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Große Koalitionen: Die Chemie muss stimmen

Sind die Zustände in Schleswig-Holstein Ausnahme oder Regel? In Ostdeutschland gibt es vier große Koalitionen – und die sind relativ stabil.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Wenn Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer und sein Stellvertreter und Finanzminister Jens Bullerjahn, der CDU- und der SPD- Mann, der 73-Jährige und der 47-Jährige, gemeinsam öffentlich auftreten, kommt mehr als koalitionäre Verbundenheit rüber: Da ist fast so etwas wie väterliche Zuwendung auf der einen, achtungsvoller Respekt auf der anderen und eine Menge gegenseitiges Vertrauen auf beiden Seiten im Spiel.

Zwischen dem Böhmer-Bullerjahn- und dem Carstensen-Stegner-Effekt in Schleswig-Holstein liegen Welten. Zwar ist die spezielle personelle Konstellation in Magdeburg auch nicht hundertprozentig auf die Koalitionen von CDU und SPD in den anderen drei ostdeutschen Bundesländern zu übertragen – dennoch: Auch die großen Koalitionen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Brandenburg sind deshalb so relativ stabil, weil ihre Protagonisten einen guten Draht zueinander haben.

„Es wird bei Koalitionen immer unterschätzt, ob das Spitzenpersonal miteinander kann“, sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der FU Berlin. Carstensen und Stegner seien praktisch gezwungen gewesen, den Versuch miteinander zu machen. Zwar habe es in Kiel auch „riesige Sachprobleme“ gegeben. „Doch die gibt es immer, und die Koalition in Schleswig-Holstein ist vor allem daran gescheitert, dass sich die Spitzenleute nicht respektieren.“

Doch Niedermayer sieht auch einen verallgemeinerbaren Ost-West-Unterschied. Da seien andere Landesparteien am Werke. „In den ostdeutschen Parteien gibt es nicht eine solch lange Tradition politischen Gegnertums wie in Westdeutschland“, sagt er. Insofern verwundere die größere Stabilität der großen Koalitionen in den neuen Bundesländern nicht.

In Sachsen hat die CDU/SPD-Koalition sogar den Umstand überlebt, dass der heftigste Kritiker von Regierungschef Stanislaw Tillich ein SPD-Mann, der Landtagsabgeordnete Karl Nolle, ist. Der Ministerpräsident bekam im Streit um seine DDR- Biografie selbst Rückendeckung von seinem Stellvertreter, dem SPD-Landeschef und Wirtschaftsminister Thomas Jurk – was in dessen Partei allerdings deutlichen Unmut hervorrief.

In Mecklenburg-Vorpommern zog die SPD nach der Landtagswahl 2006 die CDU als Koalitionspartner vor, weil eine Fortsetzung von Rot-Rot nur noch eine Mehrheit von einer Stimme bedeutet hätte. Der damalige Regierungschef Harald Ringstorff bekam mit dem CDU-Spitzenkandidaten Jürgen Seidel eine personelle Option, die ihm trotz jahrelanger harter Angriffe von der oppositionellen CDU ermöglichte, noch einmal die Regierung zu führen – wenigstens für knappe zwei Jahre, ehe er an Erwin Sellering übergab.

Es gebe an der Spitze zwischen Sellering und Seidel „eine große Übereinstimmung, sehr kollegialen Umgang“, schätzt SPD-Fraktionsvorsitzender Norbert Nieszery die Lage ein. „Natürlich sind SPD und CDU politische Konkurrenten. Aber darunter leidet das Klima in der Koalition nicht.“ Wichtig sei, dass „die Spitzen das Gemeinschaftsgefühl auf der Regierungsebene vorleben und es in ihre Fraktionen tragen“. Das habe in Kiel nicht funktioniert, sagt Nieszery, der selbst aus Schleswig- Holstein stammt.

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