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Indien und China: Blühender Handel, alte Konflikte

Der Handel zwischen China und Indien blüht. Doch auch florierende Geschäfte vermögen nicht von alten Konflikten abzulenken: Der alte Grenzkonflikt zwischen den beiden Streithähnen hat sich stetig zugespitzt.

Der Handel zwischen den beiden Riesenreichen Asiens, China und Indien, blüht, doch auch florierende Geschäfte vermögen nicht von alten Konflikten abzulenken: Über die vergangenen Monate hat sich der alte Grenzkonflikt zwischen den beiden Streithähnen stetig neu zugespitzt. Die 3500 Kilometer lange gemeinsame Grenze durch die Tibetische Hochebene entlang der Himalaja-Gebirgszüge gilt seit dem Kurzkrieg von 1962 als umstritten, als Chinas Volksbefreiungsarmee weite, strategisch wichtige Gebiete erobert hatte. Seither sieht Indien seine territoriale Integrität verletzt.

Die Gebirgsmassive würden nicht länger als natürliche Pufferzone dienen, der gigantische Nachbar versuche jetzt, seine Vormachtstellung in Asien auszubauen. Doch dass Indien einen Besuch des Dalai Lama an der umstrittenen Grenze dulden will, ist für China eine offene Provokation. Der im indischen Dharamsala exilierte Führer der Tibeter plant offenbar im November eine Reise nach Tawang zu einem der heiligsten Tempel des tibetischen Buddhismus, der ausgerechnet nahe der tibetischen Grenze liegt.

Obschon zwischen den beiden volkreichsten Nationen der Welt seit Jahrzehnten ein spannungsreiches Verhältnis herrscht, beschränkt sich die Animosität auf die politische Ebene. Der bilaterale Handel blüht. China ist mittlerweile zu Indiens größtem Wirtschaftspartner aufgestiegen. Seit dem Jahr 2000 hat sich das Handelsvolumen verdreißigfacht, nächstes Jahr soll die 60-Milliarden-US-Dollar- Schwelle genommen werden. Ein Krieg ist unwahrscheinlich, doch 13 weitgehend erfolglose Gesprächsrunden über die vergangenen Jahre ohne Kompromissbereitschaft erinnern daran, wie fragil Frieden entlang vieler Grenzen der Region bleibt. Die ganze Lage verkompliziert noch, dass die beiden auch um Einfluss in Zentralasien und dem Indischen Ozean buhlen, während sich Neu-Delhis Bündnis mit Kabul mit Pekings Nähe zu Islamabad kreuzt.

Als China jüngst mit dem Ausbau von Straßen und Infrastruktur auf seiner Seite der Tibetischen Hochebene begann, begann Indien mit der Aufstockung seiner Truppen im gebirgigen Bundesstaat Arunachal Pradesch von 90 000 auf 120 000 Mann. Doch Indien ist auf Luftbrücken angewiesen. China hat einfachen Zugang ins Gebiet, in das die Inder tiefe Schluchten, Dschungel und Gebirgspässe zu nehmen haben, um ins Frontgebiet entlang der sogenannten Linie der aktuellen Kontrolle (LAC) zu gelangen.

Als China kürzlich einen von Indien beantragten Kredit der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) für ein Projekt im umstrittenen Gebiet zu blockieren versuchte, verstärkte Indien die Luftüberwachung mittels Kampffliegern. So weit geben sich die Chinesen gelassener. Peking halte sich an ein Abkommen zur „Aufrechterhaltung von Frieden und Ruhe“ und will auch nichts von Grenzverletzungen wissen. Indiens früherer Außenminister Kanwal Sibal dagegen spricht von einem „Temperaturanstieg entlang der Grenze“. Der Zeitpunkt der neuen Spannungen überrascht Experten nicht. „Wenn ihr mich fragt“, sagte Chinas früherer Botschafter in Indien, Cheng Ruisheng, „ist das Hauptproblem zwischen China und Indien weder die Grenzfrage noch Tibet, sondern der Mangel an gegenseitigem Vertrauen.“

Daniel Kestenholz[Bangkok]

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