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Politik: Gutes Wachstum, schlechtes Wachstum

Umweltschützer und kirchliche Hilfsorganisationen fordern den radikalenumweltgerechten Umbau der Industriegesellschaft. Sonst könne demnächst ein "ökologischer Kollaps" nach dem Muster des Kollaps der Finanzkrise drohen.

Berlin - Der Vergleich liegt nahe. Über viele Jahre warnten zahlreiche kundige Ökonomen vor der Fehlentwicklung auf den Finanzmärkten, aber die Allianz der Gewinner verweigerte jede Einschränkung ihrer Geschäfte, bis schließlich der Zusammenbruch kam. Nach dem gleichen Muster könnte alsbald der „ökologische Kollaps“ eintreten, wenn der umweltgerechte Umbau der Industriegesellschaft jetzt nicht radikal angegangen werde, warnte in Berlin der Soziologe Wolfgang Sachs, leitender Wissenschaftler am Wuppertal Institut für Klima und Energie.

Anlass für die dringende Mahnung war die Vorstellung einer von Sachs und 60 weiteren Forschern erstellten Studie mit dem Titel „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“, die der Bund Umwelt und Naturschutz sowie die kirchlichen Hilfsorganisationen Brot für die Welt und Evangelischer Entwicklungsdienst in Auftrag gegeben hatten.

Mit ihrem 656 Seiten starken Werk legen die Autoren eine umfassende Bestandsaufnahme der globalen Klima-, Energie- und Ernährungskrisen vor und beschreiben auch detailliert, mit welchen Mitteln deren Entschärfung betrieben werden könnte. Dabei reichen die Vorschläge vom „Dächerscan“, mit dem Kommunen systematisch die zur Solarenergiegewinnung geeigneten Flächen ihren Bürgern bekannt machen bis zur Reform der Welthandelsorganisation zu Gunsten der Entwicklungsländer. Angesprochen seien alle Handlungsebenen „vom Dorf bis zur Weltpolitik“, sagte Sachs.

Die Studie biete einen „Leitfaden für den nötigen Wandel unserer Zivilisation“, erklärte die Direktorin von Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel. Sie solle nun Grundlage für eine landesweite Kampagne der beteiligten Organisationen werden, die mit Aktionen in Schulen, Kirchen und Kommunen viele Menschen mobilisieren wolle. Angestrebt sei der Start eines „gemeinsamem Suchprogramms“ für eine neue Form des Wirtschaftens. Dazu bedürfe es dieser „prophetischen Provokation“

Auf Widerspruch wird dabei vermutlich vor allem die Forderung der Wissenschaftler nach einer Abkehr vom pauschalen „Zwang zum Wachstum“ treffen. Das bedeute zwar keineswegs den Verzicht auf Wohlstand an sich, wohl aber den Verzicht auf eine permanente Steigerung des Verbrauchs. „Das Gute muss weiterhin wachsen“ sagte Sachs, aber „das Schlechte muss eben auch schrumpfen“, erläuterte er in Anspielung auf den Konflikt um den Umbau der Stromversorgung zu Lasten der bisherigen Großkraftwerke. Die Minderung des Ressourcenverbrauchs gebiete allein schon der Anspruch der Armutsländer auf ihre eigene Entwicklung.

Wer von „Armutsminderung“ rede, aber die „Reichtumsminderung“ verweigere, der verbreite Illusionen. Komme es zum befürchteten Klimachaos, dann „können wir die Millenniumsziele zur Halbierung der Armutsbevölkerung vergessen“, mahnte Sachs. Vor dem Hintergrund der noch immer steigenden Emissionen von Kohlendioxid forderte auch der BUND- Vorsitzende Hubert Weiger, „wir müssen radikaler werden“. Es sei makaber, dass im Angesicht der Finanzkrise binnen Tagen mehrere hundert Milliarden Euro mobilisiert werden könnten, während es selbst in zehn Jahren Verhandlungen über das globale Artenschutzabkommen nicht gelungen sei, auch nur die nötigen zehn Milliarden Euro für die angestrebten Programme aufzutreiben. Wie das Programm mit dem Grundprinzip der fortwährenden rentablen Anlage von Kapital zu vereinen wäre, vermochten allerdings auch Sachs und seine Auftraggeber nicht zu erklären. Seine Hoffnung sei, dass mit der „Einhegung “ der Kapitalverwertung auf Kosten der Natur, „das Biest Kapitalismus sich so häuten“ müsse, dass etwas anderes entstehe.

So blieb es am Ende Michael Müller, dem parlamentarischen Staatssekretär im Bundesumweltministerium überlassen, das Kernproblem anzusprechen. Der Umweltkollaps könne nur verhindert werden, „wenn wir auch die Fragen der Machtverteilung in der globalen Ökonomie angehen“. Nicht zufällig gründe das Geschäft von neun der zehn größten Weltkonzerne auf der Überausbeutung der Natur.

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