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Politik: Immer weniger Menschen sind lebenslang vollzeitbeschäftigt

Viele Arbeitsleben werden künftig so aussehen: Lehre oder Studium, die ersten Jahre freie Mitarbeit auf Honorarbasis, Arbeitslosigkeit, anschließend einige befristete mäßig bezahlte Jobs, Versuch einer Existenzgründung als Selbstständiger, nach vier Jahren gescheitert, erneute Arbeitslosigkeit, Umschulung oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, danach festangestellte Arbeit, diesmal gut bezahlt und unbefristet, jenseits des 58. Lebensjahres dann Teilzeit bis zum Ruhestand.

Viele Arbeitsleben werden künftig so aussehen: Lehre oder Studium, die ersten Jahre freie Mitarbeit auf Honorarbasis, Arbeitslosigkeit, anschließend einige befristete mäßig bezahlte Jobs, Versuch einer Existenzgründung als Selbstständiger, nach vier Jahren gescheitert, erneute Arbeitslosigkeit, Umschulung oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, danach festangestellte Arbeit, diesmal gut bezahlt und unbefristet, jenseits des 58. Lebensjahres dann Teilzeit bis zum Ruhestand. Diskontinuierliche oder unstetige Erwerbsverläufe nennen dies die Rentenfachleute der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Was bislang für die Arbeitsbiographien von Frauen typisch ist, wird in Zukunft vermehrt auch Männer treffen: Die Zahl der Erwerbstätigen mit "Normarbeits"-Biographien schwindet; die Zeiten unbefristeter Vollzeitbeschäftigung erfahren immer häufigere Unterbrechungen. Die Folge: Mehr und mehr Menschen mit gestückelten Beschäftigungsphasen erreichen das Rentenalter.

Die gesetzliche Rentenversicherung ist auf diesen Wandel in der Arbeitswelt kaum vorbereitet. Denn die Leitidee des deutschen Rentenrechtes ist unverändert der lebenslang vollzeitbeschäftigte männliche Alleinernährer. Er fährt mit den geltenden Regelungen am besten. Wer dagegen Lücken in seinen Rentenbeiträgen hat oder Jahre mit niedrigen Einzahlungen, wer lange arbeitslos war oder aus familiären Gründen ausgesetzt hat, muss empfindliche Einschnitte bei seiner Altersversorgung hinnehmen.

Um diesen Effekt zu mildern, schlägt der Leiter des BfA-Referats für Entwicklungsfragen, Reinhold Thiede, vor, so genannte flexible Anwartschaften einzuführen. Nach diesem Modell würde der Hauptteil der Rentenabgaben während versicherungspflichtiger Beschäftigungsphasen unverändert als normale Anwartschaften verbucht, ein kleinerer Teil allerdings beiseite gelegt als disponibler Beitrag, der sich später zum Auffüllen von Lücken einsetzen ließe. Jeder, der fünf oder sechs Jahre voll einzahlt, bekommt ein flexibles Jahr gutgeschrieben. Lebenslang fünf solcher Verfügungsjahre sieht der in der BfA entwickelte Reformplan maximal vor. Und wer durch dieses Guthaben Anwartschaften auffüllt oder glättet, dessen Rente fällt am Ende höher aus.

"Es geht um die Absicherung eines neuen sozialen Risikos", erläutert Thiede. Flexibilität im Arbeitslebens sei volkswirtschaftlich erwünscht. Denn der ökonomische Erfolg einer Nation hänge immer stärker davon ab, ob ihr Arbeitsmarkt anpassungsfähig und reaktionsschnell ist. Mit flexiblen Anwartschaften könnte die Rentenversicherung darum richtige Anreize setzen für die ökonomische Entwicklung und dazu beitragen, "den Strukturwandel in unserer Gesellschaft sozialverträglich zu gestalten". Die Botschaft an die Risikofreudigen unter den Bürgern hieße: "Es ist nicht allein euer privates Wagnis, flexibel zu sein. Die Solidargemeinschaft trägt dieses Risiko mit."

Soweit die Idee - bestechend und von allen politischen Lagern mit Lob bedacht. Doch wo soll das Geld herkommen? Weder ein höherer Bundeszuschuss, noch höhere Rentenbeiträge kommen in Frage. Bleibt eine Umverteilung zwischen den Rentnergruppen. Die meist männlichen Versicherten mit lückenlosen Erwerbsverläufen müssten unter dem Strich Abstriche bei ihren Altersbezügen in Kauf nehmen, von denen dann die Rentenaufschläge aus den flexiblen Anwartschaften - überwiegend zugunsten der Frauen - finanziert würden. Nach den Kalkulationen von Thiele bedeutet dies für den heutigen männlichen Durchschnittsrentner mit 1950 Mark einen Abzug von 40 Mark pro Monat. Im Vergleich dazu würden sich weibliche Durchschnittssenioren um etwa 100 auf 940 Mark verbessern. Flexible Anwartschaften würden heutzutage in erster Linie die Frauenrenten verbessern, für die Zukunft jedoch funktionieren sie allgemein wie eine Versicherung gegen die Unbilden des Arbeitsmarktes. "Das ist wie bei einer Haftpflichtversicherung", erläutert Thiele. Auch ein Autobesitzer wisse nicht im Vorhinein, ob er seine Prämien "umsonst" zahle. Genauso verhalte es sich mit dem Angestellten, der am Ende seines Erwerbslebens bilanzieren könne, keine Beschäftigungslücken erlebt zu haben. Er hätte zwar im Leben Glück gehabt, dafür aber einen Teil seiner Anwartschaften "umsonst" gezahlt, damit aus diesen die Rentenzuschläge der flexiblen Anwartschaften finanziert werden können.

Die Politik reagierte auf die neuen Ideen grundsätzlich positiv. Die Rentenexpertin der Unionsfraktionen, Maria Böhmer, sieht Ansatzpunkte, "den veränderten Lebens- und Erwerbsverläufen junger Menschen Rechnung zu tragen." Ulrike Mascher, Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium, lobt, das Modell der BfA sei ein attraktiver Vorschlag, intelligent, kreativ und sozialpolitisch interessant. Ungeklärt sei für sie jedoch, wie man die Abzüge bei Vollrenten aus kontinuierlichen Versicherungszeiten rechtfertigen könne. Wenn es um Ausfallzeiten für Kindererziehung oder Teilzeitphasen gehe, sei das gesellschaftlich noch vermittelbar, argumentiert sie. "Was aber ist mit Sabbatjahren, Arbeitslosigkeit nach fehlgeschlagener Selbstständigkeit oder mit einem vierten Erziehungsjahr?" Dies seien private Entscheidungen. Flexible Lebensplanung dieser Art durch die Allgemeinheit absichern zu lassen, "da sehe ich Probleme".

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