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Politik: Grenzenlos sozial

EU-Kommission sucht mit Arbeitnehmervertretern aus ganz Europa nach gemeinsamen Standards

Egal ob Dienstleistungsrichtlinie, Höchstarbeitszeit oder Importquoten für chinesische Textilien: Die 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind sich nur in den seltensten Fällen einig – vor allem wenn es um soziale Fragen geht. Sehr oft zieht sich der Graben dabei entlang des Ärmelkanals zwischen Frankreich und Großbritannien. Während die Briten eine liberale Wirtschaftspolitik mit möglichst wenig Belastung für die Unternehmen fordern, verteidigen die Franzosen mit aller Macht ihr umfassendes Sozialsystem.

Tatsächlich rechnet auch EU-Kommissar Vladimir Spidla, der für soziale Fragen verantwortlich ist, nicht mit „Harmonie“ zwischen den Mitgliedstaaten. Er ist aber überzeugt, dass es ein „gemeinsames Sozialkonzept“ gibt, das von allen 25 Regierungen mitgetragen wird. Das sagte der tschechische Kommissar am Donnerstag bei einer Konferenz in Brüssel, dem so genannten „Sozialen Dialog“.

Gemeinsam mit seinem Präsidenten José Manuel Barroso traf Spidla Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbänden aus ganz Europa, um gemeinsam nach Lösungen für die aktuellen Probleme wie Arbeitslosigkeit und Überalterung der Gesellschaft zu suchen. „Ich spüre einen starken Willen auf allen Seiten, gemeinsam ein Signal zu geben“, sagte Spidla. Die Konferenz gilt als Vorbereitung für das informelle Treffen der Sozialminister Ende Oktober in London.

„Natürlich gibt es Unterschiede, aber die sind nicht so krass, wie wir immer meinen“, sagte Spidla. Als Beispiel führte er die Ausgaben von Belgien und Großbritannien für die sozialen Sicherungssysteme an: Die Belgier geben dafür 27,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aus. Auf der Insel sind es nur 0,3 Prozent weniger. „Die Ziele sind die gleichen. Alle Regierungen wollen eine sozialverträgliche Gesellschaftsordnung ohne Ghettos. Nur die Wege dorthin sind verschieden.“

Als wichtigstes Ziel nannte Spidla die Vollbeschäftigung. Für jeden Arbeitslosen sei diese Situation unerträglich, deshalb sei schon ein Prozent Arbeitslosigkeit zu viel. Dies, so Spidla, sei auch Konsens unter den Regierungen.

Kommissionspräsident José Manuel Barroso unterstrich, dass es nicht nur darum gehe, neue Jobs, sondern vor allem „bessere Jobs“ zu schaffen. Niemand habe ein Interesse daran, mit den Arbeiterlöhnen in China von 80 Euro im Monat zu konkurrieren.

Die EU-Kommission versucht, mit dieser Konferenz ihren Beitrag zum sozialen Dialog zu leisten. Denn nach wie vor liegen die Entscheidungskompetenzen in sozialen Fragen vorwiegend bei den Mitgliedstaaten. Die Kommission kann nur Impulse geben – mit einigen Ausnahmen. So werden zum Beispiel die Standards für Arbeitsbedingungen mittlerweile auf europäischem Niveau geregelt. Dazu gehört etwa die Höchstarbeitszeit. Außerdem gebe es umfassende Programme für mehr Chancengleichheit zwischen Männer und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, unterstrich Kommissar Vladimir Spidla. „Hier können wir bereits deutliche Erfolge verbuchen. Uns sind also auch in sozialen Fragen nicht die Hände gebunden.“

Ruth Reichstein[Brüssel]

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