ins Zentrum rückte, findet längst am Potsdamer Platz statt. Da wirkt jede neue Initiative in der City West wie ein Hoffnungsstreif.

Hier entstand Berlins Mythos als Filmstadt.Ein Mythos, zu dem immer auch die Bedrohung gehörte. Schon in den Zwan zigern war vom ersten Kinosterben die Rede, als die frühen Ladenkinos prächtigen Filmpalästen weichen mussten. In den Sechzigern, nach den rauschhaften Nachkriegsjahren mit Starrummel auf dem Kurfürstendamm, schlug das Fern sehen ein und brachte den nächsten Besuchereinbruch. Die Kinos wählten aus Not die Vielfalt, verschachtelten sich immer mehr, um abwechslungsreicheres Programm bieten zu können, immer kleinere Säle. Und als in den Neunzigern die Multiplexe vielen dieser Schachtelkinos mit besserer Technik und mehr Komfort tödliche Konkurrenz machten, kam die DVD auf den Markt: Originaltonkino, technisch brillant, fürs perfekt ausgestattete Heimkino. Das Kino stirbt, solange es lebt.

Kino, wie man es sich wünscht, verspricht nun das neue Astor. Was wünschen wir uns? Was lockt uns ins Kino? Die Film-Lounge bietet: die „Grande Dame“ von Veuve Cliquot für 490 Euro, den „Krug Rosé“ für 590, eine halbe Flasche Barbaresco von Angelo Gaja für 120 Euro und dazu Minihäppchen, wahlweise Schweinefilet oder Fischvariationen, ziemlich wenig für 18 Euro. Bequeme, fast in Liegeposition ausfahrbare King- Size- Ledersessel mit großzügigem Fußraum und Beistelltischchen, Fußhocker gegen Aufpreis dazu. Servierdamen mit weißem Schürzchen, Kaffee und Kuchen nachmittags, Cocktails am Abend, weniger Werbung, das Vorprogramm begrenzt auf eine Viertelstunde und dann eine Lightshow, die den elegant geschwungenen 50er- Jahre - Raum in Rot, Grün, Gelb, Blau erstrahlen lässt. Die Technik ist, versteht sich, neuester Stand, Digital, 3-D, alles vorhanden.

Die Botschaft lautet: Luxus zieht. Doch Luxuskino gerade in Zeiten der Krise? Als Beginn einer neuen Ära hat Kinobetreiber Hans -Joachim Flebbe seine Strategie beschrieben, denkmalgeschützte Säle zu Lounges umzugestalten. Das neue Astor ist nur der Anfang. Die Multiplexe, mit denen Flebbe in den Neunzigern die Kinolandschaft umgekrempelt (und so manches Kino zum Sterben verurteilt) hatte, rentieren sich nicht mehr, Flebbe ist inzwischen als Vorstandschef aus der Cinemaxx-Gesellschaft ausgeschieden. Jetzt setzt er dafür auf Erlebniswerte: Kino als Lebenskunst. Und zumindest, was das Publikum angeht, scheint die Strategie in den ersten Wochen aufzugehen. Regelmäßig ausverkauft ist das Astor, zumindest am Abend, und das Publikum, zumeist Kategorie 60 plus, wäre sonst vielleicht nicht ins Kino gegangen. Erhöhte Eintrittspreise von 12,50 bis 15 Euro bilden offenbar keine Hürde.

Große Säle, kleine Säle, Luxus oder Funktionalität: Es scheint, als ob das Kino Wellenbewegungen folgt, oft konträr zu den wirtschaftlichen Entwicklungen. Ein Wechsel zwischen Glanz und Elend, großem Geschäft und drohendem Ruin – und eine gehörige Portion Talmi gehört stets dazu. Schon in seinen Kinderjahren, ab 1910, bricht in Berlin ein regelrechter Kinorausch aus, immer größer werden die Säle, immer aufwendiger Programm und Dekoration. Ladenkino, Kintopp, Budenkunst, das war einmal. Die staunenden Zeitgenossen berichten von Lichtorgeln und Samtsesseln, Stickereien und Marmorsäulen, Sensationen. Stars. Attraktionen. Parfüm wird in den Pausen im Zuschauerraum versprüht, um die abgestandene Luft aufzufrischen: Im Marmorhaus etwa erzeugt „Marguerite Carré“ einen Hauch von Paris. Der Ufa-Palast am Zoo leistet sich einen elektrischen Zeppelin, der zwischen den Vorführungen Sauerstoff in den Zuschauerraum transportiert.

Der Film, von Geburt her Jahrmarkts kind und Budenkunst, fühlt sich als Aschenputtel, das zur Prinzessin wird. Und das Publikum wächst mit den Sälen, zumindest in den Großstädten, vor allem der Filmmetropole Berlin. Ein Spektakel wird gesellschaftsfähig, eine neue Bürgerlichkeit definiert sich über die moderne Form. „Filmpaläste waren Metropolen oasen, wo sich bürgerliche Behaglichkeit mit einem zunächst noch exotisch- anrüchigen Vergnügen mischte. Das proletarische, billige Schaustellervergnügen etablierte sich in den Zentren der Städte, bediente sich mit seinem Ausstellungs accessoires proletarische Wunschträume und bürgerliche Erwartungshaltung und beider Sensationsgier“, schreiben Uta Berg-Ganschow und Wolfgang Jacobsen zur Ausstellung „Film – Stadt – Kino – Berlin“ der Stiftung Deutsche Kinemathek.

Kinos, ähnlich wie Bahnhöfe, sind die Kathedralen der Moderne, die Schlösser der Neuzeit. Mutter aller Großkinos ist dabei der 1913 von Oskar Kaufmann gestaltete Cines-Palast am Nollendorfplatz. Die Fassade bot Platz für beleuchtete Reklame, im Sommer ließ sich die Decke im Saal öffnen. Das Innere: ein expressionistischer Architektentraum, ein Fest der Farben und schwingenden Formen. „Die Grundstimmung des leicht bewegten, weich pathetischen Raums ist ein Elfenbeingelb, klingend, saugend. Dahinein strömt das Violett des Gefühls, das Violett der Vorhänge an der koketten Logenreihe des Ranggeschosses; die Buntheit einiger Schnitzstreifen geht wie ein Geflüster durch die Harmonie des weißvioletten Zweiklangs“, schwärmen Zeitgenossen.

Die meisten dieser Kinopaläste entstehen im neuen Zentrum West, zwischen Kurfürstendamm und Nollendorfplatz: der Mozartsaal (das spätere Metropol), das Marmorhaus, der Gloria-Palast im Romanischen Haus, das Hans Poelzig zugeschriebene Capitol und das heute der Schaubühne als Domizil dienende Universum. Das größte ist der Ufa-Palast am Zoo mit 2165 Sitzplätzen, einem 75 Mann starken Filmorchester, Hausballett und einem Programm, das nicht nur Film bietet, sondern auch Musik, Tanz, Varieté. Joseph Roth schreibt 1925 in der „Frankfurter Zeitung“: „Längst hatte ich schon die Gewohnheit abgelegt, in jeder Berliner Moschee ein mohammedanisches Gotteshaus zu sehen. Ich wusste, dass hierzulande die Moscheen Kinos sind und der Orient ein Film.“

Sensationslust kennt keine Klassen. Das Kino war von Anfang an beides: Starkult und Kleine -Leute Unterhaltung. Die Nobel-Filmpaläste auf dem Kurfürstendamm entstehen zeitgleich mit den anrüchigen Vorortkinos, die für einige Groschen billige Unterhaltung – und Wärme in kalten Zeiten – versprechen. Alfred Döblin hat in „Berlin Alexanderplatz“ so einen Laden in der Münzstraße beschrieben, Eintritt 60 Pfennige, an der Kasse streitet ein Kriegsversehrter mit der Kassiererin um billigen Eintritt. „Franz schob rin. Es war grade Pause. Der lange Raum war knüppeldick voll, 90 Prozent Männer in Mützen, die nehmen sie nicht ab. Drei Lampen an der Decke sind rot verhängt. Vorn ein gelbes Klavier, mit Paketen drauf. Das Orchestrion macht ununterbrochen Krach. Dann wird es finster und der Film läuft. Einem Gänsemädchen soll Bildung beigebracht werden, warum, wird einem so mitten drin nicht klar. Sie wischte sich die Nase mit der Hand, sie kratzte sich auf der Treppe den Hintern, alles im Kino lachte.“

Zwei Stunden Kinotraum für wenig Geld: ein unwiderstehliches Angebot im Berlin der Zwanziger Jahre, das Arbeits losen, um sie ruhig zu halten, oft Ermäßigung beim Kinoeintritt gewährte. Doch bald übernehmen die großen Produktionsfirmen, entstehen auch in den bevölkerungsreichen Vorstädten von Prenzlauer Berg und Wedding, Steglitz oder Neukölln Paläste mit über 1000 Sitzplätzen. Der Geschmack des Publikums ist verschieden. „Der Titania-Palast zum Beispiel liegt in Steglitz. Steglitz ist ein Viertel der pensionierten und noch nicht pensionierten Beamten. Hier wird ,Fridericus Rex‘ mit demonstrativem Beifall begrüßt. In Neukölln, in der Hasenheide, begleitet ihn ein scharfes Pfeifkonzert“, heißt es1929 in der „Frankfurter Zeitung“.

Das Grelle und das Gute, das Laute und das Feine: Beides gehört seit Anbeginn zum Film. Die derben Witze einer frühen Lubitsch-Komödie und die Eleganz, der Ufa-Starkult und die Proletarierfilme wie „Kuhle Wampe“ oder „Menschen am Sonntag“. In einer Stadt wie Berlin liegt dazwischen oft nur eine U-Bahn-Fahrt von wenigen Stationen. Die Spannweite hat 1927 Leo Hirsch im „Berliner Tageblatt“ beschrieben: „Es gibt zwei Gattungen von Kinos in Berlin, die zahmen und die wilden. (...) Die zahmen Kinos rühmen sich größtenteils, Uraufführungs anstalten zu sein. Die wilden sind nur Erstaufführungshäuschen und spielen alle Filme, zu denen der Geschmack ihrer Inhaber oder der Ukas der Verleiher sie verurteilen. Die zahmen liegen zumeist zwischen Halensee und dem Potsdamer Platz, sie nennen sich gern Lichtspielhäuser, und wahrhaftig haben sie viel Licht außen und innen. Die wilden heißen schlechthin Kinos, legen großen Wert auf vielerlei Spiel, und anstatt des Lichts strahlen sie von der Grelle ihrer Plakate.“

Warum gehen wir ins Kino? In welches Kino gehen wir gern? Was lockt uns an? Die ewigen Fragen aller Kinobetreiber. Der Spagat zwischen Kommerz und Kunst ist so alt wie das Kino selbst, und auch die Sorge um Publikum und sterbende Säle trieb die Produzenten in den Zwanzigern genauso um wie die Schachtelkinobesitzer der Sechziger und die Multiplex-Inhaber der Neunziger. Bequemlichkeit ist nicht immer das Auswahlkriterium. Als ab Dezember 1953 der amerikanische Blockbuster „Vom Winde verweht“ drei Jahre lang, insgesamt 2395-mal vor ausverkauften Sälen exklusiv in der Kurbel in der Giesebrechtstraße läuft, war Sitzkomfort im nachkriegsarmen Berlin nicht entscheidend. Der Tagesspiegel schrieb 1956, zur letzten Vorstellung: „Nun sitzt man nicht ungestraft vier Stunden hintereinander auf einem Kinoklappstuhl, auch wenn er gepolstert ist und es dazwischen eine Bockwurstpause gibt. Kluge Zuschauer brachten sich darum gleich ein Luftkissen mit. Als die erste Besucherin, unbekümmert um die spöttischen Blicke ihrer neidischen Umgebung, im Foyer ihr Privatpolster aufzublasen begann, erntete sie damit stürmischen Beifall. Das Beispiel machte Schule. Wer mit Sitzkissen unter dem Arm die Giesebrechtstraße entlangkam, wollte zu Scarlett O’Hara und Rhett Butler.“

Exklusive Vorführrechte für einzelne Häuser sind heute selten, höchstens für Filmpremieren, wie sie für den deutschen Film oft im International, für Hollywood eher im Cinestar am Potsdamer Platz stattfinden. Doch immer wieder versuchten Kinobesitzer, neues Publikum zu werben.  Die Berliner Grenzkinos gewährten Ost-Berlinern Ermäßigung und Eintritt gegen Ost-Mark – und verschwanden mit dem Mauerbau. Auch die „Türkenkinos“ oder die Besetzerkinos der Siebziger sind inzwischen Kinogeschichte. Heute setzen die Kinos auf Spartenprogramme: In Prenzlauer Berg gab es zeitweilig ein Kino, das ausschließlich Dokumentarfilme spielte, das Kino Krokodil zeigt nur russische Filme, und Filmkunsthäuser wie das Babylon Mitte und das Filmkunst 66 werben mit eigenen Festivals, die Filme aus Venedig, Cannes oder anderen Festivals ins Kino bringen.

Filmkunst statt Kommerz: Davon lebten die Programmkinos, die in Berlin seit den Siebzigern jahrzehntelang die Grundversorgung für Filmenthusiasten geliefert haben. Manche wie das Klick oder der Notausgang haben den Sprung ins 21. Jahrhundert nicht geschafft haben. Bequemlichkeit, Technik ist hier nicht so sehr das Thema, oft sind es klassische Schlauchkinos, und die Sichtverhältnisse nicht die besten. Aber das Programm, Filmkunst statt Popcornkino und Blockbustern, fand über Jahre sein treues Publikum. Bis die Multiplexe und Großkinos begannen, in ihren kleineren Sälen eben auch Independentfilme, Originalversionen und europäisches Kino zu spielen. Hier entstand Konkurrenz auf höchstem technischen Standard, denen die Programmkinos oft nicht gewachsen waren.

Mit Modernisierung allein wird hier nicht zu helfen sein. Das Astor mit seiner Luxusgastronomie plus Sitzkomfort ist ein Versuch. Flebbe ist nicht der Erste: Volker Schlöndorff, schon aus eigenem Interesse besorgt um die Zukunft der Filmkunst-Abspielplätze, erntete vor einiger Zeit noch Spott, als er sich ein Gesamtangebot aus Gastronomie, Buchhandlung, Café und Kino erträumte.

Vielleicht ist Diversifizierung tatsächlich ein Weg in die Zukunft. Es gibt tatsächlich ein nicht unbeträchtliches Publikum, das ungern ins Multiplex und daher selten ins Kino geht, ein Publikum, das weder Riesenleinwand noch Dolby Surround braucht und bestimmt nicht das Kino als Massenerlebnis. In Zeiten, da jüngere Kinobesucher verstärkt auf DVD umsteigen, wird dieses Segment wichtiger. Kleinere, gut ausgestattete, atmosphärisch und architektonisch besondere Kinos für besondere Filme, gern auch ein Zusatzangebot aus Lesungen, Regisseurgesprächen, Publikumsgesprächen: Damit müsste ein Publikum zu werben sein, das Kino eher als Kulturerlebnis denn als Unterhaltung sieht. Man gehe nur ins Delphi, wenn dort Filme wie „Novemberkind“ oder „Im Winter ein Jahr“ laufen – schon Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“ oder Philip Grönings „Die große Stille“ wurden hier zum Überraschungshit. Das Glück, am richtigen Ort zu sein, im richtigen Film, im richtigen Leben: Hier kann man es finden. Spektakel war gestern. Die Kunst kann kommen.

Christina Tilmann

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