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Große Koalition: Mythos Reform

Auch wenn immer wieder vom Ende geredet wird: Die Große Koalition ist lebendig und handlungsfähig. Vielleicht ist sie auch keine Zwischenlösung sondern begleitet uns noch weit über 2009 hinaus. Um das zu schaffen muss sie aber die Reformen den Bürger nahe vermitteln und nicht aufzwingen.

Heute haben wir einen neuen Vizekanzler, morgen steht seit nunmehr zwei Jahren eine Frau an der Spitze des Landes. Die erste Bundeskanzlerin macht ihre Sache gut, wenn wir den Umfragen und dem Urteil ihrer Amtskollegen in aller Welt trauen dürfen. Der reibungslose Übergang von Franz Müntefering zu Frank-Walter Steinmeier zeigt, dass Merkels Regierung stabiler ist, als die ständigen Unkenrufe über ihr vorzeitiges Ende vermuten lassen. Muss man sich nicht eher über das Gegenteil Sorgen machen? Dass nämlich die große Koalition überhaupt kein Ende findet, weil auch im Jahr 2009 keine tragfähige Alternative möglich ist.

Zwei Jahre vor der nächsten Wahl sollte man den Sonntagsumfragen besser nicht glauben. Und zur Kenntnis nehmen, dass befreundete Staatsoberhäupter nicht über deutsche Regierungen entscheiden. Eine Sachbilanz der großen Koalition akzeptieren, bei der die einen das Glas für halbvoll und die anderen es mit ebenso guten Gründen für halbleer erklären. Ernsthaft auf die Tagesordnung aller Verantwortlichen sollte aber ein merkwürdiges Missverhältnis. Die Deutschen geben ihrer Kanzlerin und der Regierung ganz gute Noten – und die Politikverdrossenheit wächst. Zur Halbzeit lautet der Befund: Man kann der großen Koalition zubilligen, dass sie viele von Merkels kleinen Schritten wirklich gegangen ist, nicht aber, dass sie damit verlorenes Vertrauen wiederhergestellt hätte – ihr Versprechen von 2005 hat die Kanzlerin dem Buchstaben nach erfüllt, dem Geiste nach aber verfehlt.

Hinter dem Bild von Aufschwung, sinkenden Arbeitslosenzahlen, solider Regierung verbirgt sich eine gewaltige Verunsicherung. Wo stehen wir denn nun nach der großen Reformerschütterung? Hat sie den deutschen Sozialstaat gerettet oder zerstört? Wir bleiben beim Reformkurs, sagt die Regierung und befriedigt damit die Wirtschaftsverbände nicht. Der Reformruf der großen Koalition klingt nach den Einschnitten der Jahre 2003 / 2004 hohl, er ist mehr Bekenntnis als praktische Politik. Aber er tönt noch laut genug, um die Mehrheit der Bevölkerung zu verschrecken, die im Reformprozess die Vorleistungen erbringen musste. Und die sich heute fragt, warum er denn bei ihr nicht ankommt, der von Union und SPD zugesagte Anteil am Aufschwung.

Die große Koalition gibt nur verschämte Antworten auf diese Frage. Denn am allermeisten verunsichert ist womöglich das Spitzenpersonal einer Bundesregierung, von der die öffentliche Meinung ein unbestimmtes „Mehr“ an Reformen verlangt, während ihr die langfristigen Befunde der Meinungsforscher und die Nahbegegnung mit dem Volk etwas ganz anderes auftragen: nämlich den Nachweis, dass die Politik Nutzen und Lasten der Umbrüche halbwegs gerecht gestaltet.

Merkel, die sich auf der Woge eines neoliberalen Zeitgeistes einmal zur Radikalreformerin machen ließ, weiß, dass aus einer guten Kanzlerin nicht automatisch die erfolgreiche CDU-Wahlkämpferin erwächst. Zwischen der Gerechtigkeitssehnsucht der christlichen Volksparteien und ihren marktliberalen Ansprüchen die richtige Balance zu finden, ist nicht weniger schwierig als das Dilemma der SPD. Die wiederum steht nach ihrem kleinen Linksruck vor der Frage, ob Kurt Beck mit der verlängerten Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes sein Pulver nicht schon verschossen hat. Sie war ja nicht mehr als die symbolische Andeutung einer SPD „nach Schröder“. Das Konzept Mindestlohn hingegen, das weiter tragen könnte, hat derzeit keinen glaubhaften sozialdemokratischen Vorkämpfer in der Bundesregierung.

Wäre sie doch nur so pragmatisch wie sie zu sein behauptet, die große Koalition. Dann würde sie beherzt da weiterarbeiten, wo die Vorgängerregierung eine unerledigte Aufgabe hinterlassen hat: an der Akzeptanz dieser Reformen in der Bevölkerung. Wer nur auf den stummen Zwang der Instrumente setzt, wird den Mentalitätswechsel nie schaffen, der den Bürgern im Verhältnis zum Staat mehr zumutet, zubilligt und zutraut. Geht es dabei gerecht zu? Es hilft nichts – die Frage muss beantwortet werden. Sonst wird „Reform“ zum leeren Mythos.

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