zum Hauptinhalt

Politik: "Ich habe keine persönlichen Ambitionen" - Andreas Nachama, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Berlin, im Interview

Andreas Nachama (47) ist seit gut zwei Jahren der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Berlin, der größten in der Bundesrepublik. Der promovierte Judaist und Historiker galt bislang als einer der Kandidaten für die Nachfolge von Ignatz Bubis, dem vor 14 Tagen gestorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Andreas Nachama (47) ist seit gut zwei Jahren der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Berlin, der größten in der Bundesrepublik. Der promovierte Judaist und Historiker galt bislang als einer der Kandidaten für die Nachfolge von Ignatz Bubis, dem vor 14 Tagen gestorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Mit Andreas Nachama sprach Malte Lehming.

Herr Nachama, wer sollte Nachfolger von Ignatz Bubis werden?

Die Lücke, die vor sieben Jahren Heinz Galinski und nun Ignatz Bubis hinterlassen hat, ist deshalb groß, weil beide eine moralische Position eingenommen haben. Sie waren Zeugen dieses Jahrhunderts, und als solche hatten sie und ihre Aussagen Gewicht. Ein Nachfolger aus der nächsten Generation hätte das nicht. So lange es also Personen gibt, die aus der Generation der Überlebenden der Shoah stammen, sollte man auf die nicht verzichten.

Und falls keiner von denen kandidiert?

Dann muss sich der Zentralrat der Juden in Deutschland neu definieren. Die Autorität des Präsidenten erwächst ihm dann nicht mehr aus dem Schicksal seiner Person, sondern sie muss aus seinem Wissen erwachsen. Ein Vertreter der zweiten Generation müsste sich nicht nur im Judentum auskennen, sondern auch in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Muss der Präsident eines Fußballvereins Fußball spielen können?

Er sollte von Fußball zumindest etwas verstehen. Sonst funktioniert das nicht. Heinz Galinksi und Ignatz Bubis haben die Geschichte erlebt, aber die Nachgeborenen müssen sie sich aneignen. Es wird nicht reichen, irgendwann mal die Taschenbuchausgabe vom Talmud in der Hand gehabt zu haben.

Nur ein kluger und integrer Mensch zu sein, das reicht nicht?

Ich meine nein. Es muss auch ein Fundus an Wissen vorhanden sein.

Warum ist das so wichtig?

Wenn das Judentum die Shoah wirklich überleben und nicht nur das physische Überleben von Juden fortführen will, dann muss es eine Art jüdischer Erneuerung geben, eine Rückbesinnung auf das Judentum. Das allerdings wird vor allem in Deutschland eine sehr, sehr schwierige Aufgabe. Denn für viele Juden war Auschwitz in den vergangenen Jahrzehnten ein vorrangiger Bezugspunkt.

Was folgt daraus für die künftige Arbeit des Zentralrats?

Was den Zentralrat bisher geeint hat, nämlich das gemeinsame Schicksal aller Holocaust-Überlebenden, wird es nicht mehr lange geben. Die Überlebenden sterben aus. Der Bindekitt, der diese Organisation zusammengehalten hat, wird brüchig, wenn keine religiösen Inhalte eine neue Dimension der Gemeinsamkeit schaffen.

Das klingt eher nach Revolution als nach Reformation.

Nach dem Tod von Ignatz Bubis wird nichts mehr so sein, wie es war. Der Einschnitt ist vielleicht sogar tiefer als nach dem Tod von Heinz Galinski. Auf der personellen Ebene befindet sich der Zentralrat in seinem tiefsten Umbruch seit 1945.

Wie politisch kann der Zentralrat bleiben?

Eine jüdische Gemeinde in der Bundesrepublik kann sich nicht anders definieren als auch politisch, nicht parteipolitisch, zu wirken. Man kann in dieser Republik nicht zulassen, dass Skinheads Ausländer verprügeln, dass Ewiggestrige das Sagen haben, weil sich keiner traut, denen entgegenzutreten. Wenn das Schule macht, dann ist diese Republik verloren.

Möchten Sie selber der Nachfolger von Ignatz Bubis werden?

Ich habe keine persönlichen Ambitionen. Außerdem gehöre ich nicht dem Präsidium des Zentralrats an. Aber ich kann versuchen, durch Gespräche, Ratschläge und Ideen auf den Prozess der Nachfolge-Findung Einfluss zu nehmen.

Sie haben an der Beerdigung von Ignatz Bubis in Tel Aviv teilgenommen. Möchten Sie eines fernen Tages ebenfalls in Israel bestattet werden?

Ich respektiere natürlich den Wunsch eines jeden Juden, sich aus religiösen Gründen in Israel bestatten zu lassen. Aber grundsätzlich meine ich, ein Jude sollte dort beerdigt werden, wo sein Lebensmittelpunkt ist. Von einem Beerdigungs-Tourismus halte ich wenig. Israel ist in meinen Augen kein jüdischer Friedhof, sondern ein Land, in dem man lebt. Und diejenigen, die dort gelebt haben, sollen da auch beerdigt werden.

Herr Nachama[wer sollte Nachfolger von Ignatz Bub]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false