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Indien: Dschihad im Gandhi-Land?

Nach den Anschlägen in Neu-Delhi wächst in Indien die Angst vor radikalen Muslimen.

Die E-Mail, die elf Minuten nach der ersten Bombe bei indischen Medien einging, trug die Betreffzeile „Nachricht des Todes“. Und sie begann mit dem Vers „Auge um Auge“. Dazu zeigte sie das Foto eines Muslims, der während der Pogrome im indischen Bundesstaat Gujarat 2002 um sein Leben fleht. In Gujarat hatten damals Hindu-Fanatiker rund 2000 Muslime getötet. „Im Namen Allahs schlagen die Indischen Mudschaheddin ein weiteres Mal zurück“, hieß es am Samstag nun in der Bekenner-Mail.

Innerhalb von nur vier Monaten hat zum vierten Mal eine blutige Bombenserie, für die die „Indischen Mudschaheddin“ die Verantwortung übernahmen, Indien erschüttert. Und diesmal schlugen die Täter im Zentrum der Macht, in der Hauptstadt Neu-Delhi, unter den Augen der Regierung zu. Binnen 45 Minuten explodierten am Samstag fünf Sprengsätze in der 14-Millionen-Metropole. Mindestens 20 Menschen starben, 100 wurden verletzt.

An den Tatorten spielten sich Szenen des Grauens ab. Blutüberströmte Verletzte irrten unter Schock und um Hilfe schreiend umher, Anwohner und Polizisten trugen Verletzte mit bloßen Händen in Sicherheit. In Lieferwagen und Rikschas wurden die Opfer zu den Krankenhäusern gebracht. Auf dem Straßenpflaster lagen Leichen. Die Hauptstadt schien wie gelähmt.

Die meisten Bomben waren diesmal in Mülleimern versteckt. Die Täter hatten Tatorte und Zeit mit zynischer Sorgfalt ausgesucht. Sämtliche Sprengsätze waren an Märkten oder in Parks platziert, an denen sich Samstagabends, wenn die schlimmste Hitze nachlässt, Menschenmassen drängeln. Einige Orte sind auch bei Ausländern und Touristen beliebt, wie etwa der Connaught Place im Herzen der Stadt.

Einen Tag nach den verheerenden Anschlägen nahm die Polizei am Sonntag neun Verdächtige fest. Ein Elfjähriger könnte der wichtigste Zeuge sein. Rahul, ein Luftballon-Verkäufer, will beobachtet haben, wie zwei bärtige Männer Plastiktüten in einem Mülleimer deponierten, bevor sie den Tatort eiligst verließen. Vier Sprengsätze konnten entschärft werden, einer davon am Wahrzeichen Neu-Delhis, dem India Gate.

Politiker und Geheimdienste sahen wie immer ausländische Kräfte hinter der Attacke. Doch die Sorge wächst, dass in Indien eine kleine Gruppe radikalisierter Muslime erstarkt, die nun den Dschihad auch ins Gandhi-Land trägt. Es ist bereits die vierte Anschlagsserie nach diesem Muster. Am 13. Mai hatte zunächst eine Bombenwelle die Touristenstadt Jaipur erschüttert, im Juli folgten Bangalore und dann Ahmedabad, die Hauptstadt von Gujarat. Insgesamt starben dabei 120 Menschen.

Bis heute wissen die Geheimdienste wenig über die „Indischen Mudschaheddin“. In Bekenner-Mails nannten diese Rache für das Blutbad von Gujarat als Motiv. Gujarat wird bis heute von Narendra Modi regiert, einem Hardliner der Hindu-Partei BJP, dem man vorwirft, das Massaker gedeckt zu haben. Polizisten sollen tatenlos zugesehen haben, wie Muslime verbrannt und zerhackt wurden.

Das Pogrom hat viele Muslime zutiefst verbittert. In Indien leben um die 150 Millionen Muslime. Der Großteil von ihnen gehört gemäßigten Strömungen des Islam an. Die „Indischen Mudschaheddin“ sollen eine Splittergruppe der verbotenen Islamischen Studentenbewegung Indiens (Simi) sein, der wiederum Kontakte zur angeblich von Pakistan geförderten Terrorgruppe Lashkar-e-Toiba nachgesagt werden.

Indien ist Ziel verschiedenster Terrorgruppen. Zwischen Januar 2004 und März 2007 starben nach Angaben amerikanischer Terrorexperten insgesamt 3674 Menschen in Indien bei Anschlägen.

Christine Möllhoff[Neu-Delhi]

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