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Politik: Gut machen, was schlecht war

STASI-ÜBERPRÜFUNGEN

Von Hermann Rudolph

Es ist kein schlechtes Zeichen, wenn Bürger eines freien Staatswesens mit sich selbst ins Gericht gehen. Es ist auch durchaus ein Gebot politischer Hygiene, dass keiner, der der Stasi im Westen zugearbeitet hat, seiner Bloßstellung entgehen soll. Und weil in der Nachkriegsgeschichte Freiheit und Unfreiheit, Demokratie und Diktatur miteinander rangen, gibt es auch Anlass, solche Fälle mit besonderer Erbitterung zu betrachten: Im Westen – anders als im Osten, wo man der Stasi oft nicht entgehen konnte – musste man nicht für sie arbeiten. Aber ist die neue WestÜberprüfung, die nun am Horizont auftaucht, der richtige Weg? Schafft sie zwischen Stasi-geplagtem Osten und weitgehend verschontem Westen eine späte ausgleichende Gerechtigkeit? Oder führt sie dazu, dass sich die Republik in eine unergiebige Debatte verbeißt? Dafür ist sie ja anfällig – zumal dann, wenn sie eigentlich andere Sorgen bewegen sollten.

Es ist ja wahr: Seine Brisanz bezieht das Thema nicht zuletzt aus den Tiefen und Untiefen des nach wie vor schwierigen Verhältnisses von Osten und Westen. Die Wunden oder wenigstens: die wunden Stellen, die die Rosskur der Überprüfung einer ganzen Gesellschaft im Osten hinterlassen hat, verbinden sich mit dem Gefühl, im vereinten Deutschland doch wieder das schlechtere Los gezogen zu haben. Im Westen gibt es zumindest ein ungutes Gefühl über den Gang der deutsch-deutschen Dinge. Also verspricht die West-Überprüfung – über das Aufspüren der West-IMs hinaus – ein schwelendes Unbehagen, wenigstens etwas zu heilen. Aus Ost-Sicht: Endlich müssen auch die Westdeutschen durchmachen, was wir hinter uns gebracht haben. In West-Perspektive: Machen wir damit gut, was wir, vielleicht, schlecht gemacht haben? Ganz abgesehen von der Lust, die es offenbar bereitet, mit Hilfe der Stasi die Frontstellungen aus den Kampfzeiten der alten Bundesrepublik nochmals aufzurollen. Wie das aussieht, ist am Fall Wallraff zu studieren, der nicht zufällig die Diskussion losgetreten hat.

Nur: Das macht die Rechnung ohne die Sache. Westen und Osten sind in Bezug auf die Stasi in keiner vergleichbaren Lage. Also hat es wenig Sinn, sie bei der notwendigen Aufarbeitung gleichzusetzen. Die alte Bundesrepublik hat schon ihre Leichen im Keller, auch solche, die mit der Stasi zusammenhängen, aber anders als der Osten, der ihrem Griff fast wehrlos ausgesetzt war, war sie keine von ihr unterwanderte oder gar gesteuerte Republik.

Es ist deshalb auch fragwürdig, der West-Überprüfung die ehrwürdige Kategorie der „Ehrensache“ aufzukleben, als müsse sich eine insgesamt verdächtige Gesellschaft ehrlich machen. Und weil die Seuche Stasi im Westen einfach nicht so wüten konnte wie im Osten, ist der Ungerechtigkeit zwischen Ost und West auch nicht durch eine moralisch-politische Reihenuntersuchung abzuhelfen. Die nun durch die Rosenholz-Datei möglich gemachten neuen Überprüfungen im Westen müssen sich an einem vernünftigen Aufwand-Ergebnis-Verhältnis messen lassen – als „Verhältnismäßigkeit“, ein Eckstein des Rechtsstaats.

Was die Stasi-Aktivität im Westen angeht, so hat der Fall Wallraff gezeigt, dass da auch eine verbreitete politisch-ideologische Verwirrung eine fatale Rolle spielte. Tatsächlich gab es in der Bundesrepublik eine Partei der DDR, für die der Zweck des Kampfes gegen Kapitalismus und „Bonn“ und die sonstigen Übel der Welt auch die Kumpanei mit der zweiten Diktatur heiligte. Da gibt es noch viel zu debattieren, aufzudecken, gerade zu rücken. Aber so wie es nicht angehen konnte, Stasi-Ermittlungen zu benutzen, um Helmut Kohl zur Strecke zu bringen, so können die Rosenholz-Erkenntnisse nicht dazu dienen, offene Rechnungen zu begleichen. Rache ist süß, manchmal auch sehr nachvollziehbar. Aber sie ist das schlechteste Rezept, um Wahrheit und Klarheit zu befördern.

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