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Ingrid Betancourt: Von der Geisel zur Präsidentin?

Wäre es ein Pokerspiel, Alvaro Uribe hätte gerade vier Asse auf den Tisch gelegt. Der Präsident Kolumbiens hat den Kampf um Betancourt gewonnen, doch die Farc könnten ihn weiter herausfordern. Wahrscheinlicher ist, dass erst eine Präsidentin Betancourt Kolumbien befriedet.

Nach der spektakulären Befreiungsaktion von Ingrid Betancourt und 14 weiteren Geiseln aus den Händen der Guerillabewegung Farc steht der kolumbianische Präsident an seinem 56. Geburtstag als der Strahlemann Lateinamerikas da. Die Kolumbianer können sich nicht sattsehen an den Fernsehbildern von Betancourt, die den Präsidenten für seine Entschlossenheit lobt. Uribe sammelt derweil Glückwünsche, wobei ihn diejenigen seiner ideologischen Widersacher aus Kuba und Venezuela besonders befriedigen dürften. Die Farc hingegen haben ihren Trumpf verloren, und es scheint, als ob die älteste, größte und nach dem Leuchtenden Pfad Perus auch skrupelloseste Guerillabewegung Lateinamerikas am Ende ist.

Keine Frage: Uribe hat das Momentum auf seiner Seite und die höchsten Zustimmungsraten aller Präsidenten auf dem amerikanischen Kontinent. Eine Karikatur in der kolumbianischen Zeitschrift „Semana“ bringt es auf den Punkt: Darin verkündet das Befreiungskommando den Geiseln: „Wir informieren Sie, dass wir Sie von den Farc und Präsident Uribe von seinen Problemen befreit haben.“

Tatsächlich scheinen mit einem Schlag alle Konflikte des von Gewalt geplagten Landes vergessen zu sein. Zum Beispiel der Streit um die von Uribe angestrebte Verfassungsänderung, die ihm erlauben würde, sich ein drittes Mal um das Amt zu bewerben. Die Kolumbianer würden ihm ohnehin eine Mehrheit bescheren. Ebenso die Verstrickung Uribes und eines Großteils der politischen Klasse in den „Para-Politica“-Skandal. Demnach haben führende Politiker des Landes gemeinsame Sache mit den rechten Paramilitärs gemacht. Diese wurden einst als Schutztruppe der Großgrundbesitzer gegen die Farc aufgestellt und verübten (und verüben) unvorstellbar grausame Massaker und Morde, nicht selten unter Mittun des Militärs. Dass die Justiz gegen Politiker und Angehörige des Präsidenten ermittelt, spricht für die neue Generation von Staatsanwälten – nicht für die politische Elite.

In den Jubelarien geht ebenso unter, dass die militärischen Erfolge Uribes nicht ohne die massive militärische und logistische Unterstützung der USA (und teilweise Israels) möglich wären. Kolumbien ist heute einer der weltweit größten Empfänger von Waffenhilfe aus den USA. So standen auch die drei US-Amerikaner, die bei der Kommandoaktion befreit (und umgehend ausgeflogen) wurden, im Dienste eines von der US-Regierung beauftragten Söldnerunternehmens. Sicherheitsexperten sehen hinter dem US-Engagement ja schon längst nicht mehr den ohnehin gescheiterten „Krieg gegen die Drogen“, sondern die Absicht der USA, Kontrolle über die Amazonas-Region mit ihren bisher unerschlossenen Rohstoffen zu gewinnen.

Nun so zu tun, als ob Uribe ein lupenreiner Demokrat wäre, zeugt daher von profunder Unkenntnis Kolumbiens, das sich seit fast 50 Jahren in einem permanenten Bürgerkrieg befindet. Verfrüht sind aber auch die Abgesänge auf die Gummistiefelguerilla Farc. Klar ist: Es ist ein schwarzes Jahr für sie. Im März wurde Vizechef Raúl Reyes getötet und Kommandant Iván Ríos von seinem Sicherheitschef erschossen. Dann verstarb der Anführer der Gruppe, Manuel Marulanda, und die einzige Frau im Führungszirkel, Nelly Ávila, lieferte sich aus. Kurz darauf erklärte der einstmalige Farc-Fürsprecher Hugo Chávez die Periode des bewaffneten Kampfes in Lateinamerika für beendet.

Dabei wird ignoriert: Die Farc sind keine Guerilla mehr, sondern eine kriminelle Vereinigung, die die gerechtfertigten Forderungen der Linken, etwa nach einer Landreform, diskreditiert. Die Farc mögen zurzeit demoralisiert sein. Aber sie sind nicht vom Wohlwollen Kubas oder Venezuelas abhängig, sondern verfügen über Millionen Dollar aus dem Kokainanbau und immer noch rund 10 000 Kämpfer. So hat Uribe zwar den Kampf um Betancourt gewonnen, doch die Farc verfügen über Mittel, ihn weitere Male herauszufordern. Wahrscheinlicher ist ohnehin, dass es eine Präsidentin Betancourt sein wird, die Kolumbien befriedet.

Ein Kommentar von Philipp Lichterbeck

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