zum Hauptinhalt

Politik: Handeln statt verhandeln

UN UND WELTGIPFEL

Von Dagmar Dehmer

Demokratie ist, wenn alle mitreden dürfen. Doch das Prinzip ein Mann, eine Stimme – oder in diesem Fall: ein Staat, eine Stimme – ist keine Garantie für Demokratie. Bei den Vereinten Nationen wirkt dieses Prinzip sogar undemokratisch. Das zeigt sich beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg. Denn hier zählt die Stimme eines Diktators wie Robert Mugabe aus Simbabwe genauso viel wie die der USA oder Frankreichs. Das hat Folgen. Die Verhandlungen auf Weltkonferenzen, auf denen über die Ausbreitung der Wüsten oder den Rassismus diskutiert worden ist, waren immer schwierig. Aber dieser Gipfel in Johannesburg, bei dem es um Armutsbekämpfung und den Schutz der natürlichen Ressourcen geht, zeigt das Dilemma besonders deutlich.

In Johannesburg wurde in der ersten Woche jedes bestehende internationale Abkommen in Frage gestellt. Sogar die Erklärung des Erdgipfels von Rio, die vor zehn Jahren einstimmig angenommen worden war und deren Umsetzung in Johannesburg hätte beraten werden sollen, kommt wieder grundsätzlich auf den Tisch. Selbst die Einigung, die bei der Welthandelsrunde in Doha zum Abbau wettbewerbsverzerrender Subventionen gefunden worden war, steht in Johannesburg plötzlich wieder auf der Tagesordnung. Der Fortschritt läuft rückwärts.

Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen sind beim Weltgipfel auch alle die Staaten vertreten, die keines der multilateralen Abkommen vom Klimaschutz-Protokoll bis zur Konvention über die biologische Vielfalt ratifiziert haben, wie die Vereinigten Staaten. Der zweite Grund liegt darin, dass das Prinzip ein Staat, eine Stimme die Verbindlichkeit der Beschlüsse von UN-Konferenzen untergräbt. Wenn alles gleich viel wert ist, wird auch alles gleich wichtig – also letztlich völlig egal. Es gibt bei den Vereinten Nationen keine verbindliche Hierarchie von Themen, weil jederzeit irgendein Staat daherkommen und allen anderen die Tagesordnung diktieren kann. Es kann keine bahnbrechenden Beschlüsse geben, wenn sich mehr als 180 Staaten einstimmig darauf einigen müssen. Denn dann bestimmt immer der Langsamste das Tempo. Und es genügt ein Staat, dem jegliches multilaterale Abkommen suspekt ist, wie die USA, um alle anderen Länder zu erpressen. Die Drohung, nicht mehr mitzumachen, genügt, um den ganzen Diskussionsprozess zum Erliegen zu bringen.

Trotzdem gibt es sehr wirkungsvolle internationale Vereinbarungen: zum Beispiel die Welthandelsorganisation (WTO). Dieselben Regierungen, die sich in Johannesburg vehement gegen jede Art von Verbindlichkeit wehren, wie die USA oder Australien, haben sich in Sachen Freihandel auf ein hohes Maß an Souveränitätsverlust eingelassen. Nicht nur, dass sie verbindliche Regeln für den Welthandel formuliert haben. Sie haben auch Sanktionen zugestimmt, die dann verhängt werden, wenn sich einer der WTO-Staaten doch nicht an seine Zusagen hält. Wenn die Gruppe derer, die mitmachen, kleiner ist, ist mehr Verbindlichkeit offenbar möglich.

Es gibt nur ein einziges Abkommen, das unter der Regie der Vereinten Nationen zu Stande gekommen ist und ebenfalls über ein hohes Maß an Verbindlichkeit verfügt: das Klimaschutz-Protokoll von Kyoto. Das ist nicht viel, wenn man die Zahl und den Aufwand der UN-Konferenzen der letzten Jahre bedenkt.

Die UN-Mitgliedstaaten müssen dringend darüber verhandeln, welche Abkommen welchen Stellenwert haben. Ob internationale Umweltabkommen tatsächlich immer den Interessen des Freihandels untergeordnet werden müssen, wie es derzeit der Fall ist. Deshalb war die Überlegung, einen Weltgipfel zu veranstalten, bei dem alles mit allem zusammenhängt, vielleicht sogar richtig. Allerdings zeigt sich, dass tatsächlich eben doch nicht alle Weltprobleme gleichzeitig verhandelt werden können, jedenfalls nicht mit mehr als 180 Staaten. Und deshalb trägt dieser Weltgipfel nur dazu bei, die Vereinten Nationen weiter zu delegitimieren. Egal welches Ergebnis der Gipfel noch bringen wird, eines steht jetzt schon fest: Die UN sind in Johannesburg noch schwächer geworden.

Die Zukunft internationaler Abkommen liegt wohl in einer alten ökologischen Weisheit: dass weniger mehr ist.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false