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Indien und Pakistan: Experte: "Indien hat ein hausgemachtes Terrorismusproblem"

Die indische Regierung macht "Elemente in Pakistan" für die Anschläge in Bombay verantwortlich, Außenminister Pranab Mukherjee drohte der pakistanischen Führung mit "ernsthaften Konsequenzen". Vier Kriege haben die Atommächte schon gegeneinander geführt - ein Grund zur Beunruhigung? Ein Gespräch mit Carsten Rauch von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

Was bedeuten die Anschläge in Bombay für die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan?

Für die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan sind die Anschläge natürlich eine sehr, sehr große Belastung. Seit der Trennung vom ehemaligen britischen Kolonialreich, was zur Gründung der beiden unabhängigen Staaten Indien und Pakistan führte, sind die beiden verfeindet und haben insgesamt vier Kriege gegen einander geführt.

Seit der letzten militärischen Auseinandersetzung 1999 haben sich die Beziehungen ein wenig entspannt. Diese Anschläge werden aber dazu führen, dass die Beziehungen zunächst wieder sehr stark belastet sein werden - zumal jetzt immer mehr bekannt wird, dass die Attentäter selbst wahrscheinlich pakistanischer Herkunft sind und eventuell auch von Terrororganisationen ausgebildet wurden, die ihren Sitz in Pakistan haben und die auch Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst haben sollen.

Für wie wahrscheinlich halten Sie diese Annahme?

Ich halte es für durchaus wahrscheinlich, dass die Drahtzieher der Anschläge in Pakistan sitzen. Das heißt aber nicht automatisch, dass die pakistanische Regierung etwas damit zu tun hat. Man weiß, dass der pakistanische Geheimdienst in der Vergangenheit sehr oft Verbindungen gehabt hat zu Terrorgruppen, die auch in Indien aktiv waren. Und man weiß auch, dass sich pakistanische Regierungen in der Vergangenheit nicht dagegen gesträubt haben.

Inwieweit die aktuelle, etwas demokratischere Regierung, die nach dem Rücktritt des ehemaligen Präsidenten Pervez Musharraf ins Amt gekommen ist, solche Praktiken fortführen will oder inwieweit sie ernsthaft bemüht ist, damit Schluss zu machen und auch den Geheimdienst unter Kontrolle zu bringen, wird sich zeigen müssen. Man kann es im Moment noch nicht so genau sagen. Deshalb: Dass pakistanische Elemente beteiligt waren, ist durchaus wahrscheinlich. Ob es die Regierung selbst war, eher fraglich.

Ist es aber nicht doch nur ein Reflex, dass Indien Pakistan verantwortlich macht, wenn im Land Anschläge verübt werden?

Man könnte sich das zumindest vorstellen. Deshalb haben ja auch viele Medien und Beobachter nach diesen Anschlägen gesagt, man sollte doch erstmal schauen.

Indien hat ein hausgemachtes Terrorismusproblem - schon seit Jahren. Kaum eine größere Stadt oder Region, die nicht vom Terror betroffen war. Das waren Attentate, die entweder im engen Kontext des Konflikts zwischen Pakistan und Indien gestanden haben, die also etwas mit Kaschmir zu tun hatten, oder aber im Kontext der Schwierigkeiten innerhalb Indiens zwischen den indischen Hindus und den indischen Muslimen standen. Auch hier gab es des Öfteren Auseinandersetzungen, die bis zu Pogromen ausgeartet sind.

Am Anfang gab es das Bekennerschreiben einer Gruppe namens "Deccan Mudschaheddin“. Hängt diese Gruppierung mit Pakistan zusammen?

Diese Gruppe, die sich per E-Mail bekannt hat, ist vorher kaum in Erscheinung getreten. Ob die E-Mail, die bei den Behörden eingegangen ist, aber tatsächlich etwas mit den Anschlägen zu tun hat oder ob das Trittbrettfahrer waren, kann man nicht so genau sagen. Wir wissen bislang nur, dass der eine Attentäter, der lebendig gefasst wurde, pakistanischer Herkunft ist. Alle anderen sind erschossen worden, wenn sich nicht noch einige irgendwo aufhalten.

Die Art und Weise, wie die Attentäter ihre Ziele aussuchten und auch die Art und Weise, wie sie vorgegangen sind, spricht dagegen, dass die Anschläge im Kontext des Kaschmir-Konflikts oder der indischen Innenpolitik stehen. Die große Mehrzahl der Opfer waren zwar indischer Herkunft, aber die Terroristen haben speziell westliche Ausländer herausgesucht und auch eine jüdische Wohnanlage angegriffen. Das ist etwas Neues im indischen Kontext, was das Ganze noch gefährlicher macht. Ich will nicht sagen, dass Al Qaida dahinter steckt - aber die Leute, die diese Anschläge ausgeführt haben, haben offenbar eine Agenda, die der der Al Qaida sehr ähnlich ist. Nämlich die, einen weltweiten Dschihad zu führen.

Wie ernst zu nehmen ist es, wenn der indische Außenminister Prahab Mukherjee mit "ernsthaften Konsequenzen" droht?

Zunächst einmal wird der Friedensprozess eingefroren – wie der Außenminister es selbst angekündigt hat. Es wird also keine weiteren Gespräche zwischen den beiden Staaten geben. Indien wird Pakistan zudem klar machen, dass es eine Unterstützung der Terroristen durch den pakistanischen Staat bzw. den pakistanischen Geheimdienst, der eine Art Staat im Staate ist, nicht toleriert. Ich glaube aber nicht, dass im Moment eine sehr große Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Indien und Pakistan besteht.

Es sind noch keine indischen Truppen in die Grenzregion verlegt worden, wie es das schon einmal bei einem früheren terroristischen Anschlag der Fall war. Auch damals machte Indien Pakistan als Drahtzieher aus und reagierte - anders als heute - umgehend.

Man darf nicht vergessen: Die aktuelle pakistanische Regierung ist noch nicht lange im Amt. Es sieht danach aus, dass sowohl die indische Regierung als auch die USA, die Indien sehr stark unterstützen, im Moment noch bereit sind, dieser Regierung im Zweifel das Vertrauen auszusprechen. Ich glaube, es wird sehr stark davon abhängen, wie die pakistanische Regierung jetzt reagiert.

Wie bewerten Sie die Kooperationsangebote der Pakistaner?

Die indische Regierung forderte direkt nach den Anschlägen, der Chef des pakistanischen Geheimdienstes müsse nach Indien reisen und sich dort erklären und mit den indischen Behörden zusammen arbeiten. Im ersten Moment hat Pakistan zugestimmt, ein paar Tage später wurde diese Zusage etwas heruntergestuft: Jetzt soll nicht mehr der Chef, sondern nur ein anderer hoher Beamter des Geheimdienstes nach Neu Delhi reisen, um dort mit den indischen Behörden zu sprechen. Aber es sieht im Moment nicht so aus, als ob sich die Fronten total verhärten.

Wenn aber Indien den Eindruck haben sollte, dass die pakistanische Regierung nicht ernsthaft an der Aufklärung dieses Verbrechens arbeitet oder gar noch weitere Anschläge in dieser Form passieren sollten und sich wiederum der Verdacht aufdrängt, dass Pakistan etwas damit zu tun haben könnte, dann könnten auch militärische Drohgebärden dazukommen. Das wären dann wahrscheinlich erst einmal Truppenaufmärsche in der Region. Dass es wirklich zum Krieg kommt, halte ich gerade angesichts der Tatsache, dass beide Atommächte sind, für sehr unwahrscheinlich. Es existiert durchaus eine gewisse atomare Abschreckung.

Carsten Rauch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung mit Schwerpunkt Außenpolitik Chinas und Indiens.

Interview von Nicole Scharfschwerdt

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