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Politik: Große Koalition vertagt ihr größtes Projekt

Gesundheitsreform frühestens ab April 2007. SPD-Experte Lauterbach hält Fonds für überflüssig

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Berlin - Angesichts massiver inhaltlicher Differenzen und unter dem Druck der Länder hat die große Koalition die Gesundheitsreform und damit ihr größtes Vorhaben um ein Vierteljahr verschoben. Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) sagte am Donnerstag, das neue Zieldatum 1. April 2007 bedeute aber nicht, dass die Eckpunkte wieder aufgeschnürt würden. Es handele sich um eine „reine Verfahrensfrage“. Die Entscheidung fiel am Mittwochabend in kleiner Runde der Koalitionsspitzen auf Vorschlag von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Auslöser war nach Angaben aus der Koalition die Forderung der Länder nach einem ausführlichen Beratungsverfahren, das den Ländern mehr Einflussmöglichkeiten auf den Gesetzestext sichert. Damit sei der bisherige Plan nicht mehr realistisch gewesen, das Gesetz bis Ende September zu formulieren und am 1. Januar 2007 in Kraft zu setzen.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sagte, die Kritiker der Reform sollten den Aufschub „nicht als Zeichen begreifen, dass die Reform nicht kommt“. Die Ministerin bekräftigte, der geplante Gesundheitsfonds werde 2008 starten. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sprach sich hingegen dafür aus, den geplanten Gesundheitsfonds noch einmal zu überdenken. „Ich halte ihn für überflüssig“, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel. Er könne sich „kaum etwas Komplizierteres“ vorstellen. „Der heutige Beitragseinzug funktioniert doch. Wir brauchen weniger Kassen, keinen Fonds“, sagte Lauterbach. Die Opposition forderte einen kompletten Neuanfang in der Gesundheitspolitik.

Vertreter der Länder begrüßten das neue Verfahren. „Ich habe immer gesagt, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen muss“, sagte die bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) dem Tagesspiegel. „Wir werden mit Sorgfalt darauf achten, dass im Gesetzentwurf die Eckpunkte nach ihrem Wortlaut und ihrem Geist eingehalten werden.“ CSU- Landesgruppenchef Peter Ramsauer kündigte an, die Regierung wolle den Gesetzentwurf im Oktober vorlegen.

Auch beim zweiten großen Reformprojekt, der Unternehmenssteuerreform, könnte es zu Änderungen kommen. Ein Sprecher von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) betonte zwar, es bleibe dabei, dass „die Regelungen wie geplant im Sommer 2007 im Gesetzblatt stehen“. Nach Angaben aus der Koalition zeichnet sich aber ab, dass die für 2008 geplante Abgeltungssteuer auf Januar 2009 verschoben und dann wahrscheinlich mit 25 Prozent eingeführt wird. Hintergrund dafür sind erwartete Steuerausfälle von zwei Milliarden Euro. Während die Union die Unternehmen ab 2008 zusätzlich um diesen Betrag entlasten will, lehnt die SPD das ab.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kündigte für den Herbst Proteste gegen die Reformen der Regierung an. „Wir werden die Politik der Koalition aktiv begleiten, mit dem Ziel, sie zu verändern“, sagte DGB-Chef Michael Sommer. Die Verschiebung der Gesundheitsreform sei für ihn ein Signal, dass die „Kritik von außen und innen“ die Koalition nicht unbeeindruckt lasse. Den Gesundheitsfonds kritisierte Sommer als „bürokratisches Monstrum“. Der DGB sprach sich auch gegen die Unternehmenssteuerreform, Änderungen beim Kündigungsschutz und die Rente ab 67 aus. Demonstrationen sind am 21. Oktober in Berlin, Dortmund, Frankfurt am Main, München und Stuttgart geplant.

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