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Politik: Im Teufelskreis des Traumas

Leiter der Beratungsstelle für Diktaturopfer: Rückschläge bei Betroffenen durch Auftritte von Stasi-Leuten

Von Matthias Schlegel

Berlin - Angesichts jüngster Versuche ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, die Tätigkeit des DDR-Geheimdienstes zu verharmlosen, hat Stefan Trobisch-Lütge, Leiter der Beratungsstelle „Gegenwind“ für politisch Traumatisierte der DDR- Diktatur, vor den Folgen für die Opfer von Repression und Verfolgung gewarnt. Solche Auftritte und der unbeholfene Umgang der Politik damit seien „für die Psyche der Verfolgten ein ernst zu nehmender Rückschlag“, sagte Trobisch- Lütge dem Tagesspiegel.

Die 1998 in Berlin gegründete Beratungsstelle, die jedes Jahr etwa tausend Traumatisierte betreut, verzeichnet auch 16 Jahre nach dem Ende der DDR immer noch neue Fälle. Weil die Betroffenen äußerst sensibel, „geradezu seismographisch“ auf öffentliche Debatten und politische Entscheidungen reagierten, brächen oft auch alte Traumata wieder auf. Nicht selten bewegten sich die Opfer politischer Repression dabei in einem Teufelskreis: Die durch äußere Umstände hervorgerufenen „Wellen der Empörung“ äußern sich nach Trobisch-Lütges Erfahrungen bei den Betroffenen in „feindlichen, aggressiven Durchbrüchen und massivem Misstrauen, das auf der anderen Seite in der Gesellschaft Ablehnung produziert, was die Betroffenen wiederum in ihrem Verfolgungssyndrom bestärkt“.

Der Diplom-Psychologe, Verfasser des Buches „Das späte Gift – Folgen politischer Traumatisierung in der DDR und ihre Behandlung“, sieht es als problematisch an, dass die politisch Verfolgten „permanent ihre psychischen Leiden hervorkramen müssen“, damit sie weiter Leistungen aus dem Rehabilitierungsgesetz erhalten. Er plädiert deshalb nachdrücklich dafür, eine Ehrenpension einzuführen – eine verlässliche Zuwendung, die die Achtung gegenüber den Opfern politischer Verfolgung zum Ausdruck bringt.

Politische Häftlinge seien in der DDR „besonders übel behandelt“ worden, sagt Trobisch-Lütge. Sie standen in der Insassenhierarchie ganz unten und wurden oft mit Schwerkriminellen zusammengepfercht. Zwar hätten seit den 70er Jahren die körperlichen Übergriffe abgenommen. Dafür sei aber die psychische Folter intensiviert worden. Traumata entwickelten sich daraus, dass die „Politischen“ dem gesamten Zersetzungsapparat ausgesetzt waren. Zunächst wurde versucht, sie „zu drehen“, sie also zu bewegen, ihrem widerständigen Verhalten abzuschwören oder gar mit der Stasi zu kooperieren. Ihre sozialen, familiären, integrativen Wurzeln wurden zerstört. Ihre Situation wurde absichtlich undurchschaubar gehalten. Die Methoden für diese Strategien lieferte der Bereich „Operative Psychologie“ der Potsdamer Stasi-Hochschule.

Trobisch-Lütge wird immer wieder mit der ganzen Perfidie des Machtapparates konfrontiert. Da ist die Frau, die nur zur Geburt ihres Kindes aus der Haft entlassen wird und wieder einrücken muss, nachdem ihr das Neugeborene durch Zwangsadoption genommen worden ist. Da ist der inhaftierte Sohn, dem erzählt wird, die Mutter habe sich aus Verzweiflung über sein Verhalten umgebracht, obwohl sie tödlich verunglückt war. Da sind die Häftlinge, bei deren Verhören die Vernehmer mit der Pistole spielen.

Der Psychologe spricht von „prinzipiellen Versäumnissen in der moralischen Aufarbeitung“ des SED-Regimes. Man habe es den Tätern zu leicht gemacht. Damit will er nicht einer Siegerjustiz das Wort reden – er fordert eine „verantwortungsvolle Politik gegenüber den Betroffenen“. In diesem Sinne sei die neu aufgeflammte Debatte durchaus zu begrüßen.

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