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Politik: Hinter den Linden: Vormundschaft

Wenn früher einer behauptet hat, er höre Stimmen, dann hat man ihn zu einem Verleger geschleppt, um zu überprüfen, ob es sich nicht zufällig um einen genialischen Dichter handelt. Schüttelte der Verleger den Kopf, hat man den Hellhörigen sorgsam verschnürt und in eine einschlägige Heilanstalt gebracht.

Von Robert Birnbaum

Wenn früher einer behauptet hat, er höre Stimmen, dann hat man ihn zu einem Verleger geschleppt, um zu überprüfen, ob es sich nicht zufällig um einen genialischen Dichter handelt. Schüttelte der Verleger den Kopf, hat man den Hellhörigen sorgsam verschnürt und in eine einschlägige Heilanstalt gebracht. Wenn hingegen heute einer behauptet, er höre Stimmen, dann nicken alle verständnisvoll. Denn sie sind auch schon mit einem Aufzug gefahren, der mit sonorer Stimme verkündet hat: "Erd-ge-schoss".

Übrigens ist das bei Aufzügen eine nützliche Einrichtung, weil es den Blinden hilft. Ob es sinnvoll ist, dass Kopiermaschinen reden - schon zweifelhafter. Quasselnde Kopierer sind nämlich arg reparaturanfällig. Nicht wegen des Sprech-Chips. Sondern weil sie immer wieder wütende Fußtritte abbekommen, wenn sie im Oberlehrerton behaupten: "Vor-la-ge nicht for-mat-gerecht!"

Doch wie lange noch werden wir uns wehren, wenn sich Maschinen zu Vormündern aufschwingen? Längst weist im Auto eine sanfte Elektro-Dame den Weg, wahlweise für die Frau am Steuer ein 12-Volt-John-Wayne. Quäkende Helferlein warnen vor leerem Tank oder Glatteis. Den Sprecher des Finanzministeriums hat neulich sogar ein Adventskalender angebrüllt.

Der Kalender steht im Intranet des Ministeriums, und Thorsten Albig, neugierig, wollte vorab reingucken. Hat also in seinem Computer das Fensterchen vom 1. Dezember angeklickt - und sah sich sogleich wüst beschimpft: Was ihm einfalle, vor der Zeit ...! Im Finanzministerium, wir haben es befürchtet, haben die Rechenmaschinen das Sagen.

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