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Ein Mann sitzt mit einem Joint zwischen den Fingern am Steuer eines Autos.

© dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Höherer Grenzwert für Cannabis im Straßenverkehr: Verkehrsforscher Brockmann warnt vor mehr Unfällen

Der Unfallforscher Siegfried Brockmann fordert weiter Null Toleranz für Cannabis. Den neuen Grenzwert hält er für nicht praktikabel und ein fatales Signal.

Stand:

Seit dem 1. April darf Cannabis legal in Deutschland konsumiert werden. Für Kiffer bleibt jedoch ein gewichtiges Problem. Der strikte Grenzwert im Straßenverkehr.

Am kommenden Donnerstag will die Ampelkoalition nun im Bundestag das Straßenverkehrsgesetz ändern und den Grenzwert moderat anheben. Die Ampel folgt damit einem Vorschlag einer Expertenkommission von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Mit der Gesetzesänderung will die Ampelkoalition ein Cannabisverbot durch die Hintertür verhindern.

Der neue Grenzwert ist praktisch sinnlos.

Unfallforscher Siegfried Brockmann

Der Unfallforscher Siegfried Brockmann von der Björn-Steiger-Stiftung sieht dadurch eine Gefahr für die Verkehrssicherheit. Das Fahren unter Cannabis-Konsum werde zunehmen, wenn auch nicht in dramatischer Form, sagt er. Es werde dadurch einen moderaten Anstieg der Unfälle geben, wobei der Einfluss von Cannabis voraussichtlich nicht immer erkannt werden wird. Grund für Alarmismus gebe es allerdings nicht.

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Bei einer Kontrolle dürfen Autofahrer derzeit nicht 1,0 Nanogramm pro Milliliter vom Cannabis-Wirkstoff THC im Blut haben. Dieser Grenzwert wird oft noch Tage später überschritten, wenn die Konsumenten längst wieder nüchtern sind. Betroffene können auch kaum abschätzen, ob sie den Grenzwert überschreiten werden, denn der Wirkstoffgehalt in Cannabis-Produkten schwankt stark und jeder Körper baut die Droge anders ab. Mit zu viel THC im Blut drohen Geldstrafen, Punkte in Flensburg und Fahrverbote. Nun soll der Wert auf 3,5 Nanogramm angehoben werden.

Keine wirksamen Kontrollen

„Der neue Grenzwert ist praktisch sinnlos“, betonte Brockmann. Für den Konsumenten wie für die Polizei sei es weiter weitgehend unmöglich einzuschätzen, ob der Wert überschritten sei. Deshalb könnten Konsumenten wie Polizei mit dem Grenzwert nicht sinnvoll umgehen. Brockmann plädiert deshalb dafür, bei der kleinsten nachweisbaren Menge von 1,0 Nanogramm zu bleiben. Damit mache der Staat deutlich, dass es für Cannabis im Straßenverkehr eine Null-Toleranz gebe.

Die Polizei werde sich schwertun, die Einhaltung des Grenzwertes zu kontrollieren, erklärt Brockmann. Bisher mussten die Beamten lediglich Anzeichen für einen Cannabis-Konsum haben, um eine Blutprobe anzuordnen. Künftig müsse die Polizei im Hinblick auf den Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bei einer Blutprobe auch einen wahrscheinlichen Wert über 3,5 Nanogramm je Milliliter Blut erkennen können, erläutert Brockmann. Das sei vor allem bei länger zurückliegendem Konsum kaum möglich.

Cannabis ist weit verbreitet

Zugleich ist Cannabis in Deutschland weit verbreitet. Das zeigt eine Online-Umfrage unter 1300 Erwachsenen in Sachsen und Niedersachsen, die die Björn-Steiger-Stiftung zusammen mit dem Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS) durchgeführt hat.

Knapp 30 Prozent der Befragten gaben an, Cannabis-Produkte mindestens einmal im Monat zu konsumieren. Abstinent leben etwas mehr als 60 Prozent. Knapp 17 Prozent nehmen Cannabis täglich zu sich – ob als Joint, über Verdampfer oder mit Hasch-Keksen. Insbesondere Jüngere dürften nach der Legalisierung öfter zu Cannabis-Produkten greifen. 22,5 Prozent der unter 20-Jährigen geben an, dass die Legalisierung ihren Konsum wahrscheinlich erhöhen wird.

Brockmann beunruhigt, dass knapp ein Viertel der Konsumenten sich vorstellen kann, nach der Legalisierung unter Einfluss von Cannabis Auto oder Motorrad zu fahren, 13 Prozent sind bei dieser Frage unsicher. Nur knapp zwei Drittel der Konsumenten schließen das kategorisch aus. Kiffen und Fahren passten nicht zueinander, warnte er.

Unter jungen Konsumenten unter 30 trinken über die Hälfte zu Cannabis auch regelmäßig Alkohol, bei den unter 20-Jährigen über 70 Prozent. „Gerade die junge Altersgruppe ist auch unerfahren und leichtsinnig“, sagte Brockmann. „Cannabiskonsum und Autofahren, erst recht in Verbindung mit Alkohol, darf nicht wie ein Kavaliersdelikt erscheinen.“ Brockmann zeigte sich deshalb erleichtert darüber, dass die Ampelkoalition immerhin beim gleichzeitigen Konsum von Cannabis und Alkohol eine Null-Toleranz-Politik durchsetzen will. Wer nachweislich Cannabis und Alkohol konsumiert hat, dem soll es verboten sein, am Straßenverkehr teilzunehmen.

Kein wissenschaftlich sinnvoller Wert

Auch der Rechtsmediziner Reinhard Urban hält die Absenkung des Grenzwertes für falsch. „Cannabis beeinträchtigt die Aufmerksamkeit“, sagt der Vizepräsident des BADS. Konsumenten könnten relevante und irrelevante Informationen nicht unterscheiden und sich entsprechend nicht auf den Straßenverkehr konzentrieren.

Der Wirkstoff THC sorge für Muskelentspannung und beeinträchtige die Koordination, das sei beim Autofahren nicht ideal, sagte Urban flapsig. Es werde Jahrzehnte dauern, bis die Wissenschaft sinnvoll begründete Grenzwerte für den Cannabis-Konsum ermittelt habe.

Der Automobil-Club ADAC befürwortet hingegen den neuen Grenzwert. Er sei in dieser Höhe plausibel. „Es gibt bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass die Interessen der Verkehrssicherheit dadurch beeinträchtigt werden“, schreibt der ADAC in einer Stellungnahme für den Verkehrsausschuss des Bundestages, die dem Tagesspiegel vorliegt. Am Montag findet im Bundestag eine Anhörung dazu statt.

Eine gesetzgeberische Festlegung hält der ADAC im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für nötig, um einer unverhältnismäßigen Sanktionierung von Cannabiskonsumenten vorzubeugen. Zugleich müsse verhindert werden, dass die Anhebung des Grenzwerts mit einer Toleranz – am Steuer „bekifft“ fahren zu können – verwechselt werde.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft ist gegen die Erhöhung des Grenzwertes. Die Erhöhung sei ein Schritt in die falsche Richtung und mit der von der Bundesregierung verfolgten „Vision Zero“ zur Vermeidung schwerer und tödlicher Unfälle im Straßenverkehr nicht in Einklang zu bringen, heißt es in der Stellungnahme der Gewerkschaft, aus der das Redaktionsnetzwerk Deutschland zitiert.

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