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© Foto. dpa

Evolution und Sprache: Noch vor dem ersten Wort

Haben Affen eine Sprache? Das fragen sich Forscher seit mehr als 100 Jahren. Die Lösung ist nahe.

Im September 1892 schiffte sich der Naturforscher und Abenteurer Richard Garner aus den USA in Richtung Westafrika ein, um in den Urwäldern Gabuns die Kommunikation von Affen in freier Wildbahn zu studieren. Garner war überzeugt, dass nicht nur der Mensch mit Sprache begabt sei, sondern diese Fähigkeit zumindest in rudimentärer Form mit anderen Tieren teilt. Zudem hatte Garner ein Faible für technische Entwicklungen: So lieh er sich einen der ersten Phonographen aus, um im Zoo von Brooklyn Aufnahmen der Schreie und Grunzer der dort hausenden Affen zu machen. Mehr noch, er spielte sie den Affen anschließend wieder vor, um aus ihren Reaktionen etwas über ihre Bedeutung zu erfahren.

Abenteuerlust und eine gewisse Begeisterung für technische Geräte – das sind nach wie vor wichtige Voraussetzungen, wenn man die Kommunikation von Affen in freier Wildbahn untersuchen will. Denn im Prinzip hat sich seit den Tagen von Garner nicht viel verändert: Heute laufen wir zwar mit digitalen Aufnahmegeräten durch Regenwald oder Savanne, verwenden hochempfindliche Richtmikrophone und unterziehen die Lautmuster computergestützten akustischen Analysen. In manchen Fällen schleppen wir sogar robuste Lautsprecher durch die Wildnis, hieven diese in das Kronendach der Bäume oder verstecken sie im dichten Gebüsch. Mit Videokameras zeichnen wir dann die Reaktionen der Affen auf das Vorspiel der Laute auf und klassifizieren diese später auf der Basis von Einzelbildanalysen. Doch im Grunde wollen wir immer noch auf die gleiche Frage hinaus, die auch Garner umtrieb: Was bedeuten die Laute der Affen? Lässt sich die Lautgebung unserer nächsten Verwandten mit der menschlichen Sprache vergleichen? Wie ist Sprache während der Evolution entstanden?

Unterschiedliche Alarmrufe fürdie verschiedenen Feinde

„Sprache“ ist jedoch kein Merkmal, dessen An- oder Abwesenheit wir so einfach festlegen könnten, wie es zum Beispiel bei Federn möglich ist. Sprache lässt sich als ein Symbolsystem begreifen, dessen Elemente (zum Beispiel Wörter) regelhaft (durch Syntax oder Grammatik) zu neuen bedeutungsvollen Einheiten (wie Sätzen) zusammengesetzt werden können. Nun ist offensichtlich, dass keines der uns bekannten Tiere in einer Weise kommuniziert, die unserer eigenen Sprache entspricht. Aber vielleicht lassen sich einfachere Formen finden, die zumindest einige der basalen Kriterien erfüllen?

Einen ersten Hinweis, dass Affenlaute vielleicht mehr sind als nur ein „Ausdruck der Gemütsbewegungen“ (um den Titel eines Darwin-Werkes zu zitieren), ergab eine Studie der Alarmrufe von Grünen Meerkatzen im Amboseli Nationalpark in Kenia. Grüne Meerkatzen sind etwa katzengroße Tiere, die von Leoparden ebenso gejagt werden wie von Raubvögeln. Zudem stehen sie auf dem Speiseplan von Schlangen. Den verschiedenen Jagdstrategien ihrer Raubfeinde setzen die Affen verschiedene Fluchtstrategien entgegen: So klettern sie beim Anblick eines Leoparden in die äußersten Zweige eines Baumes, wohin der Jäger sie nicht verfolgen kann. Andererseits ist dies kein guter Aufenthaltsort, wenn ein Kronenadler am Himmel kreist: Hier empfiehlt es sich, schleunigst aus dem Baum zu klettern und sich im Gebüsch zu verstecken. Besonders bemerkenswert ist, dass die Affen auch unterschiedliche Alarmrufe als Reaktion auf die verschiedenen Raubfeinde äußern. Mehr noch: Allein das Vorspiel der Laute reicht aus, um die adäquaten Reaktionen auszulösen. Waren diese Laute „Wörter“? Oder zumindest rudimentäre Symbole?

Die Fähigkeit scheint angeboren zu sein

Die Publikation der entsprechenden Studie, die 1980 in der Fachzeitschrift Science erschien, rief zunächst großes mediales Interesse hervor. Doch je genauer man sich die Sache ansah, desto klarer wurde, dass die Alarmrufe der Affen wenig mit Sprache gemein haben: Zum einen ist die Struktur der Laute angeboren und die Tiere können sie auch nicht willentlich beeinflussen. Alle Grünen Meerkatzen in Afrika haben also mehr oder weniger die gleichen Alarmrufe, und sie wären auch nicht in der Lage, die Rufe von anderen zu imitieren. Zum anderen beziehen sich die gleichen Laute überall auf mehr oder weniger die gleichen Kategorien: also „Leoparden-Alarmrufe“ auf große Landräuber, „Adler-Alarmrufe“ auf Luftfeinde. Was die Tiere allerdings lernen, ist zu unterscheiden, welche Vögel wirklich eine Gefahr darstellen. So kann man beobachten, dass Jungtiere auf alles Mögliche, was von oben kommt, einschließlich eines fallenden Blattes, einen „Adler-Alarmruf“ von sich geben, später im Leben aber nur noch, wenn es sich wirklich um einen gefährlichen Raubvogel handelt.

Die größten Veränderungen in der Entwicklung aber zeigen sich bei den Reaktionen der Zuhörer. Die Tiere müssen individuell lernen, dass ein spezifischer Alarmruf das Erscheinen eines bestimmten Raubfeindes nach sich zieht. Sie können dann die Laute der anderen nutzen, um anzukündigen, was als nächstes passiert. Die Lernfähigkeit ist ganz erstaunlich und nicht nur auf die Laute von Artgenossen beschränkt. So achten Affen auf die Alarmrufe anderer Affenarten ebenso wie auf die von Vögeln oder Antilopen. Wer einmal die Gelegenheit erhält, über einen längeren Zeitraum mit Tieren in der Wildnis unterwegs zu sein, wird dies nicht überraschend finden: Es zahlt sich für jede Art aus, Hinweise auf Futter oder Raubfeinde ernst zu nehmen. Das gilt auch für Affenforscher, denen die Alarmrufe der Tiere bedeuten, dass möglicherweise gleich ein Löwe auftaucht.

So spektakulär die Geschichte mit den Alarmrufen der Grünen Meerkatzen also zunächst schien, so war sie doch auch schnell wieder entzaubert. Weder Grüne Meerkatzen noch Schimpansen oder andere Affen verwenden lautliche oder gestische Symbole. Stattdessen scheinen die Rufe weitgehend angeboren zu sein. Raffiniert wird die Kommunikation vor allem dadurch, dass die Tiere ausgesprochen intelligent sind, wenn es um die Interpretation von Lauten geht. Die Beschränkung in der Lautproduktion ist dabei nicht einzig die Folge anatomischer Unterschiede. Es ist zwar richtig, dass Menschen im Gegensatz zu Affen einen abgesenkten Kehlkopf haben, der ihnen die hohe Beweglichkeit der Zunge und damit eine rasche Artikulation ermöglicht. Aber das allein erklärt das Fehlen einer Symbolsprache nicht. Bemerkenswert ist auch, dass einzelne Menschenaffen durch geduldiges Training dazu gebracht werden können, Symbolplättchen oder Gebärden zu verwenden, um mit dem Menschen zu interagieren. Doch bislang fehlt jede Evidenz dafür, dass die Tiere in der Wildnis symbolisch kommunizieren. Auch bezüglich ihrer syntaktischen Fähigkeiten sind die Affen eher eingeschränkt: Manche Affenarten geben zwar Rufserien von sich, die nicht völlig zufällig sind. Sie folgen aber keinen klaren Regeln. Vielmehr treten bestimmte Laute – je nach Situation – eher am Anfang oder am Ende einer Sequenz auf.

Die Kontinuität in der Evolution zeigt sich vielmehr im Nonverbalen

Stehen wir also nun mit leeren Händen da? Was die Ursprünge der menschlichen Sprache angeht – vielleicht. Die Kommunikation der Affen zeigt kaum Gemeinsamkeiten mit den verbalen Aspekten der menschlichen Sprache. Die Kontinuität in der Evolution zeigt sich vielmehr im Nonverbalen, da sich gemeinsame Prinzipien im Ausdruck von Erregung und Gefühl finden lassen. Selbst wenn uns die Suche nach dem Ursprung der Sprache vielleicht nie zum Ziel führen wird, so gewinnen wir auf dem Weg doch viele wertvolle Erkenntnisse.

Zum Beispiel verstehen wir nun, wie man mit einem limitierten Satz von angeborenen Lauten ein effektives Kommunikationssystem erzeugen kann. Wir wissen auch, dass die Limitationen hinsichtlich der Sprachfähigkeit eher beim „Sender“ zu suchen sind als beim „Empfänger“, denn anscheinend verfügen Affen über die Fähigkeit, Lauten Bedeutung zuzuweisen, oder auch feinste Unterschiede in Lautmustern wahrzunehmen. Ein heißes Thema sind daher zurzeit die genetischen Grundlagen der Sprachfähigkeit. Wenn wir diese besser verstehen, dann kommen wir vielleicht der Frage auf die Spur, was sich im Laufe der Evolution getan hat, bevor das erste Wort gesprochen wurde.

- Die Autorin ist Professorin für Kognitive Ethologie an der Georg-August-Universität Göttingen und forscht am Deutschen Primatenzentrum. Seit 2007 ist sie Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften .

Julia Fischer

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