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Gefängnis Waldheim in Sachsen

© dpa

Häftlinge in DDR-Gefängnissen: Honeckers Billiglöhner

Häftlinge waren in der DDR ein unverzichtbares Arbeitskräftereservoir – auch Westfirmen profitierten davon. Die Bundesregierung will das nun genauer erforschen lassen.

Von Matthias Schlegel

Nach jüngsten Erkenntnissen über das große Ausmaß der Zwangsarbeit von DDR-Häftlingen für westliche Unternehmen hat die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und Beauftragte für die Belange der neuen Länder, Iris Gleicke (SPD), bedauert, dass es „noch immer zu wenig systematisches Wissen über die Bedingungen im DDR-Strafvollzug“ gebe. Das gelte insbesondere für die Behandlung politischer Häftlinge. „Hier muss etwas geschehen“, sagte Gleicke dem Tagesspiegel. Deshalb habe die Bundesregierung im Dezember eine Studie zu diesem Thema ausgeschrieben, die genau das zum Untersuchungsgegenstand haben solle. Darin würden die derzeitigen Forschungsergebnisse einschließlich der jetzt vorgelegten Studie der Stasiunterlagenbehörde einbezogen.

Wie aus der Forschungsarbeit der Stasiunterlagenbehörde „Knastware für den Klassenfeind“ hervorgeht, waren Gefangene in DDR-Haftanstalten ein beträchtliches Arbeitskräftereservoir für die DDR. Waren 1960 insgesamt knapp 21 000 Häftlinge in der Produktion eingesetzt, waren es im Jahr 1975 bereits 39 000 Inhaftierte. Im Jahr 1987 mussten die 28 000 Häftlingsarbeiter eine Wirtschaftsleistung von 12,4 Milliarden Mark erbringen.

Die Arbeitsbedingungen waren dabei oft verheerend. „Da die Maschinen möglichst rund um die Uhr laufen sollten, war fast jeder zweite Häftlingsarbeiter im Drei-Schicht-Betrieb tätig – angesichts der beengten Unterbringung und dem ständigen Schichtwechsel bedeutete dies vielfachen Schlafverzicht“, schreibt Autor Tobias Wunschik in der Studie. Durch enormen Druck einerseits und Vergünstigungen andererseits seien die Gefangenen zu hohen Arbeitsleistungen angetrieben worden. „Um Einkäufe für den persönlichen Bedarf tätigen zu können, war eine 100-prozentige Normerfüllung Voraussetzung, teilweise galt dies auch für den Erhalt von Briefen.“

Es gab aber auch Arbeitsverweigerung unter den Häftlingen. Ein bis zwei Prozent aller Gefangenen hätten diesen Weg gewählt – vor allem aus politischen Gründen – und dafür mehrmonatige Isolation in Kauf genommen. „Ähnlich motiviert und insgesamt weniger riskant war das vorsätzliche Untererfüllen der Normen, etwa an den Jahrestagen von Volksaufstand oder Mauerbau“, heißt es in der Studie.

Der Lohn war überaus karg: Die Betriebe, in denen Gefangene arbeiteten, überwiesen den Lohn an die Gefängnisverwaltung, die den größten Teil einbehielt und den Häftlingen lediglich einen Eigenanteil zwischen 15 und 20,5 Prozent ließ, je nach Normerfüllung und Disziplin. „Die Gefangenen verdienten zuletzt durchschnittlich 138 Mark, von denen aber monatlich 37 Mark für die Rücklage und 35 Mark an Familienunterstützung sowie für weitere Zahlungsverpflichtungen abgezogen wurden. Bei großen individuellen Spannbreiten verblieben den Häftlingen im Durchschnitt etwa 60 Mark, für die sie aus einem schmalen Sortiment zu überhöhten Preisen zusätzliche Lebensmittel und Kosmetika kaufen konnten“, schreibt Wunschik. Der genaue Umfang der Leistungen, die Häftlinge für westliche Firmen erbrachten, ist schwer zu ermitteln, weil in den Unterlagen der Unternehmen in der Regel keine getrennten Aufstellungen über „freie“ Beschäftigte und Häftlinge erfolgte. Es lassen sich nur Hochrechnungen anhand der Anteile der Gefangenen am Gesamtpersonalbestand von Unternehmen, die vorrangig für westliche Firmen arbeiteten, anstellen. Zwar konnten freigekaufte frühere Häftlinge charakteristische Produkte, vor allem Konsumgüter, identifizieren. Bei Halbfabrikaten war das jedoch nicht möglich, wie Wunschik schreibt. „Nur die exakte Kenntnis der Produktionswege erlaubt es heute, Exportprodukte dem Einsatz von Häftlingsarbeitern zuzuschreiben.“ So mussten zum Beispiel Gefangene aus dem Haftarbeitslager Rüdersdorf bei Berlin in den örtlichen Zementwerken arbeiten, aus denen Westberlin zeitweilig ein Viertel seines gesamten Zements bezog. Das waren rund 220 000 Tonnen, für die jährlich 15 Millionen DM bezahlt wurden. „Endabnehmer waren verschiedene Firmen wie auch der Senat von Berlin, der damit seine Notreserve bestückte“, schreibt Wunschik.

Ostdeutsche Betriebe lieferten besonders an bundesdeutsche Versandhäuser Waren, die dann oft als deren Hausmarken vertrieben wurden. Allein das Versandhaus Quelle bezog unter anderem Waschmaschinen, Gasherde, Wäsche, Kleidung, Langlaufski, Quarzuhren, Spielwaren und Möbel im Wert von 250 Millionen DM jährlich aus der DDR. Kameras aus dem VEB Pentacon Dresden, der 6 700 Mitarbeiter beschäftigte, wurden zu 80 Prozent in den Westen exportiert. Seit etwa 1964 lieferten rund 250 Häftlinge aus der Haftanstalt Cottbus die gestanzten Gehäuse der Fotoapparate. 200 Häftlinge fertigten Leiterplatten für das Fernsehgerätewerk Staßfurt, die dort zu Geräten für Neckermann montiert wurden. Auch drei große Kaliwerke, die bis zu einem Viertel Häftlingsarbeiter beschäftigten, waren fest in den Westexport eingespannt. Und mit Ausnahme der grenznahen Produktionsstätten kamen praktisch in allen Stahlwerken der DDR Häftlinge zum Einsatz. Erzeugnisse wurden von dort an die großen Konzerne in der Bundesrepublik, in Österreich und der Schweiz geliefert, darunter waren Mannesmann, Bayer und BASF.

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