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Politik: Hängt an Ihnen Schröders Schicksal, Herr Clement? Der SPD-Vize über Scharping, das Hoch Edmund – und Berliner Nabelschauen

Was empfinden Sie für Rudolf Scharping nach dessen Rauswurf durch den Kanzler? Ich finde die Entscheidung des Bundeskanzlers richtig.

Was empfinden Sie für Rudolf Scharping nach dessen Rauswurf durch den Kanzler?

Ich finde die Entscheidung des Bundeskanzlers richtig. Sie war unweigerlich geworden, was nach meinem Empfinden auch Rudolf Scharping verstanden hat. Jedem im Präsidium war klar, dass eine Auseinandersetzung mit den Vorwürfen gegen ihn, wäre er im Amt geblieben, jetzt zu einer Belastung für die SPD im Bundestagswahlkampf geworden wäre. So ist das nun einmal.

Haben Sie Mitleid mit Scharping?

Selbstverständlich tut mir die Entwicklung, die sich niemand von uns gewünscht hat, Leid. Ich habe zu ihm ein gutes freundschaftliches Verhältnis, dabei wird es bleiben. Aber das ändert nichts daran, dass der Bundeskanzler richtig gehandelt hat.

Könnte es nicht sein, dass Scharping gerade tiefes Unrecht widerfährt?

Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen mit dem Wuppertaler Oberbürgermeister einen – unabhängig von den zugrunde liegenden Tatbeständen – ähnlichen Fall. Es gibt manchmal zwei Wahrheiten im Leben: Das eine ist die subjektive Wahrnehmung, das Wissen des Beschuldigten, was man tatsächlich getan hat; das andere ist die öffentliche Wahrnehmung, die zu anderen Bewertungen gelangt. Politiker müssen mit solchen teilweise schizophrenen Gegebenheiten leben und umgehen können.

Sollte sich erweisen, dass Scharping jetzt zu Unrecht ins Gerede gekommen ist: Steht ihm dann ein Comeback offen?

Dann wäre sein Ruf völlig wieder hergestellt. Über Weiteres möchte ich nicht spekulieren.

Summa summarum: War der Tag von Scharpings Rausschmiss ein guter Tag für die SPD?

Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger davon überzeugt ist, dass Gerhard Schröder handeln musste. Diese Wahrnehmung ist mir wichtiger als ein paar kritische Stimmen in den Medien.

An Ihnen, an Ihrem Land, hängt Schröders Schicksal, heißt es. Belastet Sie das?

Nein. Im Grunde ist es immer so gewesen - wir sind nun mal ein Fünftel der Bundesrepublik Deutschland, also spielt sich hier ziemlich viel ab. Es ist gut, wenn das wenigstens rechtzeitig vor Wahlen allseits anerkannt wird. Wenn die, die das jetzt betonen, sich daran auch nach der Wahl noch erinnern, dann soll mir das recht sein. Ich werde daran erinnern. Gelegentlich habe ich den Eindruck, dass manche das vor lauter Berlin nicht immer ganz richtig sehen.

Wie stehen denn die Dinge an Rhein und Ruhr kurz vor der Wahl?

Nach den neuesten Meinungsumfragen liegen wir nur knapp hinter dem Ergebnis der letzten Landtagswahl...

… aber der Maßstab ist die Bundestagswahl.

Ja. Und ich halte es auch für sehr gut möglich, dass wir das Ergebnis von 1998…

… 46,9 Prozent…

…wieder erreichen.

Woher der große Optimismus?

Gerhard Schröder hat hier im Land im Vergleich zu Stoiber einen gigantischen Ansehensvorsprung, er liegt mit 59 gegenüber 29 Prozent vorne. Der Abstand ist damit weit größer als in Deutschland insgesamt. Stoiber hat hier keine Chance. Heute morgen beim Joggen lief ich an einem Plakat der CDU vorbei, auf dem stand: „Schönen Sommer, und anschließend kommt das Hoch Edmund“. Da habe ich mir gedacht: Wie kann man sich nur in der Einschätzung der Stimmung in der Öffentlichkeit derart täuschen? Nichts ist hier unerwünschter als ein „Hoch Edmund".

Sie stimmen also der These zu, dass die Wahl in NRW gewonnen oder verloren wird.

Sie haben bei Ihrer Frage ja kein böses Motiv wie andere, die schon einmal im Vorhinein Schuld oder Verdienst am Wahlausgang verteilen wollen. Dies vorausgeschickt, habe ich mit dieser These kein Problem.

Ihre eigene Kampa sagt doch, dass es mit der Mobilisierung an Rhein und Ruhr noch deutlich mangelt.

Ach, die Kampa…

…an deren Spitze Nordrhein-Westfalen sitzen..

Ganz generell: Wir sollten alle Wahlkampf machen und nicht über Wahlkampf reden. Von denen, die sich mitten in der Kampagne über Strategien verbreiten, halte ich partout nichts. Ich erwarte von denen, dass sie arbeiten, statt sich das Maul zu zerreißen.

Wuppertal, Köln, Babcock…

…das dürfen Sie nun wirklich nicht in einem Atemzug nennen.

Obwohl dies alles schwere Belastungen für die SPD im Wahlkampf sind.

Babcock ist doch keine Belastung für uns, das ist nichts anderes als eine unternehmerische Katastrophe. Wir versuchen zu retten, was zu retten ist. Nichts sonst. Etwas ganz anderes ist die um sich greifende Korruption in Deutschland. Da sitzen alle großen Organisationen im Glashaus, die CDU wie meine Partei. Damit will ich nichts relativieren. Die angesprochenen Vorgänge sind belastend und beschämend. Aber zu glauben, deshalb müssten hier alle und jeder unter dem Teppich gehen, das wäre ein Irrtum.

Gut, die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Wie können Kanzler, Bundespartei und Kampa – die eigentlich auf Hilfe aus NRW angewiesen sind – umgekehrt Ihnen helfen?

Auf den Kanzler kommt es an. Er ist hier die entscheidende Eckfigur. Auf ihn wird sich die Entscheidung zuspitzen: Schröder oder Stoiber. n stehen natürlich auch für Programme. Das entscheidet über alles. Mit Schröder stehen wir hervorragend da.

Das reicht?

Ja. Den Rest machen wir selbst.

Welchen Wahlausgang wünschen Sie sich eigentlich? Schröder will Rot-Grün, das weiß man. Bei Ihnen kann man es nur ahnen.

Ich wünsche mir, dass die SPD wieder Platz eins erlangt. Punktum.

Aber alleine wird es ja wohl kaum reichen.

Nein. Aber Platz eins zu holen, ist das Entscheidende. Ansonsten hat Gerhard Schröder alles gesagt: Wir wollen Rot-Grün fortsetzen.

Kein Meinungsforschungsinstitut scheint das für möglich zu halten.

Eine Partei, die sich davon beeindrucken ließe, könnte gleich einpacken. Ich würde Rot-Grün noch nicht abschreiben. Wenn wir stärkste Partei werden, wird sich alles Weitere finden. Die Stimmung wankt schnell und stark. Schauen Sie sich nur den Absturz der FDP an, die von 18 Prozent träumte.

Und jetzt dankbar für die Quersumme daraus sein darf.

Genau. Das hat ja Gründe: Wenn ich auf Herrn Westerwelle schaue, dann sehe ich einen der ältesten Menschen, den ich kenne.

Wieso das?

Seine Sprüche sind schal geworden. In kürzester Zeit ist bei der FDP alles koppheister gegangen, was zuvor kunstvoll von PR-Strategen aufgebaut worden war. Seit der Diskussion um Möllemann ist Westerwelle entblättert. Ein nackter Mann.

Wie bitte?

Ja, ein Mann, der plötzlich ganz alt aussieht. Als ich ihn am Donnerstag über Rudolf Scharping sprechen hörte, dachte ich mir, der spricht über sich selbst. An Westerwelle sehen Sie, wie schnell verwelkt, was gestern noch blühte. Auch deswegen bin ich sehr skeptisch gegenüber jedem, der jetzt schon weiß, wie die Wahl ausgehen wird.

Eine FDP, wie Sie sie beschrieben haben, wäre ja wohl kaum ein attraktiver Koalitionspartner.

In der Art sicherlich nicht.

Wie gefällt Ihnen denn im Vergleich Herr Möllemann, mit dem Sie einmal so gut konnten, womöglich sogar wollten?

Ich habe keinen Anlass, über irgendwelche Konstellationen zu spekulieren. Wir haben in Düsseldorf eine Koalition, ich stelle sie nicht in Frage.

Aber 2000, nach der Wahl, hätten sie ein Bündnis mit den Liberalen auch nicht für eine Katastrophe gehalten. Gilt das denn auch noch für den Bund, nachdem Herr Möllemann sein hässliches Gesicht gezeigt hat?

Ich werde mich auf Koalitionsspekulationen nicht einlassen. Vielleicht nur einen Satz: Koalitionen mit anderen demokratischen Parteien sind nie eine Katastrophe und alle vorstellbar.

Also auch mit der Partei der nackten alten Männer?

Über die Art und Weise der FDP, wie sie derzeit daherkommt, habe ich mich geäußert.

Und bei Herrn Möllemann liegt der Fall seit diesem Sommer genauso klar. Käme er ernsthaft noch als Koalitionspartner in Berlin in Frage?

Das Notwendige habe ich Herrn Möllemann im Landtag öffentlich und unmissverständlich gesagt; er hat sich verrannt. Aber den Stab habe ich nicht über ihn gebrochen und ich denke nicht daran, den Stab über ihn zu brechen. Das mögen andere tun. Ich kenne ihn seit vielen Jahren: Er ist kein Antisemit. Aber er hat schwere Fehler begangen, und das weiß er, glaube ich, selbst.

Ist für Sie ein Wahlausgang vorstellbar, der Sie nach Berlin führen könnte?

Nein!

Mögen Sie Berlin nicht?

Ich habe eine ganze Menge für Berlin übrig, auch wenn Sie es nicht glauben mögen. Aber ich habe natürlich etwas gegen die Konzentration auf Berlin – so war das beim Umzugsbeschluss, so ist es heute, wenn die Fixierung der Politik auf Berlin zu stark wird. Dass sich zum Beispiel der Deutsche Bundestag mit dem Wiederaufbau des Stadtschlosses beschäftigt, finde ich belustigend bis bedrückend. Als ob die deutsche Identität dadurch gewahrt würde, dass eine Schlossfassade wieder errichtet wird! An Berlin stört mich ein gewisses Übermaß an Nabelschau. Ansonsten erlebe ich Berlin immer wieder als spannende Stadt, so spannend wie das Ruhrgebiet auch. Nicht nur in "Mitte". Wenn ich durch Bezirke wie Reinickendorf wandere, fühle ich mich zu Hause wie in Bochum.

Zurück zur Bundestagswahl: Wo muss jetzt die Zuspitzung erfolgen?

Wirtschaft, Arbeit, Finanzen. Das sind die entscheidenden Fragen. Hier in NRW spielen allerdings auch sehr stark Bayern und Herr Stoiber eine Rolle: der bajuwarische Egoismus, mit dem die dortige Staatsregierung ihre Ziele verfolgt hat – bis zu dem Zeitpunkt, als Stoiber Kanzlerkandidat wurde.

Vor ein paar Jahren sah das ganz anders aus: Sie hatten viel beachtete öffentliche Auftritte gemeinsam mit Stoiber. Sind die Ihnen heute etwa peinlich?

Keineswegs. NRW und Bayern sind die größten deutschen Länder. Daher gibt es strukturell ähnliche Interessen – Stichwort Europa, Föderalismus, teilweise auch beim Länderfinanzausgleich. Aber hier sehen Sie auch die Unterschiede. Ich war um einen Kompromiss bemüht, als Herr Stoiber die Solidarität der Länder um des eigenen Vorteils willen aufgekündigt hatte: Ohne den Länderfinanzausgleich in den Nachkriegsjahrzehnten, der vor allem aus NRW finanziert wurde, hätte Bayern heute immer noch die Lederhosen an, aber keinen Laptop dazu.

Stoiber, ein Bösewicht?

Ach, was! Er macht partiell eine ordentliche Politik als Ministerpräsident, aber die Schwächen gerade seiner Wirtschaftspolitik sind unübersehbar.

Wo zum Beispiel?

Etwa bei Kirch. Da haben Stoiber und seine Regierungsmannschaft über die Bayrische Landesbank eine Blasenwirtschaft finanziert, deren fatale Ergebnisse wir jetzt sehen. Von Hutschenreuther bis zur Maxhütte – die Liste der Problemfälle im Zeichen von Herrn Stoibers Wirtschaftskompetenz trägt inzwischen eine Reihe stattlicher Namen.

Abgesehen davon, dass wir alle lieber gewinnen als verlieren: Was wäre denn so schrecklich daran, wenn Stoiber gewinnen würde?

Damit beschäftige ich mich nicht. Ich gehe davon aus, dass Herr Stoiber mein Kollege als Ministerpräsident bleibt.

Darauf freuen Sie sich?

Darauf freue ich mich!

Das Interview führten Markus Feldenkirchen und Peter Siebenmorgen.

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