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Politik: Heuchler am Werk

Von Moritz Döbler

Der Niedergang des Klaus Christian Kleinfeld begann an einem Mittwoch im vergangenen November, als Polizei und Staatsanwaltschaft in der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München anrückten. Ob ihn oder seinen ebenfalls gestürzten Mentor Heinrich von Pierer eine Schuld im juristischen Sinne trifft, interessiert kaum noch. Siemens, die Ikone der deutschen Industrie mit fast einer halben Million Mitarbeitern in aller Welt, hat sich Lügnern, Heuchlern und Ganoven ausgeliefert – das darf als gesichert gelten. Von einer Bande spricht der Staatsanwalt. Hunderte von Millionen versickerten in schwarzen Kassen im Ausland, und im Inland schmierte man Betriebsräte.

Es sind zwar gehörige Skandale, die dazu führten, dass der Konzern jetzt ohne Führung dasteht. Dass aber erst Pierer zum Rücktritt genötigt wurde und dann Kleinfeld hinwarf, hat nur mittelbar mit diesen Skandalen zu tun; nur in dem Sinne, dass eben eins zum anderen kam. Man muss keine Verschwörungstheorien schmieden. Im Ergebnis hat der Apparat seine obersten Manager überdauert.

Als Klaus Kleinfeld vor zwei Jahren übernahm, da war er der aggressive, viel versprechende Hoffnungsträger aus den USA, der den Muff vertreiben sollte. Es war die Zeit, in der man die Überkreuzbeteiligungen deutscher Banken und Firmen steuerbegünstigt auflöste und die Deutschland AG beerdigte. Mehr Transparenz und schlankere Strukturen, um in der Globalisierung zu bestehen: Das war der Trend und Kleinfeld der Mann, der ihn verkörperte.

Er war für die Wirtschaft das, was Gerhard Schröder in seiner zweiten Legislaturperiode für die Politik oder Jürgen Klinsmann für den Fußball sein wollte: jemand, der den als notwendig erachteten Wandel kompromisslos umsetzt. „Fix it, sell it or close it“ – reparieren, verkaufen oder dichtmachen, lautete die Strategie. So hatte Jack Welch den amerikanischen Siemens-Konkurrenten General Electric an die Weltspitze geführt, und der jungenhafte deutsche Überflieger aus kleinen Verhältnissen wollte es ihm gleichtun. Er verschenkte die Handysparte, strukturierte vieles um, ließ kaum einen Stein auf dem anderen. Aber statt einer Hausmacht hatte er nur einen Übervater, ein paar Getreue und viele gute Argumente an seiner Seite. War er wirklich so naiv, zu glauben, dass glänzende Zahlen reichen, um sich durchzusetzen?

Dass er nun, im Moment seines dramatischen Abgangs, die selbst gesteckten Renditevorgaben übertroffen hat, mit denen er sein Schicksal verknüpft hatte, schmeckt bitter. Doch es sind diese Zahlen, die ihm anderswo eine neue Zukunft sichern werden und die ihn letztlich zum Rücktritt zwangen, um der schleichenden Demontage zu entgehen. Kleinfeld ist der moralische Sieger.

Den Siemensianern hilft das nichts. Ob Gerhard Cromme, Wolfgang Reitzle oder jemand anders , der neue Chef wird ehrgeizigere Ziele festlegen als sein Vorgänger, und sie werden sich nur über Stellenabbau im Inland erreichen lassen. Das muss auch und besonders in Berlin Angst machen: Jeder siebte Industriebeschäftigte in der Hauptstadt arbeitet bei Siemens, das Unternehmen zählt an seinem weltweit größten Fertigungsstandort rund 14 000 Beschäftigte.

Und mag Kleinfeld auch moralisch gesiegt haben, das Fressen haben zwei andere Supermanager in besonderer Niederträchtigkeit für sich entschieden. Der eine ist ausgerechnet der Mann, der mit dem „Corporate Governance Kodex“ ein Regelwerk für moderne, saubere Unternehmensführung geschaffen hat. Mit klassischen Indiskretionen, Machtproben und Täuschungsmanövern hat sich Gerhard Cromme bei Siemens an die Spitze des Aufsichtsrates gesetzt und nimmt womöglich bald sogar das Amt des Vorstandsvorsitzenden ein. Der Königsmörder macht Karriere, unterstützt von Josef Ackermann, Chef ausgerechnet jener Deutschen Bank, die eigentlich nichts mehr von der Deutschland AG wissen wollte, jetzt aber in neu entflammter Vaterlandsliebe Strippen zieht. Nicht dank großer Skandale, sondern dank großer Egos ist Siemens in einen kaum kontrollierbaren Strudel der Ereignisse geraten. So werden aus Siegern Verlierer.

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