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Politik: Im Wandel gerecht Von Gerd Appenzeller

Zwischen Leipzig und Dresden liegen rund 100 Kilometer. Zwischen 2003 und 2006 sind drei Jahre vergangen.

Zwischen Leipzig und Dresden liegen rund 100 Kilometer. Zwischen 2003 und 2006 sind drei Jahre vergangen. Aber zwischen dem CDU-Parteitag in Leipzig im Jahre 2003 und dem, der heute in Dresden beginnt, können Welten liegen. Morgen Abend werden wir es wissen.

Leipzig 2003, das war nach dem Urteil eines Christdemokraten, der zur Führungsriege der Union gehört, ein „Putsch von oben“. In Leipzig beschloss die CDU einen Umbau der sozialen Sicherungssysteme. Sie wollte das Gesundheitswesen vom Beitrag auf eine Kopfpauschale umstellen, und Friedrich Merz präsentierte unter dem Jubel der Delegierten sein genial klingendes Steuervereinfachungskonzept, nach dem man seine Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen konnte. Norbert Blüm wurde in Leipzig verhöhnt und ausgebuht. In Leipzig, das dämmerte den Delegierten erst später, hatte sich die CDU für die FDP koalitionskonform gemacht.

Was draus wurde, wissen wir. Es war ja nicht nur der von Gerhard Schröder polemisch als „der Professor aus Heidelberg“ apostrophierte Paul Kirchhof, der die Union den sicher geglaubten Wahlsieg kostete, sondern der Hauch sozialer Kälte, den viele Wähler zu spüren glaubten. Völlig logisch entdeckte ein Jahr später der Düsseldorfer Parteitag der Christdemokraten, dass es da auch noch so etwas wie Gerechtigkeit gibt und dass die tatsächliche oder auch nur vermutete Vernachlässigung der „sozialen Gerechtigkeit“ jede Volkspartei die Mehrheitsfähigkeit kostet.

Bislang hat Angela Merkel jede Debatte über die Gründe der Wahlschlappe von 2005 zu verhindern gewusst, aber Rüttgers Antrag zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für ältere Beschäftigungslose könnte zum Auslöser einer solchen Ursachenforschung werden. Was an deren Ende stehen dürfte, ist vorhersehbar: Die CDU muss sozialer werden. Aber wie vermeidet sie, dann zur besten SPD aller Zeiten zu mutieren, nachdem die Sozialdemokraten, allen voran Franz Müntefering, vorgeben, der Schröderschen Reformagenda 2010 treu bleiben zu wollen? Dieses Abgleiten ins Sozialromantische – für das Jürgen Rüttgers zu stehen scheint – will Günther Oettinger verhindern. Die Union in Baden-Württemberg hat wie die Nordrhein-Westfalens einen grundsätzlichen Antrag eingebracht, in dem sie noch einmal, ganz in der Linie des Leipziger Parteitages, das Gewicht auf den Freiheitsbegriff legt.

Rüttgers und Oettinger stehen symbolhaft für die zwei Grundströmungen in der CDU. Oettinger sagt, die beste Sozialpolitik sei jene, die jedem, der arbeiten wolle und könne, auch einen Arbeitsplatz anbietet. Das unterschriebe sicher auch Rüttgers. Der weiß aber, dass 60-Jährige, die ihren Job verlieren, derzeit von niemandem einen neuen Arbeitsplatz angeboten bekommen. Und dass sie, bis die Rente gezahlt wird, trotz der Freibeträge an das fürs Alter Gesparte gehen müssen, im Gegensatz zu Jüngeren aber keine Chance haben, noch ein weiteres Mal Geld zurückzulegen. Weil wir in einer alternden Gesellschaft leben, gibt es viele, die froh über Christdemokraten wie Rüttgers sind, auch wenn ihnen die Lösung im Sinne Oettingers mit Sicherheit sympathischer wäre. Noch tut die SPD so, als sei dies nur ein Streit innerhalb der Union. Spätestens zum nächsten Bundestagswahlkampf werden die Sozialdemokraten aber auf Rüttgerslinie sein, darauf kann man wetten.

Zum offenen Konflikt zwischen Rüttgers und Oettinger wird es kaum kommen, die hinter ihnen stehenden Landesverbände haben sich wechselseitig Unterstützung zugesichert. Aber wenn die CDU die nächsten Wahlen gewinnen will, wird sie klug beraten sein, als politisch einseitig empfundene Festlegungen wie 2003 in Leipzig zu vermeiden. Wie richtig die Tendenz der – von der Union mitgetragenen – Schröderschen Reformen war, zeigt jedoch der konjunkturelle Aufschwung der letzten Monate. Aber auf dem Weg zum erhofften Wahlsieg muss die CDU stärker das Gefühl vermitteln, es ginge auch im Wandel gerecht zu. Dafür braucht sie Politiker wie Rüttgers.

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