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Weg vom Holz. Immer mehr finnische Politiker sprechen sich inzwischen für weniger Abholzungen aus.

© imago/imagebroker

„Häuser statt Klopapier“: Wie der Wald in Finnland zum Politikum wurde

In Finnland fällt die Forstindustrie so viele Bäume wie nie zuvor. Klimaschützer protestieren – und werden erstmals ernst genommen.

Auf Youtube gibt es ein Video, in dem man einen Langläufer im Finnlandtrikot sieht, seine Skier knirschen über einen Weg. In „Lumi – our snow“ ist der Asphalt nur weiß gesprenkelt, der Schnee, der immer da war, fehlt. Am Schluss steht der Läufer im Stadtzentrum, die Skier in der einen, ein Schild in der anderen Hand: „Wo ist unser Schnee hin?“, steht darauf. Keiner bleibt stehen. Keiner sieht hin.

Das Video steht dafür, wie gleichgültig der Klimawandel den Finnen bisher war. Doch nun ist der Winter aus Helsinki nach Lappland gewandert: Dort gibt es jetzt so viel – oder wenig – Schnee, Eis und Minusgrade wie noch vor einigen Jahren in der Hauptstadt im Süden, dazu immer mehr Wetterextreme. Und tatsächlich bewegt sich jetzt etwas. „Wenn ich die Aktion vergangenen Frühling gestartet hätte: keine Chance. Aber ich glaube, seit dem Klimareport ist klar, wie ernst die Lage ist“, sagt Laura Kolehmainen. Mit ihrer Klimakampagne „Ilmastoveivi“ ist sie inzwischen landesweit bekannt.

Kolehmainen, 24, wilde rote Haare, will mit ihren Mitstreitern eine halbe Million Unterschriften sammeln und ihre Petition dann dem Ministerpräsidenten – seit Anfang Juni der Sozialdemokrat Antti Rinne – übergeben. Sie hofft auch auf die heute beginnende finnische EU-Ratspräsidentschaft: Das Klima müsse Topthema in der EU werden. „Die Ansagen müssen von oben kommen, sonst ändert sich nichts.“

Im Norden erwärmt sich die Erde schneller

Tatsächlich rennt die Aktivistin mit solchen Postulaten nicht nur bei den Grünen offene Türen ein. Die Finnen wollen durchsetzen, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird und ihre Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent reduziert. Finnland selbst hat ein noch größeres Problem: Im Norden erwärmt sich die Erde schneller als anderswo. Ist es seit Beginn der Industrialisierung weltweit im Schnitt 1,1 Grad wärmer geworden, sind es in Finnland 2,3 Grad. Die Parteien sind sich einig über das Ziel, den Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad zu begrenzen – doch nicht über den Weg dorthin.

Die Zentrumspartei gibt sich vergleichsweise moderat und will Klimaneutralität bis 2045; die neue Regierung von Antti Rinne rief kürzlich das Ziel 2035 aus. Nach den Parlamentswahlen im April, die überall nur „Klimawahlen“ hießen, hatte sich ein Mitte-Links-Bündnis gebildet; die Grünen stellen mit ihrem bisher besten Ergebnis den Außenminister. Der Blick richtet sich immer wieder auch auf die deutsche Energiewende, wobei es wenig Verständnis für den Atomausstieg gibt. Selbst die Grünen glauben, dass es ohne Atomkraft als Überbrückung nicht klappt mit der Klimaneutralität bis 2035. Die Kohle hingegen soll so schnell wie möglich abgeschafft und durch erneuerbare Energien ersetzt werden.

Dabei spielt der finnische Wald eine entscheidende Rolle. Er bedeckt etwa drei Viertel des Landes, das ist europäischer Rekord. Auch wenn ein Großteil in Privateigentum ist: Jeder darf den Wald betreten, Beeren oder Pilze sammeln. Auch Klimaschützern ist er wichtig. Die Bäume binden laut dem staatlichen Institut für Natürliche Ressourcen etwa die Hälfte allen Kohlenstoffdioxids (CO2), das das Land emittiert.

20 Prozent der finnischen Energie kommt aus dem Wald

Doch auch die finnische Wirtschaft profitiert vom Wald. Die Forstwirtschaft macht gut vier Prozent des Sozialprodukts sowie 20 Prozent der Ausfuhren aus. Von den zehn größten Forstunternehmen weltweit sind drei aus Finnland. Es werden so viele Bäume gefällt wie nie; 2017 wurde der bisherige Rekord mit 72 Millionen Kubikmetern gebrochen. Die Zellstoff- und Sägewerksindustrie wird massiv ausgebaut, hauptsächlich für den Export. Die Nachfrage, vor allem aus China, wächst. Auch für die Energieerzeugung soll mehr Holz verwendet werden. Schon 20 Prozent der finnischen Energie kommt heute aus dem Wald, so viel wie in keinem anderen Land Europas.

Finnische Politiker haben die Forstindustrie lange hofiert – ungefähr so wie es deutsche Politiker mit der Automobilindustrie tun, sagt Moritz Albrecht, Humangeograf und Experte für natürliche Ressourcen an der Universität Ost-Finnland. Sie und die Lobbyisten stehen nun auf der einen Seite – zusammen mit Forstunternehmen, ökonomisch orientierten Waldeigentümern, der Zentrumspartei, aber auch den Sozialdemokraten, die Jobs in der Forstindustrie erhalten wollen. Auf der anderen Seite versammeln sich die Grünen, die Linkspartei und Umweltorganisationen.

Die Wissenschaft ist in dieser Debatte wenig hilfreich. Laufend erscheinen Studien über vertretbare Quoten für den Holzeinschlag sowie über Kohlenstoffsenken, also die Kapazität der Bäume, CO2 zu binden. Jede Woche melden sich Experten zu Wort. Ihre Einschätzungen variieren je nach Methode und Auftraggeber. Die Grünen gehen mit ihren Forderungen besonders weit und sprechen sich etwa komplett gegen Kahlschläge aus, die lukrativste Form der Rodung.

Klimaschützer fordern eine neue Umweltpolitik

Der Wald ist zum Politikum geworden in Finnland. Die Debatte erinnert an die deutsche Auseinandersetzung über die Steinkohle, die das Land erst wirtschaftlich erfolgreich machte und dann immer mehr in Verruf geriet, je deutlicher die ökologischen Folgen wurden. „Wenn es nach der Holzlobby ginge, würden wir unsere Kohlekraftwerke auch noch durch Holzenergie ersetzen“, sagt Antti Majava, Künstler und prominenter Waldschutzaktivist. Das Wort „Bio“ in Bioenergie mache die Rechnung auch nicht richtiger: „Man muss schon sehr viel davon verbrennen, um auf eine brauchbare Menge Energie zu kommen.“

Majava versteht nicht, dass nach der neuen Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU noch mehr Holz zur Erzeugung von Wärme und Strom verbrannt werden soll. Der Beschluss komme einem Aufruf zur Abholzung der Wälder der Erde gleich. Denn 150, 200 Jahre alte Bäume wie rund um Majavas Grundstück in Hyrynsalmi in Nordfinnland gibt es nur noch selten in seinem Land. 95 Prozent des finnischen Waldes sind Wirtschaftswald, ausgerichtet auf maximale Holzproduktion in kürzester Zeit. Zum Teil ziehen Bagger sogar die Baumstümpfe aus dem Boden.

Tatsächlich sprechen sich selbst die Sozialdemokraten, zu deren Stammklientel auch Waldarbeiter gehören, für weniger Abholzungen aus. Doch für die Zentrumspartei, die Land- und Waldpartei, sind die Jobs der Wählerschaft oft wichtiger als Biodiversität und Klima, glaubt Majava. Sie rechtfertigt das weitere Abholzen damit, dass in Finnland mehr Bäume gepflanzt werden als gefällt. Aber junge Bäume binden weniger CO2. Und Bäume im Norden wachsen wegen des kühlen Klimas nur langsam. Finnland müsste sein Holz nachhaltig nutzen. „Häuser statt Klopapier“ nennt Majava das Prinzip. Denn in Häusern verbaut, setzt das Holz kein CO2 mehr frei. Und eine neue Umweltpolitik müsse her, weg vom Holz. Anfänge gibt es schon, etwa die rund 100 Millionen Euro, die pro Jahr als Subventionen in die Cleantech-Industrie, also „saubere“ Technologien, fließen.

Künstler suchen Lösungen für den Klimawandel

Auch Künstler wollen zeigen, wie man emissionsfrei leben kann. Antti Majavas „Mustarinda“-Haus etwa ist längst über die Landesgrenzen bekannt als Zentrum für ökologische Kreative, die Lust haben, mit Forschern und Anwohnern Lösungen für Energie- und Umweltfragen zu finden. Und es ist ein Zukunftslabor, das zeigt, wie man mit dem Klimawandel auch umgehen kann: Sein Leben den Gegebenheiten anpassen. Von der Terrasse führen ein paar Stufen hinunter in den Heizraum: eine Erdwärmepumpe und ein Kompressor dröhnen. Im Ofen brennt Holz – aber nur, wenn die Temperatur unter 20 Grad Minus fällt. Auf dem Dach hat Majava Solarpanele installiert, außerdem bezieht er Energie von Windrädern in der Nähe. Ein Akku speichert Strom, etwa wenn klar ist, dass am nächsten Tag die Preise steigen. Darüber informiert eine digitale Anzeige auf dem Kasten, die mit dem Internet verbunden ist.

Die Künstler in Mustarinda versuchen auch, ihren Alltag der Sonne und dem Wind anzupassen: Wäsche waschen oder die Sauna heizen an energiereichen Tagen, an energiearmen Einkaufen oder Schnee schippen. Und Kunst machen. Es ist ein bisschen wie bei den Surfern, die auf die besten Wellen warten.

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