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Grenzprovinzen: Pakistans Regierung drängt Flüchtlinge zurück ins Swat-Tal

Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen warnt vor Epidemien. Die Lage im Krisengebiet ist weiter unübersichtlich.

Berlin - Die Frau kann kaum noch stehen, ihre Füße sind blutig. Seit Tagen sei sie unterwegs, auf der Flucht vor den Kämpfen der Taliban mit den Regierungsgruppen. Mit ihren Verwandten habe sie nur noch selten Kontakt. Unter Tränen erzählt sie, dass die Toten der Gefechte einfach so herumlägen. Niemand würde sie mehr beerdigen.

Solche Erfahrungen sind beinahe schon Alltag für die Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im nordwestlichen Pakistan. Anja Braune, die bis vor kurzem als medizinische Teamleiterin in Peschawar arbeitete, berichtete ihren Kollegen in Deutschland die Geschichte der Frau, die aus den Bergen vor den Kämpfen geflohen ist. „Die Krise in Pakistan ist erschreckend“, sagt auch Frank Dörner, Deutschland-Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen, bei der Vorstellung des Jahresberichts der Hilfsorganisation in Berlin. „Die Menschen haben ihre gesamte Lebensgrundlage verloren.“

Die Ärzte sind vorwiegend in den Teilen der Stammesgebiete unterwegs, die an die umkämpften Regionen angrenzen. Die Region Mardan beispielsweise liegt in der Nachbarschaft des Swat-Tals. „In Mardan hat mindestens die Hälfte der Vertriebenen Zuflucht gefunden“, sagt Frank Dörner von Médecins sans Frontières Deutschland. Dort fehle es am Nötigsten. „Wir besorgen sauberes Wasser, Medikamente und Zelte“, berichtet Dörner.

Im Distrikt Lower Dir hilft die internationale Ärzteorganisation in den einzigen beiden Vertriebenenlagern, die nicht vom pakistanischen Militär kontrolliert werden. Es sei dramatisch, was sich dort tagtäglich abspiele. „Wir müssen den Frauen helfen, die ihr Kind auf der Flucht zur Welt bringen, und versuchen, die sanitären Einrichtungen halbwegs in Ordnung zu halten“, sagt Dörner. In Peschawar, der Hauptstadt der Nordwestprovinzen, packen die Helfer im Lady Readings Krankenhaus mit an. „Fast die Hälfte aller Verletzungen, die wir dort behandeln, sind direkte Folgen der Gewalt“, berichten die Helfer vor Ort.

Die Lage in den pakistanischen Grenzprovinzen ist nach wie vor unübersichtlich. Die Regierung scheint überfordert. „Es gibt nicht genug Auffanglager für die Vertriebenen“, beklagen die Vertreter von Ärzte ohne Grenzen. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen könnten 90 Prozent der Flüchtlinge bestenfalls in Schulen oder in Gastfamilien schlafen. Für die heißen Sommermonate droht noch eine weitere Gefahr. „Wenn sich die Lage nicht verbessert, könnten Epidemien unter den Flüchtlingen ausbrechen“, warnen die Mediziner.

Über mehrere Monate lieferten sich Regierungstruppen und die radikalislamischen Taliban in den nordwestlichen Grenzprovinzen heftige Gefechte. Die wurden von der pakistanischen Armeeführung nun für beendet erklärt. Die Regierung begann in dieser Woche mit dem Rücktransport der ersten Flüchtlinge. „Mehr als 50 000 Menschen kehrten ins Swat-Tal zurück, seit die Regierung am 13. Juli mit dem Rücktransport der Flüchtlinge begann“, sagte ein Sprecher der Lokalregierung am Freitag. Ob der Rücktransport freiwillig ist, sei jedoch fraglich, glaubt man bei Ärzte ohne Grenzen. „Die Menschen, die jetzt ins Swat-Tal zurückkehren, sind vorerst sich selbst überlassen“, sagt Dörner.

 Marc Mudrak

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