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Hamburger Senat: Visionen begraben, Dellen vermeiden

Wie Deutschlands einzige schwarz-grüne Regierung sich bei sensiblen Themen selbst behindert. Nun muss auch noch den tiefroten Zahlen Tribut gezollt werden.

Die Lockerheit ist nach zwei Jahren verflogen, der Hamburger Senat von CDU und Grünen verspürt immer mehr Gegenwind. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) reagiert zunehmend dünnhäutig gegen Proteste von der Straße, egal ob sie sich gegen das Abholzen von Bäumen, die Ansiedlung von Möbelkaufhäusern oder das Verlegen einer Fernwärmetrasse richten: Er geißelt all dies als Partikular- oder Singularinteressen.

War es zunächst nur die vereinbarte Schulreform mit der Primarschule von Klasse 1 bis 6, die Kritiker aus besser situierten Kreisen auf den Plan rief und nun in einen Volksentscheid am 18. Juli mündet, addieren sich inzwischen die Problemzonen. Die Souveränität des Regierens jedenfalls, die Oppositionskritik einfach elegant abprallen ließ, ist dahin.

Die erste schwarz-grüne Landesregierung muss den haushaltspolitischen Gegebenheiten mit tiefroten Zahlen Tribut zollen. Ungeplante Ausgaben wie Schlaglöcher im Asphalt sind Gift für das neue Politikmodell. Die Belastungen durch die Kapitalspritzen für die mit Schleswig-Holstein betriebene HSH Nordbank sind noch nicht zu kalkulieren, die immer weiter steigenden Baukosten für den Kulturpalast Elbphilharmonie ebenfalls nicht. Zum parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur HSH kommt bald noch einer zu dem Bauprojekt.

Grüne Wünsche im Koalitionsvertrag wie eine Stadtbahn oder Gemeinschaftsstraßen ohne Verkehrsschilder nach niederländischem Vorbild werden „verschoben“ – auch ein Begräbnis der Visionen ist nicht ausgeschlossen. Nicht sparen wollen die Koalitionspartner im Bildungsbereich. Doch dass jetzt CDU-Sozialsenator Dietrich Wersich die Kitagebührenstaffel mit durchschnittlich monatlich 100 Euro Mehrkosten verändert und zeitgleich bekannt wird, dass für Sicherheitsmaßnahmen an den zwei Wohnsitzen von Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) rund 1,2 Millionen Euro Steuergelder fällig werden, ist kaum zu vermitteln.

Neben den Schulreformgegnern haben sich stadtweit nun auch die „Kita-Rebellen“ formiert. In kürzester Zeit sammelten sie für ihren Facebook-Eintrag im Internet 2000 Anmeldungen. Eine Volksabstimmung wie in Sachen Primarschule lässt das Gesetz hier zwar nicht zu, doch mit 10 000 Unterschriften für eine Petition kann das Thema wieder in die Bürgerschaftsberatungen gebracht werden. Der Landeselternausschuss sammelt Unterschriften, die SPD unterstützt dies und rechnet mit 50 000 Signaturen. Am heutigen Montag gibt es dazu eine Großkundgebung in der Hamburger Innenstadt.

Es ist nicht das erste Mal, dass schwarz- grüne Senatoren die Sensibilität von Themen unterschätzen. Wersich wird bespöttelt, er sei ja kinderlos – von einer kinderfreundlichen Familienpolitik, die die CDU-Bundesministerinnen Ursula von der Leyen und Kristina Schröder propagieren, koppelt er Hamburg ab. Die SPD fürchtet, dass betroffene Eltern im Sommer auch gegen die parteiübergreifend geeinte Schulreform stimmen werden.

Die CDU befindet sich nach dem Rücktritt des Finanzsenators und Parteivorsitzenden Michael Freytag in der Neuaufstellung. Die Grünen sind bis jetzt ohne „personelle Dellen“ davongekommen. Vielleicht liegt dies auch an der besonderen Qualität, die ihr Fraktionsvorsitzender Jens Kerstan beherrscht, immer wieder auf den Koalitionsvertrag zu verweisen, dabei aber auch die Quadratur des Kreises zu versuchen: Wie etwa vor der Menschenkettenaktion der Atomkraftgegner, als die Elbmetropol-Grünen in der Bürgerschaft gegen einen SPD-Antrag zur Teilnahme stimmten, die Partei aber genau dazu aufrief. Auch die eigenen Senatoren beteiligten sich am Samstag daran.

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