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Politik: Gesten von Macht und Ohnmacht

EUROPA UND DER IRAK

Von Albrecht Meier

Es war am frühen Morgen im Jahr 1980, ein Mittwoch, wie sich Margaret Thatcher in ihren Memoiren erinnert. Damals erfuhr die Eiserne Lady vom Wahlsieg Ronald Reagans in den USA und setzte eilig ein Glückwunsch-Telegramm auf. Es folgte die bislang innigste Phase in der amerikanisch-britischen Sonderbeziehung, der special relationship. Diese enge Beziehung hat seither vieles überdauert: das Ende des Kalten Krieges, die Globalisierung und die Einführung des Euro. Wer sich fragt, warum der britische Premierminister Tony Blair heute ohne Wimpernzucken Bushs harten Kurs gegen den Irak mitträgt, findet in der Geschichte die Antwort. Europa hin, Vereinte Nationen her: Die engen Beziehungen zu den USA bleiben für Großbritannien immer noch der sicherste Garant für weltpolitischen Einfluss.

Während die europäischen Verbündeten bei der Lösung der Irak-Krise mehr oder weniger auf die Diplomatie setzen, hat sich Blair gemeinsam mit Bush bereits klar festgelegt. Großbritannien droht nicht nur mit militärischer Gewalt gegen den Irak, sondern würde sie auch einsetzen. Wie kein anderes Land in Europa kann Großbritannien den Schock nachvollziehen, den der 11. September in den USA ausgelöst hat. Deshalb tritt Blair in diesen Tagen auch als Grenzgänger zwischen zwei Welten auf: Auf Bush will er mäßigend einwirken, den Europäern dagegen die von Saddam Hussein ausgehende Gefahr erklären.

In solchen kritischen Momenten hat Blair stets auf die Kraft seiner Argumente vertraut. Zunächst überzeugte er die Labour-Partei vom Abschied von sozialistischem Gedankengut, dann vom Prinzip der individuellen Verantwortung und schließlich vom Dritten Weg zwischen Staat und Marktwirtschaft. Blair hat mit britischen Tornados irakische Stellungen bombardieren lassen und seine Soldaten ins Kosovo und nach Afghanistan geschickt. Die Belastungsprobe, die ihm angesichts eines bevorstehenden Irak-Einsatzes droht, ist aber selbst für Blairs Verhältnisse enorm. Beim Labour-Parteitag in Blackpool sprachen sich in dieser Woche immerhin 40 Prozent der Delegierten gegen Blairs Irak-Kurs aus. Schon jetzt hat die anhaltende Beschäftigung des britischen Premiers mit der Irak-Krise eine unmittelbare Folge: Der Euro-Beitritt ist auf Blairs Agenda weit nach hinten gerutscht.

So könnte es am Ende Blair und nicht Schröder sein, für den die Irak-Krise zur innenpolitischen Zerreißprobe wird. Der Kanzler hat dagegen Ruhe an der Irak-Front und kann sich dem Start in seine zweite Amtsperiode widmen. Das Irak-Problem wird dadurch nicht kleiner. Im Gegenteil: Nach der Einigung zwischen den Vereinten Nationen und Bagdad über eine Zulassung der UN-Waffeninspekteure sind nun die Ständigen Vertreter im UN-Sicherheitsrat – die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China – unter einen Zwang zur Einigung gesetzt. Das Treffen des Kanzlers mit Frankreichs Präsident Chirac hat deutlich gemacht, wie weit Schröders striktes „Nein“ zu einem Irak-Einsatz von dieser real existierenden Kriegsverhinderungs-Diplomatie der Vereinten Nationen entfernt ist. Schröder kann auch nicht darauf hoffen, dass der „deutsche Weg“ in Europa eigene Strahlkraft entwickelt. Selbst die Franzosen rätseln bereits, ob Berlin künftig zum Bannerträger des Anti-Amerikanismus in Europa werden will.

Damals, als Margaret Thatcher ihrem Freund Ronald Reagan zum Wahlsieg gratulierte, gab es auch einen Sozialdemokraten im Kanzleramt. Helmut Schmidt stand nicht nur seiner britischen Amtskollegin im Falkland-Krieg moralisch bei, sondern setzte auch im eigenen Land die Nachrüstung gegen sowjetische Mittelstreckenraketen durch. Der Preis für diese außenpolitische Geradlinigkeit war bekanntlich Schmidts Entfremdung von der eigenen Partei. In der Außenpolitik gibt Schröder heute gewissermaßen den Anti-Schmidt. So berechtigt seine Warnung vor den Folgen eines Irak-Krieges ist, so schwer nachvollziehbar ist für Deutschlands Verbündete Berlins strikte Weigerung, die Vereinten Nationen in der Irak-Frage als letzte Instanz anzuerkennen. Schröder muss etwas ganz anderes befürchten als Helmut Schmidt zu seiner Zeit: die Entfremdung von seinen wichtigsten Partnern in der EU.

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