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Politik: Geteilte Stadt

In Dresden darf auf der einen Seite der Elbe gewählt werden, auf der anderen nicht

Die Elbe ist die Grenze. Am einen Ufer, dort, wo die Neustadt liegt, sind die Dresdner an diesem Sonntag zur Wahl gegangen. In strahlender Spätsommersonne sind sie zu den Schulen gelaufen und haben zwischen den Pappwänden der Wahlkabinen ihr Kreuzchen gemacht. Am anderen Ufer, dort, wo sich die Touristenmassen durch die Altstadt schieben, die Frauenkirche bestaunen und die Semperoper, haben 219400 Wahlberechtigte noch zwei Wochen Zeit, bis sie ihre Stimme abgeben können.

„Wir dürfen noch nicht“, sagt Carola Lämmel. Und klingt gar nicht glücklich dabei. Sie und ihr Mann wohnen im Wahlkreis 160. Dem Wahlkreis, der vor etwa zwei Wochen durch den Tod der NPD- Direktkandidatin Kerstin Lorenz berühmt und, so spekulieren Politstrategen, vielleicht sogar wahlentscheidend geworden ist. Weil die Fristen zur Aufstellung eines neuen Direktkandidaten der NPD bereits abgelaufen waren, wurde die Abstimmung im Wahlkreis Dresden I um zwei Wochen verschoben. Hat also weder eine Koalition aus Union und FDP noch Rot- Grün eine klare Mehrheit, könnten die Stimmen aus Dresden entscheidend sein.

Die meisten Dresdner aber können sich nicht vorstellen, dass ihre Entscheidung so viel ausmachen wird. Carola Lämmel, die mit dem CDU-Direktkandidaten in Dresden I, Andreas Lämmel, nur den Nachnamen teilt, sieht auch keinen Vorteil, weil sie am 2. Oktober das Wahlergebnis schon kennt. Im Gegenteil, sie fühlt sich ausgeschlossen, sagt sie. Und schaut ein wenig bekümmert ihrer Tochter hinterher, die gerade im Tor der Dresdner Grundschule acht verschwindet. Sie darf wählen. Sie wohnt im Wahlkreis 161.

Einer jungen Frau, die im Hilton nahe der Frauenkirche an der Rezeption steht, geht es ähnlich wie Carola Lämmel. Auch sie wäre lieber am 18. September wählen gegangen. Denn, fragt sie sich, gibt überhaupt noch jemand in zwei Wochen seine Stimme ab, wenn das Ergebnis feststeht? Eben diese Frage das treibt auch die Parteien um. Unabhängig vom Ergebnis, „wir müssen in den kommenden zwei Wochen noch mal ganz stark mobilisieren, damit die Leute wählen gehen“, sagt Marlies Volkmer. Die SPD-Direktkandidatin in Dresden I sitzt seit 2002 im Bundestag und zieht mit Platz zwei auf der sächsischen Landesliste wohl sicher ins Parlament ein. Doch auch wenn sie selbst es nicht nötig hat und in Umfragen bei den Direktkandidaten im Wahlkreis nur auf Platz drei liegt – wer weiß, wie wichtig das Ergebnis noch für ihre Partei sein wird. Der CDU-Mann Andreas Lämmel dagegen kann nicht anders. Er muss kämpfen. Zwar sahen ihn Umfragen in der vergangenen Woche mit 35 Prozent der Stimmen als Gewinner des Direktmandats. Zieht die Kandidatin der Linkspartei/PDS, Katja Kipping, aber an ihm vorbei, war es das mit den Bundestagsplänen. Lämmel ist nicht über die Landesliste abgesichert. Er hat deshalb auch mit am heftigsten gegen die Verschiebung der Wahl protestiert, und unter anderem gefordert, das Wahlergebnis doch bis zum 2. Oktober unter Verschluss zu halten. Man „werde jetzt abwarten und dann Sonntagabend entscheiden“, wie weiter zu verfahren ist, sagt er. Klar sei bereits, dass Angela Merkel am 23. September kommen wird – da wollte die Parteichefin ohnehin zur CDU-Mittelstandsvereinigung nach Dresden.

„Das wird noch mal die ganz große Materialschlacht, wenn wir kein klares Ergebnis haben“; ist sich auch Katja Kipping sicher. Die stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende ist mit 27 Jahren deutlich jünger als ihre beiden Hauptkonkurrenten um das Direktmandat. Zwei Stunden bevor die Wahllokale schließen, gibt sie noch Interviews, die Strategie für die kommenden zwei Wochen steht zum größten Teil. Neue Plakate sind vorbereitet, auf denen nun auch mit ihrem Gesicht geworben wird, Oskar Lafontaine oder Gregor Gysi werden in den nächsten Tagen kommen. Und eine Kampagne gegen Rechte wird vorbereitet.

Zwar hätte Kerstin Lorenz nie das Mandat im Wahlkreis 160 gewonnen, ebenso wenig der jetzt an ihrer Stelle für die NPD kandidierende frühere Republikaner-Chef Franz Schönhuber. Aber, und das ist vielen Dresdnern sehr unangenehm, wieder einmal richtet sich das Interesse auf die Stadt – wegen der Extremisten. Das treibt auch den Wahlhelfer Eckerhard Bodenstein um. Der ältere Herr arbeitet bei der Stadtverwaltung. Er hat viel mit Freunden über die verschobene Wahl diskutiert und ist zu dem Schluss gekommen: Die meisten werden am 2. Oktober die Partei wählen, die sie auch am 18. Oktober gewählt hätten. Doch vor diesem Montag graut ihm schon. Dann findet die Trauerfeier für Kerstin Lorenz statt. Mehr als 1000 Rechte werden erwartet.

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