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Politik: Glaubenskrieg um einen Flugzeugabsturz

Ein Jahr nach dem Unglück der polnischen Präsidentenmaschine herrscht Zwietracht zwischen Regierung und Opposition

Unüberschaubar ist das Angebot der Gedenkschriften, Bildbände und Sonderbeilagen zum Absturz der polnischen Präsidentenmaschine bei Smolensk. An diesem Sonntag ist der erste Jahrestag der Flugzeugkatastrophe in Westrussland, unweit der Wälder von Katyn. Tausende von Trauergottesdiensten sind vorbereitet, Ansprachen, Trauermärsche und Kranzniederlegungen. War das ganze Land vor Jahresfrist in der Trauer um das Präsidentenpaar Lech und Maria Kaczynski sowie die 94 weiteren Verunglückten vereint, so werden Regierung und Opposition nun dem Unglück getrennt gedenken.

Nach wie vor herrscht Unklarheit über die Absturzursache, was Verschwörungstheorien Tür und Tor öffnet. Erst vor einer Woche hat die Warschauer Militärstaatsanwaltschaft die Publikation ihres Abschlussberichts um weitere sechs Monate verschoben. Zuerst sollten die Polen spätestens zum ersten Jahrestag Klarheit über die Unglücksursache erhalten. Nun soll die ganze Wahrheit zwei Wochen vor den Parlamentswahlen auf den Tisch. Manche gehen davon aus, dass bis dann die heute noch unverständlichen Stimmen im Cockpit alle entschlüsselt sind. Deren Veröffentlichung könnte der angeschlagenen liberalen Regierung unter Donald Tusk die Wiederwahl erleichtern – etwa wenn sich direkter Druck des Präsidenten Kaczynski auf die Piloten zur Landung im dichten Nebel nachweisen ließe. Noch allerdings befinden sich die Aufzeichnungen in Russland, und Moskau macht keine Anstalten, die Beweisstücke rasch nach Polen zu überstellen. Auch das Flugzeugwrack wurde nicht zurückgegeben.

Dies erleichtert der Opposition um Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw die Hypothese, die von einem Attentat auf die Präsidentenmaschine ausgeht. Zwar hat die Militärstaatsanwaltschaft das Anfang April definitiv ausgeschlossen und die genauere Prüfung der Flugplanung unter anderem im Präsidentenpalast angeordnet. „Voreilig und unverständlich“, wie Jaroslaw Kaczynskis Anwalt sogleich kritisierte. Zudem soll bis Mitte Oktober die Möglichkeit eines technischen Defekts sowie die Bodenkontrolle des Flugs sowohl in Polen wie in Russland untersucht werden. Bisherige Abklärungen in Warschau und Moskau gingen von einem Pilotenfehler als Hauptunfallursache aus. Ungeklärt ist bisher der Einfluss eines angetrunkenen Luftwaffengenerals im Cockpit sowie weitere mögliche Druckversuche auf die Mannschaft, die Landung zu wagen.

Dennoch nutzen Jaroslaw Kaczynski und seine Anhänger jede Gelegenheit, um zu sagen, was sie von Smolensk halten: Dass Tusk Blut an den Händen habe, dass die Regierung sich mit dem Kreml gegen den Präsidenten Kaczynski verschworen habe. Vergessen wird dabei, dass am 10. April 2010 mit dem Präsidenten fast hundert weitere Passagiere verschiedener politischer Überzeugung in den Tod geflogen sind.

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