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Politik: Human Right Watch prangert Folterpraxis der russischen Polizei an

Noch bevor Boris Botwinnik öffnen konnte, traten Polizeibeamte die Tür ein. "Mitkommen", lautete der harsche Befehl.

Noch bevor Boris Botwinnik öffnen konnte, traten Polizeibeamte die Tür ein. "Mitkommen", lautete der harsche Befehl. Auf der Wache erfuhr der 19-jährige Student der angewandten Mathematik an der Moskauer Lomonossow-Universität, dass ihm ein zwei Jahre zurückliegender Überfall auf eine Wechselstube zur Last gelegt wird, bei dem es zwei Tote gab. Als Botwinnik ein Geständnis verweigerte, stülpten die Beamten ihm eine Gasmaske über. Deren Sauerstoffzufuhr wurde periodisch unterbrochen, bis er die Tat zugab.

"Slonik" (kleiner Elefant) heißt im Polizeijargon die an Botwinnik erprobte Foltermethode. Bei russischen Vernehmern gang und gäbe, wie die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" nachweisen kann. Just zum Tag der Miliz stellte sie in Moskau einen Bericht mit dem Titel "Geständnis um jeden Preis" vor, der Folterpraktiken der russischen Polizei anprangert. Das 196 Seiten umfassende Dokument stützt sich auf Interviews von Betroffenen.

Faustschläge, Fußtritte und Behandlung mit dem "Demokratisator", wie der Gummiknüppel im Volksmund heißt, seien bei Vernehmungen die Regel, sagte der Exekutivdirektor von "Human Rights Watch", Kenneth Roth. Bei der "Elefanten"-Prozedur würden den Opfern zudem Schläge in den Magen verpasst, um sie zum Luftschnappen zu zwingen, was die Pein steigert.

Beliebt bei russischen Untersuchungsbeamten ist auch die "Lastotschka" (Schwalbe). Dabei werden die Opfer an den auf dem Rücken zusammengebundenen Händen aufgehängt und verprügelt. Häufig werden auch Elektroschocks angewendet, was mindestens zwei Opfer danach veranlasste, durch einen Sprung aus dem Fenster ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Ein Rechtsbeistand, der laut russischer Strafgesetzgebung bei Vernehmungen anwesend sein muss, wird den Beschuldigten meist verweigert. Auch die Richter wollen nach Erkenntnissen von "Human Rights Watch" meist gar nicht wissen, wie das Geständnis zustande kam.

Experten machen für die Folter vor allem den Erfolgszwang verantwortlich, unter dem die Polizisten auf den russischen Wachen stehen. Anfang der Neunziger lag die Aufklärungsrate bei Verbrechen unter 50 Prozent. Nach mehreren Kampagnen zur Verbrechensbekämfung zeigt die Statistik der vergangenen Jahre eine Besserung. Potemkinsche Dörfer, wie die Menschenrechtler angesichts der vorsintflutlichen Ausrüstung russischer Untersuchungsbeamter meinen. Um dennoch Erfolge melden zu können, kommt die Mehrheit der Geständnisse unter Zwang und Folter zustande. Andernfalls bleiben die überlebenswichtigen Prämien aus: Das Grundgehalt russischer Polizisten liegt bei 1500 Rubel monatlich. Das sind knapp 110 Mark.

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