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Politik: „Ich möchte keinen neuen Mythos“

Ulrike Meinhofs Gehirn – ihre Tochter Bettina Röhl sieht den Versuch, den RAF-Terror zu entsorgen

Frau Röhl, haben Sie gewusst, dass das Gehirn Ihrer Mutter Ulrike Meinhof 1976 nicht mit dem Leichnam beerdigt wurde?

Nein, das habe ich nicht gewusst.

Wann und wie haben Sie davon erfahren?

Das war Mitte Oktober. Professor Bogerts rief bei meinem Vater Klaus Röhl an und sagte: „Herr Röhl, ich habe hier das Gehirn von Ulrike Meinhof.“ Daraufhin habe ich Herrn Bogerts sofort geschrieben und gefragt: 1. Ist es wahr, dass Sie das Gehirn von Ulrike Meinhof haben? 2. Auf welcher Rechtsgrundlage haben Sie es? 3. Welche Forschungen kann man nach 26 Jahren daran überhaupt noch seriös machen?

Was hat Bogerts zur Rechtsgrundlage gesagt?

Nichts Spezifisches. Jürgen Peiffer (Der Tübinger Forscher Peiffer hat Meinhofs Gehirn 1976 obduziert, Red.) hat mich zurückgerufen und gab mir gegenüber den älteren, jovialen Mediziner, der mir alles erklären wollte. Bevor er mir irgendetwas über den Hergang der Dinge erzählt hat, verwickelte er mich in ein Gespräch über die Gehirne des Mehrfachmörders Wagner und Ulrike Meinhofs und versuchte mich für seine Forschung und PappschachtelGehirne zu begeistern.

Hat Peiffer sich zu der Frage geäußert, wie das Gehirn nach Magdeburg gekommen ist?

Bogerts sagte mir, er habe das Gehirn 1997 von Peiffer bekommen. Er hätte daran neue Forschungen angestellt, die die Forschungsergebnisse von Peiffer von 1976 bestätigen.

Hat Peiffer Ihnen mitgeteilt, ob er an dem Gehirn weiter forschen wolle?

Peiffer selber wollte offenbar keine neuen Forschungen anstellen. Zur Rechtslage sagte er, er hätte sich mit der Staatsanwaltschaft Stuttgart in Verbindung gesetzt und gefragt, ob er nochmal seine alten Ergebnisse von 1976 veröffentlichen dürfte. Die Anfrage bezog sich explizit nicht darauf, neue Schnitte machen oder das Gehirn an Dritte weiterreichen zu dürfen. Die Staatsantwaltschaft Stuttgart antwortete auf die Anfrage, die allerdings erst aus August 2002 datiert, also fünf Jahre nachdem der emeritierte Professor das Gehirn nach Magdeburg heimlich weiter gegeben hatte, dass sie gegen weitere Veröffentlichungen nichts einzuwenden habe. Allerdings müsste sich der Professor um die fortbestehenden Persönlichkeitsrechte von Ulrike Meinhof selber bemühen. Diesen Vorgang hat mir die Staatsanwaltschaft schriftlich bestätigt. Jedoch haben sich weder Peiffer, noch Bogerts, noch der „Spiegel“, der sich über die Rechte bei der Staatsanwaltschaft gar nicht erkundigte, um die Persönlichkeitsrechte gekümmert.

Was ist Ihr Ziel?

Zunächst habe ich die Rechtsgeschichte des Gehirns zu klären versucht, dann habe ich versucht, mit Rechtsmitteln die Gehirn-Geschichte, von der ich über Bogerts wusste, dass sie bald im „Spiegel“ erscheinen wird, zu verhindern, was nun nicht mit Hilfe des Gerichtes, sondern alternativ dann mit Hilfe meiner Veröffentlichung in der „Magdeburger Volksstimme“ auf ganzer Linie gelungen ist. Und natürlich ist mein Ziel, dass das Gehirn ordnungsgemäß beerdigt wird.

Warum wollten Sie den „Spiegel“-Bericht verhindern?

Stellen Sie sich vor, Ihre tote und beerdigt geglaubte Mutter würde Ihnen in einer Pappschachtel, umstellt von gierigen „Spiegel“-Journalisten, präsentiert. Ich hoffe, dass Sie, gelinde gesagt, geschockt wären. Der „Spiegel“ ist in unsere Persönlichkeitsrechte eingedrungen. Er hat sich weder mit meiner Schwester noch mit mir in Verbindung gesetzt und in einem Anruf bei Klaus Röhl diffus nach Persönlichkeitsstörungen von Ulrike Meinhof gefragt und dabei verschwiegen, dass dem „Spiegel“ quasi das Gehirn der Ex-Ehefrau in Händen hält. Dieser unmenschlichen Vorgehensweise wollte ich, wenn ich sie nicht verhindern kann, etwas entgegensetzen. Es dem „Spiegel“ zu überlassen, die Meinung über Ulrike Meinhofs Gehirn zu veröffentlichen, ist aus vielen Gründen falsch. Das Magazin hat 30 Jahre aktiv an dem Mythos Meinhof mitgebastelt. Der „Spiegel“ hat sie als „gute Terroristin“ hochgeschrieben. Selbst Rudolf Augstein hat über Ulrike Meinhof gesagt, sie sei eine bemerkenswerte Frau.

Das hört sich aber nicht ganz so schlecht an.

Es hört sich auch nicht schlecht an, wie ich die Geschichte in der „Magdeburger Volksstimme“ als Erste auf die Fakten bezogen geschrieben habe. Der „Spiegel“ dagegen kommt jetzt mit einer scheinfaktischen und demagogischen „Schlächter-Pistole“, in der genüsslich beschrieben wird, wie das Gehirn von Ulrike Meinhof zerschnibbelt wird mit einem von vorneherein geschichtsklitternden Ansatz, was die notwendigen Interpretationen anbelangt und damit unter völliger Missachtung der Persönlichkeitsrechte und der Totenruhe. Wenn jetzt der „Spiegel“ kommt und mit seiner eigenen RAF-Vergangenheit nichts mehr zu tun haben will, interpretieren die früheren RAF-Verteidiger und Sympathisanten wie Stefan Aust, Otto Schily, Joschka Fischer einen neuen Mythos. Der ganze linke Terror soll jetzt in das kranke Gehirn von Ulrike Meinhof hineinbefördert und so elegant entsorgt werden.

Wie würden Sie Ihre Mutter in wenigen Worten charakterisieren?

Ich habe im „Spiegel-Reporter“ im März 2001 nicht zum Gefallen der Meinhof-Mythologen gesagt, dass sich Ulrike Meinhof zu 100 Prozent geirrt hat. Ich habe in meinem Buch „Sag mir, wo du stehst“, das noch nicht veröffentlicht ist, einen großen Teil der eben auch kranken Biografie meiner Mutter beschrieben, wie sie Zeitzeugen erzählen und wie ich sie persönlich erlebt habe. Ein biografischer Teil, an dem Professor Bogerts zuletzt großes Interesse angemeldet hat, da den Professoren nach eigener Aussage die Anamnese fehlt. Wenn eine 27-jährige und begabte Journalistin eine Gehirnoperation über sich ergehen lässt und die Medizin einen Fehler macht oder noch nicht so weit war, das Problem in den Griff zu bekommen, muss das berücksichtigt werden. Wenn der Blutschwamm im Kopf meiner Mutter tatsächlich eine Ursache für das Abdriften in den Terror war, ist ihre Schuld anders zu bewerten. Ich möchte, dass Ulrike Meinhof so gesehen wird, wie sie war. Ich möchte keinen neuen Mythos mehr akzeptieren.

Das Gespräch führte Lutz Haverkamp.

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