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2011

© picture alliance / dpa

Internationale Konferenz: Schwieriges Klima

Das Schwellenland Südafrika hatte nach der Apartheid viel aufzuholen. Nun muss es sich auch mit Umweltschutz beschäftigen. Das birgt Konflikte.

An der Busstation Diepkloof ist am späten Vormittag nur wenig los. Die kleine Menschentraube am Fahrkartenschalter täuscht. Die fünf jungen Leute tragen rote Windjacken oder blaue Poloshirts mit dem Emblem „Rea Vaya“. Sie arbeiten hier. „Rea Vaya“ heißt „wir bewegen uns“ und steht für die neue Schnellbuslinie von Soweto nach Johannesburg. Die ist nicht nur eine Jobmaschine, sondern ein prestigeträchtiges Umweltprojekt. Kichern dringt aus der kleinen Runde in dem lang gezogenen Glasbau, dessen aufgefächertes Dach an eine überdimensionierte Jalousie erinnert. Rote Pfeiler halten die Konstruktion zusammen, und da sie oben herausragen, werden die Haltestellen Stachelschweine genannt. Nach der Rushhour gibt es kaum etwas zu tun für das Personal. Die Busse sind um diese Zeit fast leer, die wenigen Fahrgäste, die an der Gruppe vorbeikommen, verteilen sich schweigend in der schattigen Station. Busbetrieb, so langweilig und normal wie überall auf der Welt. In Johannesburg war das nicht immer so. Als „Rea Vaya“ vor zwei Jahren startete, nahmen Heckenschützen Busse und Fahrgäste unter Feuer. Es gab Tote und Verletzte. Sowetos Taxiunternehmer hatten der neuen Konkurrenz den Krieg erklärt. Und in Südafrika bedeutet das auch Krieg.

Die Taxibetreiber interessierte es wenig, dass die Busse mit schwefelarmem Diesel fahren und damit umweltfreundlicher unterwegs sind als ihre Sammeltaxis. Für sie ging es um die Existenz; fast die Hälfte der 1250 Taxi-Lizenzen wurde mit Einführung der Busse eingezogen. Im Gegenzug sollten die Taxiunternehmer zwar Anteile der neuen Busgesellschaft erhalten, doch aus ihrer Sicht wurden sie enteignet. Curvin Abdull, Busfahrer der ersten Stunde, erinnert sich noch gut an diese Zeit: „Damals lebten wir gefährlich. Nicht nur im Bus. Ich konnte kaum auf die Straße gehen.“ Deutsche Berater vermittelten in dem Konflikt. Das ist Teil moderner Entwicklungshilfe – weil sich Umweltschutz nicht ohne Weiteres mit Entwicklung verträgt. Das gilt auch für Südafrika.

17 Jahre nach dem Ende der Apartheid ist die Hälfte der Bevölkerung noch immer bitterarm. Auf der Prioritätenliste der Regierung stehen Jobs ganz oben, Umweltschutz rangiert deutlich weiter hinten. Doch auch das Schwellenland Südafrika produziert schon heute so viele klimaschädliche Abgase wie klassische Industrienationen. Der Pro-Kopf-Ausstoß an Kohlendioxid ist mit rund zehn Tonnen im Jahr so hoch wie in Deutschland. Im südafrikanischen Durban verhandelt ab Montag ein internationaler Klimagipfel über neue Schadstoffbegrenzungen. Das auslaufende Kyoto-Protokoll sah für Schwellenländer noch keine verbindlichen Klimaziele vor. Südafrika hat sich aber freiwillig bereiterklärt, seinen CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 30 Prozent senken. Das ist ehrgeizig und kann nur gelingen, wenn konsequent umgesteuert wird.

Die Schnellbuslinie immerhin gilt inzwischen als Vorzeigeprojekt. Nicht nur für den Klimaschutz. 310 ehemalige Taxi-Unternehmer sind heute Anteilseigner der Busgesellschaft. Wer in Soweto wohnt und in Johannesburg arbeitet, kommt mit dem neuen Verkehrsmittel 30 Minuten schneller ans Ziel, denn die Busse fahren auf einer eigenen Spur. Billiger als die Sammeltaxis sind sie außerdem. Im Fünf-Minuten-Takt bringen sie morgens einfach gekleidete Hausangestellte, Kinder in Schuluniformen und Büroangestellte in Anzug und Kostüm in die Innenstadt. Schwarz sind fast alle. Während der Apartheid vor 1994 wurde die schwarze Bevölkerung auf engstem Raum in armseligen Siedlungen außerhalb der Städte zusammengepfercht. Soweto bestand gleich aus mehreren solcher Townships. Auch heute noch gibt es in Soweto Blechhütten oder Holzverschläge aus der Apartheid-Zeit, seit der Wende hat der Staat aber auch einfache gemauerte Häuser errichtet. Ein Drittel der rund 3,8 Millionen Einwohner Johannesburgs lebt in Soweto. Ein reines Armenviertel ist die Stadt vor der Stadt längst aber nicht mehr. Manche besitzen sogar großzügige Eigenheime mit Satteldach, Putz und Gartenzaun. Guter Job, gutes Einkommen und ein 3er BMW vor der Tür, das ist die neue Mittelschicht Südafrikas. Auf Wohlstand verzichten, um das Klima zu retten? Das ist für sie noch kein Thema. Zumal die Bürger in den reichen Industrienationen auch kaum Zugeständnisse machen.

Mit „Rea Vaya“ geht es auch für Busfahrer Curvin Abdull aufwärts. „Das Leben meiner Familie hat sich von Grund auf geändert“, sagt der 43-Jährige, der früher Taxi fuhr und mit Frau und drei Kindern zur Untermiete bei Verwandten wohnte. Als Taxifahrer schwankte sein Einkommen, mehr als 230 Euro verdiente er selten. Nun geht er mit 700 Euro nach Hause und kann endlich ein eigenes Haus mieten. Insgesamt 400 ehemalige Taxifahrer haben ein Umschulungsangebot von „Rea Vaya“ angenommen, mehrere Hundert weitere Arbeitsplätze entstanden in den Stationen. Das ist eindeutig zu viel, zumal von den Betriebskosten der Busgesellschaft bisher nur rund ein Drittel über den Ticketverkauf wieder hereinkommt. Doch als politisches Projekt erhält „Rea Vaya“ hohe öffentliche Zuschüsse.

Wenn das Streckennetz erst einmal komplett ist, sollen die Busse den CO2-Ausstoß von Johannesburg um 40 000 Tonnen pro Jahr verringern. Für Südafrikas Gesamtbilanz – rund 350 Millionen Tonnen – bringt das nur wenig. Ohne eine neue Energiepolitik kann das Land die CO2-Wende kaum schaffen. Das Problem: Mehr als 90 Prozent des südafrikanischen Stroms wird aus Kohle gewonnen. Die Kraftwerke sind alt und stoßen viel CO2 aus. Neue sind zwar geplant, doch auch sie sollen Kohle verbrennen. Alternativ wird über Atomstrom nachgedacht. Hinzu kommt, dass das Land Kohle zu Kraftstoffen verflüssigt – ein Relikt aus der Apartheid, als Südafrika international isoliert war und sich von Ölimporten unabhängig machen wollte. Umweltpolitisch kommt die Verflüssigung einer Todsünde gleich. Der Energie- und Chemiekonzern Sasol, der sie betreibt, ist der größte CO2-Emittent der Welt. Doch in der Nach-Apartheid-Ära zählt, dass es Kohle in Südafrika im Überfluss gibt und sie leicht im Tagebau gefördert werden kann. „An der Kohle hängen 200 000 Arbeitsplätze, allein deshalb werden wir nicht auf sie verzichten“, sagt Sasols-Umweltbeauftragter Fred Goede.

Dass künftig 15 Prozent der Energie aus Wind- und Sonnenkraft stammen sollen, gilt da schon als großes Zugeständnis. Und zu einem Teil als Erfolg von Michaela Braun. Das deutsche Umweltministerium hat die Expertin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als Regierungsberaterin nach Südafrika geschickt. Wichtigstes Ergebnis ist ein Klima-Weißbuch, eine Art Aktionsplan für den Klimaschutz.

Der deutsche Einfluss auf Südafrikas Umweltpolitik ist unübersehbar. Krankenschwester Thembekile Molefe, 42, lebt neuerdings sogar in einem von Deutschland geförderten Niedrigenergiehaus. Vor etwas mehr als einem Jahr zog die alleinstehende Frau mit der eng am Kopf geflochtenen Zopffrisur in einer Neubausiedlung südlich von Johannesburg in ihr sogenanntes Gap-Haus ein. Gap heißt Lücke, und es beschreibt den Status jener Südafrikaner, die nicht mehr ganz arm sind, aber dennoch nicht genug verdienen, um auf dem freien Markt einen Hauskredit aufnehmen zu können. Für sie gibt es spezielle Bauprogramme mit zinsgünstigen Krediten. Ein Haus samt Grundstück kostet zwischen 27 000 und 40 000 Euro. Eigenkapital wird nicht verlangt. Als Angestellte im öffentlichen Dienst rangiert Thembekile Molefe am oberen Ende der Förderskala. Umgerechnet 1400 Euro verdient sie als Krankenschwester. Für ihre 50 Quadratmeter mit Wohnküche, Bad und drei winzigen Schlafzimmern zahlt sie monatlich 300 Euro ab. Schwer fällt ihr das offenbar nicht, wie der amerikanische Kühlschrank in der schicken Einbauküche und der große Flachbildschirm vermuten lassen. Das isolierte Dach samt kleiner Solaranlage und Wasserspeicher gab es allerdings geschenkt, denn die Krankenschwester soll später andere davon überzeugen, dass sich ein Aufpreis für solche Extras lohnt. Im Sommer sei es nun angenehm kühl im Haus, berichtet sie. Auch ohne Ventilator oder Klimaanlage. Und im Winter bleibe auch ihr Elektroofen häufiger abgeschaltet. „Meine Stromrechnung ist um mehr als die Hälfte gesunken.“ Da die Strompreise wegen Engpässen in den alten Kraftwerken steigen, könnte Solarenergie im Kohleland Südafrika eine Zukunft haben. Schlagwörter wie Green Economy und Green Skills, Umweltberufe machen in Pretorias Regierungsstuben bereits die Runde.

Wenn internationale Klimaexperten Recht behalten, dürfte Südafrika in den kommenden Jahrzehnten allerdings an einer ganz anderen Front kämpfen. Denn das Schwellenland trägt nicht nur zum Klimawandel bei, angesichts seiner geografischen Lage wird es sich selbst massiv mit Veränderungen konfrontiert sehen. Im südlichen Afrika, so die Prognosen, könnten die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um vier bis fünf Grad ansteigen. Die Folgen wären verheerend. „Schon heute regnet es im Osten Südafrikas mehr als früher, im Westen weniger“, erklärt GIZ-Berater Horst Vogel. Überschwemmungen hier, Dürren dort, das sind die Aussichten, auf die sich der gesamte Kontinent einstellen muss.

Südafrikas Energiekonzern Sasol hat schon eigene Szenarien durchgespielt. Das Ergebnis: Für die wasserintensive Produktion des Chemieriesen könnte es eng werden. Deshalb wird nicht nur im eigenen Unternehmen nach Sparpotenzialen gesucht. Die einstige Wirtschaftsstütze des Apartheid-Systems ist eine Wasser-Partnerschaft mit einem früheren Township eingegangen. Emfuleni heißt die Stadt und liegt rund 50 Kilometer südlich von Johannesburg. 1960 erschossen Polizisten in einem Ortsteil der Gemeinde 69 friedliche Demonstranten. Das Blutbad ging als Sharpeville-Massaker in die Geschichte ein. Heute leben im Einzugsgebiet von Emfuleni rund 1,2 Millionen Menschen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, obwohl es in der Umgebung Industriebetriebe und Minen gibt. Sasol zum Beispiel. Dessen Manager für Nachhaltigkeit, ein Mann mit unverkennbar burischem Akzent, trifft sich regelmäßig mit Vertretern der Stadt und des Wasserversorgers. Denn in Emfuleni herrscht akuter Wassernotstand. Die Stadt hat allerdings nicht zu wenig Wasser, sondern zu viel. Eigentlich ist es überall. Auch im Haus von Mfene Doctor. Der 36-Jährige haust mit seiner Frau in einem dunklen Raum mit einfachen Holzmöbeln, die Wände sind grau, und auch der Boden hat keinen Belag. Es riecht modrig, die Luft ist feucht. „So war es immer, und niemand hilft uns.“ Der Mann wirkt abgekämpft, in seinem Mund klafft eine Zahnlücke. Die beiden Kinder des Paares wohnen bei der Großmutter, sie leiden unter chronischem Husten. In der sogenannten Zone 7 von Emfuleni gehen zu 70 Prozent des Wassers durch Lecks verloren. Die brüchigen Leitungen sind zwar meist nicht bis in die Häuser selbst, sondern nur bis in die Gärten verlegt, doch die sind von Schlammpfützen durchsetzt, da bleiben auch die Häuser nicht verschont. Mfene Doctor hat gehört, dass Vertreter der Stadt und von Sasol gekommen sind, um sich die Schäden anzusehen. Demnächst sollen die Lecks repariert und dafür auch Klempner eingestellt werden, heißt es. „Wahrscheinlich passiert dann doch wieder nichts“, sagt er, macht sich aber auf die Suche nach dem Trupp. Denn Mfene Doctor ist Klempner, er hat schon lange keine Arbeit mehr.

Um die Lecks hatte sich jahrelang niemand gekümmert. Dabei versickern in Emfuleni Monat für Monat rund drei Milliarden Liter Wasser. Die Stadt kostet das Millionen. Die Bewohner selbst zahlen nichts für ihr Wasser – und gehen entsprechend verschwenderisch damit um. Nur wenige Haushalte haben überhaupt einen Zähler. Das soll sich ändern, wenn die Leitungen erst einmal geflickt sind. Ob sich die Nutzer allerdings überzeugen lassen, für ihren Verbrauch aufzukommen, bleibt abzuwarten. „Wasser wird als Gemeingut angesehen. Es gehört niemandem und darf daher nach Auffassung vieler auch nicht verkauft werden“, sagt GIZ-Berater Horst Vogel. Der nächste Umweltkonflikt in Südafrika zeichnet sich schon ab.

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