zum Hauptinhalt
Glückwunsch. Ministerpräsident Winfried Kretschmann gratuliert in der Villa Reitzenstein in Stuttgart seinem neuen Stellvertreter und Innenminister Thomas Strobl (CDU) zur Wahl und Ernennung.

© Christoph Schmidt/dpa

Neue Regierung in Stuttgart: Grün und Schwarz: Starke Fraktionen

Winfried Kretschmann ist als Ministerpräsident von Baden-Württemberg wiedergewählt – aber nicht alle Abgeordneten der ersten grün-schwarzen Regierungskoalition mochten ihn wählen.

Die Schreckstarre dauert eine gefühlte Ewigkeit: Muhterem Aras, erst tags zuvor gekürte neue Präsidentin des baden-württembergischen Landtags, verkündet das Ergebnis: 142 Abgeordnete haben abgestimmt, auf Winfried Kretschmann entfallen 82 Stimmen. Und niemand applaudiert. Null Geräuschteppich. Für Sekunden ist es totenstill im Plenum. Man spürt förmlich, dass das Parlament ein anderes Ergebnis erwartet hat. Dann endlich haben sie alle nachgerechnet: Ja, es reicht.

Winfried Kretschmann geht in eine zweite Amtszeit, diesmal mit einer grün- schwarzen Koalition. Aber mit einem gewaltigen Schönheitsfehler: Sechs Abgeordnete aus den eigenen Reihen haben ihm die Gefolgschaft verwehrt. Trotzdem klatschen alle, als er die Wahl annimmt, für das Vertrauen dankt. Darunter müssen wohl sechs unbekannte Heuchler sein.

Die Kanzlerin hat sich eingeschaltet, der CDU-Landeschef entschuldigte sich bei seiner Fraktion

Kurz vor dem Wahlgang am Donnerstag kommt die CDU-Fraktion schon früh zusammen, um sich in Schadensbegrenzung zu üben. In Probeabstimmungen der vergangenen Tage hatten bis zu dreizehn Unionisten dem Grünen die Gefolgschaft verweigert und Landesvorsitzender Thomas Strobl drohte, den Bettel hinzuwerfen. Darauf folgt heftige Seelenmassage – einschließlich eines therapeutischen Eingriffs der Kanzlerin, die gleich zweimal den ebenfalls neuen CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart anruft. Die gereizte Stimmung entspannt sich erst, als Strobl sich entschuldigt.

„Wenn einer die Tür zuhaut, dann ich“, hatte ihn Ehefrau Christine, Tochter von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, zu Hause gerügt. Also geht Strobl, der neue starke Mann der Südwest-CDU und künftige Innenminister im Kabinett Kretschmann, noch mal auf die mit ihm fremdelnde Fraktion zu, mit einem seiner beliebten Bergsteigerbilder: In ungesichertem Gelände, erklärt er sein mitunter wenig kommunikatives Vorgehen, „werden die Kommandos kurz und knapp“. Künftig werde es sanfter zugehen und ja, manchmal habe es ihm leidgetan, „wenn ich jemanden angekoffert habe“. Gefragt, ob er selbst wirklich an einen Abstieg gedacht habe, ohne zuvor den Gipfel zu stürmen, antwortet Strobl mit einem so raschen wie ehrlichen „Ja“.

Nicht nur er, den manche immer noch „den Berliner“ nennen, redet kurz vor der Ministerpräsidentenwahl auf die CDU-Fraktion ein, auch Winfried Kretschmann selbst. Eine knappe Viertelstunde wärmt er den Koalitionspartner an: „Führen heißt, die Koalition zusammenzuhalten.“ Der Applaus ist dünn, als er den Sitzungssaal betritt – und er ist spürbar herzlicher, als er wieder geht.

lles wird gut. Ministerpräsident Kretschmann und Innenminister grooven sich nach der Vereidigung in die Zusammenarbeit ein.

© Franziska Kraufmann/dpa

Derweil füllt sich die Zuschauertribüne im frisch sanierten Landtag. Viele Bürgermeister, Verbandsvertreter und Kirchenmänner sind gekommen. Blickfang aber ist Kretschmanns Familie – und ganz besonders der schottische Schwiegersohn: Er kommt im dezent grün-schwarz gestreiften Kilt, einem Erbstück. Ungewohnt gekleidet ist auch Manne Lucha, der neue Sozialminister mit dem gutturalen bayerischen Akzent: Er trägt, für viele Beobachter zum ersten Mal, einen richtigen Schlips.

Aus ihrem Konferenzsaal signalisiert die CDU derweil Entspannung: „Mach dir keine Sorgen, Andi“, raunt einer der Enttäuschten dem neuen grünen Fraktionschef Andreas Schwarz zu. Aber in den Unionsreihen gibt es viele, die auf ein Amt spekuliert hatten und nun nicht zum Zuge kamen. Auch bei den Grünen gibt es Enttäuschte wie den Ex-Wissenschaftsstaatssekretär Jürgen Walter, der quasi über Nacht ersetzt wurde. Kretschmann weiß das. Bei seiner ersten Wahl 2011 lag er noch zwei Stimmen über der Koalitionsmehrheit, jetzt ist er sichtlich nervös und trommelt mit den Fingern auf das lederbezogene Pult.

Mit dem Kommentieren der fehlenden Stimmen beginnen "die Mühen der Ebenen"

Nach der Wahl will niemand hintanstehen beim Gratulieren. Kretschmann spricht den Eid mit der religiösen Formel, die ihm die Alevitin Muhterem Aras vom Blatt vorliest. Dieses Ambiente zeige die Weltoffenheit seines Bundeslandes, formuliert er kurz darauf, „aber man kommt sehr schnell in die Mühen der Ebenen zurück“. First Lady Gerlinde Kretschmann erklärte, nach der Wahl gehe die Arbeit für ihren Mann erst richtig los: Über Pfingsten müsse er im Garten arbeiten „und den Kompost umsetzen“.

Mühevoll ist für den schon das Schönreden des Wahlergebnisses: 82 Stimmen sind zehn über der notwendigen Mehrheit – aber weniger, als die Koalition zusammenbrächte. „Ich würde es nicht Hängepartie nennen, sondern die Grundlage, um fünf Jahre gut zu regieren“, redet Kretschmann die Enttäuschung weg. Die Phantomschmerzen einiger Abgeordneten würden schon nachlassen. Aber: „Eine Konfliktkoalition mag der Wähler zu Recht nicht.“

Bei Thomas Strobl kehrt die notorische gute Laune zurück: Das Ergebnis nennt er „blitzsauber“, es zeuge von zwei starken Fraktionen. Und im Übrigen „sind wir schließlich nicht in Nordkorea“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false