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Die meisten Abstimmungen endeten eindeutig.

© dpa / Kay Nietfeld

Ein fast harmonischer Parteitag: Am Ende wagt die Grünen-Basis doch noch den Aufstand

Die Grünen erleben einen harmonischen Parteitag in stürmischen Zeiten. Die Basis folgt überraschend der Spitze. Streit gibt es nur bei der Kohle.

Ganz am Rand der riesigen Halle haben die kritischen Stimmen auf dem Grünen-Parteitag doch noch ein Plätzchen gefunden. Alte Wahlplakate haben die Grünen-Mitglieder mitgebracht. „Je mehr wir uns für den Krieg rüsten – umso weiter entfernen wir uns vom Frieden“, steht auf einem „Wehrt euch gegen die atomare Bedrohung“ auf einem anderen.

Mit den Plakaten laufen sie immer wieder durch die Reihen der Delegierten, halten sie stumm in die Kameras. Der Rest der Basis betrachtet sie leicht irritiert wie bunte Vögel in einem Taubenschlag.

Dass Bonn nicht Bielefeld werden würde, war schon vor dem Grünen-Parteitag klar gewesen. Im Jahr 1999 – die Grünen waren gerade das erste Mal in die Bundesregierung eingetreten – waren auf der Bundesdelegiertenkonferenz Farbbeutel auf Außenminister Joschka Fischer geflogen wegen seiner Zustimmung zum Kosovo-Krieg.

23 Jahre später besetzen die Grünen mit Annalena Baerbock wieder das Auswärtige Amt. Und wieder hat die Ministerin mit grünen Grundsätzen gebrochen. Vehement setzt sich Baerbock für Waffenlieferungen an die Ukraine ein, sogar schwere Kampfpanzer will sie Kiew überlassen.

Selbst dem Export von Ausrüstungsteilen und Bewaffnung für die Kampfflugzeuge Eurofighter und Tornado im Wert von 36 Millionen Euro an Saudi-Arabien hat Baerbock im Bundessicherheitsrat zugestimmt – gegen die Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Doch als Baerbock auf das Podium beim Parteitag in Bonn steigt, fliegen keine Farbbeutel. Die rund 800 Delegierten erheben sich für stehende Ovationen.

In ihrer Rede rechtfertigt sich Baerbock dann dennoch. „Verantwortung bringt auch Dilemmata mit sich.“ Doch ihre Erklärung für den Deal mit Saudi-Arabien ist gewagt. „Wir liefern nicht direkt nach Saudi-Arabien“, sagt Baerbock. Faktisch stimmt das, denn der Auftrag wird im europäischen Verbund mit Frankreich, Spanien und Großbritannien abgewiegelt. Tatsächlich macht es natürlich keinen Unterschied, wer nun genau die deutschen Waffen liefert – bei Ringtauschen für die Ukraine betont das Baerbock gerne. Nun geht sie darüber hinweg und liefert noch ein anderes überraschendes Argument.

Stiege Deutschland aus dem Gemeinschaftsprojekt aus, würden auch die Kosten für die Ausrüstung der Bundeswehr steigen – Geld, das dem Sozialstaat fehle. „Ich will nicht, dass wir noch mehr im sozialen Bereich sparen und Lisa dann keine Mittel mehr hat für die Kinder, die sie dringend brauchen“, sagt Baerbock über Familienministerin Lisa Paus, die die Debatte aus der ersten Reihe verfolgt. Ihre Basis setzt Baerbock damit moralisch unter Druck. Keine Waffenlieferungen, keine Kindergrundsicherung. Eine verwegene Argumentation, doch die meisten Delegierten applaudieren.

Die Ukrainer können sich nicht mit Sonnenblumen verteidigen.

Sergey Lagodinsky

Es ist nur einer von vielen Momenten in Bonn, der zeigt, wie sehr sich die Partei verändert hat. Reihenweise verlieren die Alt-Grünen ihre Änderungsanträge zur Ausrichtung der Grünen. Ein Bekenntnis zu Bemühungen eines Waffenstillstands in der Ukraine wird mit überwältigender Mehrheit abgelehnt, ebenso ein Antrag, der sich gegen die Lieferungen schwerer Waffen einsetzt. „Europa wird dabei draufgehen, wenn die erste Atombombe fällt“, warnt der Antragsteller vor einer nuklearen Eskalation. Doch Europapolitiker Sergey Lagodinsky watscht ihn in seiner Gegenrede für die Parteispitze ab. „Die Ukrainer können sich nicht mit Sonnenblumen verteidigen.“ Frieden verteidige man nicht mit Änderungsanträgen.

Es passt ins Bild, dass die Grünen in Bonn ein letztes Mal Hans-Christian Ströbele würdigen. Der langjährige Bundestagsabgeordnete aus Friedrichshain-Kreuzberg – oft als Gewissen der Grünen beschrieben – war Ende August gestorben. Als „beharrlichen Revolutionär“ würdigte Ex-Umweltminister Jürgen Trittin Ströbele in seiner Gedenkrede. „Mit ihm starb auch ein Stück Grüne-Geschichte.“

Die Oberrealos Annalena Baerbock und Robert Habeck stehen formell nicht mehr an der Spitze der Partei, doch ihre Saat trägt Früchte. 40 Prozent der Delegierten in Bonn sind zum ersten Mal auf einem Parteitag. Es ist die Generation der Habock-Grünen. Unter ihnen als Vorsitzende verdoppelte sich die Mitgliederzahl auf rund 125.000 – eine Partei in der Partei, die nun den Ton übernimmt.

Dass die das Streiten nicht verlernt haben, beweisen sie aber am dritten Tag, an dem die Leitlinien der Klimapolitik verhandelt werden. Deutlich wichtiger als die Fragen zur Atomkraftwerken oder Waffenlieferungen ist den neuen Grünen, viele von ihnen politisiert von Fridays for Future, der Kohleausstieg. Heftig ringen die Delegierten am Sonntag über die Zukunft des verlassenen Braunkohledorfs Lützerath.

Es gibt keinen Spielraum mehr, um Krisen warten zu lassen.

Luisa Neubaur

Das soll von RWE abgebaggert werden, wofür der Energiekonzern den Kohleausstieg um acht Jahre vorzieht. 280 Millionen Tonnen Kohle bleibt dadurch unter der Erde, argumentiert Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, die den Deal gemeinsam mit Habeck ausgehandelt hat. Doch die Parteijugend bezweifelt die Zahlen. „Wenn wir die Kohle unter Lützerath verfeuern, reißen wir unsere Klimaziele“, sagt Timon Dzienus, Sprecher der Grünen Jugend.

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Zuvor hat Klimaaktivistin Luisa Neubauer der Partei die Leviten gelesen. „Es gibt keinen Spielraum mehr, um Krisen warten zu lassen“, sagt sie und kritisiert einen „ökologischen Hyperrealismus“. Die Grünen würden mit Fake-Zahlen von RWE argumentieren. Kurz scheint es, als würde die Stimmung in der Halle kippen.

Doch die Parteispitze hält dagegen. Man habe eben keine 50 Prozent, sondern agiere aus der Minderheit heraus, ruft Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Mona Neubaur erklärt, dass bei einer Aufkündigung des Deals hunderte Menschen in den Dörfern um den Tagebau ihre Heimat verlieren könnten. Parteichefin Ricarda Lang wird allgemeiner: „Symbole dürfen sich nicht selbst verhärten.“ Am Ende folgen ihr die Delegierten knapp. Kritische Stimmen, das zeigt sich in Bonn, haben bei den Grünen noch Platz, aber es werden weniger.

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