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Blick in den Hausflur einer Schule in Berlin 2013.

© picture alliance / dpa

Haushaltsüberschuss: Wer nicht investiert, verliert

Die deutsche Sparstrategie geht auf Kosten der jungen Generation. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Hochmut und Dummheit gehen oft Hand in Hand. Ein Beispiel dafür liefern derzeit Deutschlands Finanzpolitiker. Den Anlass bietet der Überschuss in den öffentlichen Kassen. Um 18,5 Milliarden Euro übertrafen die Einnahmen im ersten Halbjahr 2016 die Ausgaben, meldete das Statistische Bundesamt. Einmal mehr ließen sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und seine Länderkollegen daher ihrer „soliden“ Haushaltspolitik rühmen, und das nicht zuletzt auch gegenüber den anderen Euro-Staaten.

Wer die „Regeln“ einhalte, erfahre eben „eine ordentliche wirtschaftliche Entwicklung und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit“, erklärte Deutschlands oberster Kassenwart. Und brav verbreiten seine Claqueure aus Medien und Wirtschaftswissenschaft das wohlige Gefühl vom ordentlichen Deutschland, an dem sich die anderen Europäer ein Beispiel nehmen sollten.

Es wird zu wenig investiert

Doch so angenehm diese Vorstellung sein mag, so falsch ist sie auch. Das zeigt schon ein Blick auf die hässliche Statistik über die „Nettoanlageinvestitionen“ des deutschen Staates. Diese liegen schon seit einem Jahrzehnt im roten Bereich. Bund, Länder und Gemeinden investieren seit 2005 nicht mal mehr genug, um den Status quo zu erhalten. Die Substanz der staatlichen Infrastruktur verfällt.

Ein Ausdruck dafür ist der verheerende Zustand der Brücken an Fernstraßen und Bahnstrecken. Schon an die 2500 dieser Bauwerke sind so marode, dass Prüfingenieure sie als „nicht ausreichend“ oder „ungenügend“ klassifizierten, wie die „Welt“ kürzlich anhand interner Daten des Verkehrsministeriums nachwies. Die Zahl der Fahreinschränkungen und Sperrungen nimmt laufend zu. Für weitere 38 500 Brücken ist der Sanierungsbedarf schon absehbar.

Schulen sind marode

Das Gleiche gilt für Tausende von Schul- und Universitätsbauten. Genauso schlecht steht es um das Bildungswesen insgesamt. Gerade mal 4,4 Prozent der Wirtschaftsleistung lassen sich Deutschlands Regierende die Ausbildung der Jugend in überfüllten Klassen und Hörsälen kosten. Das ist nicht mal der Durchschnitt der OECD-Länder. Mit anderen Worten: Die Überschüsse in den öffentlichen Kassen sind eine teure Illusion auf Kosten der jüngeren Generation. Die Politik der deutschen Sparstrategen ist alles andere als solide.

Noch schwerer wiegt der Schaden, den die Investitionsblockade jenseits der deutschen Grenzen stiftet. Denn mit ihrem Verzicht auf Investitionen vergeben Deutschlands Regierende ihr wichtigstes Instrument zur Stabilisierung der Eurozone. Die Dauerkrise der Währungsunion erwächst nicht zuletzt aus dem hohen Handelsungleichgewicht zwischen ihren Mitgliedsländern. Allein mit Spanien erzielten deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr einen Exportüberschuss von 12,3 Milliarden Euro, und das trotz des dortigen Tourismusbooms. Insgesamt häufte Deutschland 2015 sogar einen Überschuss von rund 230 Milliarden Euro an. Das sind 7,5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung, mehr als das für seine aggressive Exportpolitik gescholtene China.

Die Deutschen produzieren mehr als sie verbrauchen

Das heißt, die Deutschen produzieren viel mehr, als sie verbrauchen und verkaufen den Überschuss im Ausland. Je höher der wächst, umso größer fallen aber zwangsläufig die Defizite bei den Handelspartnern aus. Unvermeidlich akkumulieren daher auf den Konten deutscher Anleger die Forderungen gegenüber ausländischen Schuldnern. Das befeuert nicht nur die nächste Stufe der Schuldenkrise.

Das „schmutzige Geheimnis der deutschen Überschüsse“ sei zudem, „dass es meist erbärmliche Investments mit nicht-existenten Renditen sind“, spottete die „Financial Times“. So besteht der wesentliche Erfolg von Deutschlands regierenden Wirtschaftsnationalisten darin, Jahr für Jahr hunderte Milliarden Euro ins Ausland zu schleusen, während sie die eigene Infrastruktur verfallen lassen und ihre Jugend mit einem drittklassigen Bildungssystem abspeisen.

Es muss dringend investiert werden, auch auf Kredit

Folglich ist eine groß angelegte Ausweitung der staatlichen Investitionen dringend geboten, auch auf Kredit. Bei null Prozent Zins ist die Tilgung mittels höherer Steuereinnahmen garantiert. Die nötigen Bau- und Bildungsleistungen würden nicht nur die Nachfrage auch im europäischen Ausland steigern und so der Eurozone Stabilität bringen. Zugleich kann nur ein solches Programm den nächsten Generationen jenen Wohlstand sichern, den ihre Eltern noch genießen. Denn auch das ist eine eiserne Regel: Wer nicht investiert, verliert.

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