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Scholz

© Mike Wolff

Interview: "Der Staat sollte nicht Autobauer werden"

Arbeitsminister Scholz über Enteignungen, die Krise am Arbeitsmarkt – und Staatshilfe für Milliardärinnen.

Herr Scholz, was sagen Sie als ehemaliger Juso dazu, dass inzwischen sogar eine CDU-Kanzlerin die Enteignung von Banken vorbereitet?


(lacht) So weit ist es gekommen. Im Ernst: Was wir gegenwärtig erleben, finde ich schon merkwürdig. Dass der Staat sich in der Wirtschaft als Eigentümer engagiert, macht ja eigentlich keinen Sinn. Im Moment müssen wir aber dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft weiter funktioniert. Deshalb dürfen wir keine Bank pleitegehen lassen, die für unsere Wirtschaft systemrelevant ist.

Die stark angeschlagene Immobilienbank HRE sollte also verstaatlicht werden?

In dieser Krise müssen wir uns an einzelnen Banken vorübergehend beteiligen, wie es bei der Commerzbank geschehen ist, oder sie im Ausnahmefall auch enteignen, wie es bei der HRE geschehen kann. Das Ziel ist aber nicht, dass der Staat auf Dauer Eigentümer bleibt. Meine Juso- Vorstellungen von früher habe ich überwunden. Wenn die Kanzlerin da Nachhilfe braucht, erzähle ich ihr gerne, wie ich zu besseren Erkenntnissen gekommen bin.

Wie stark ist die soziale Marktwirtschaft aus den Fugen geraten, wenn der Politik keine andere Wahl bleibt, als eine Bank zu verstaatlichen?

Es gibt eine massive Vertrauenskrise, ausgelöst durch hemmungslose Spekulationen an den Börsen und durch die Vorgabe von Renditezielen, die ohne unkalkulierbare Risiken nicht zu erwirtschaften waren. Ein paar Jahre lang haben sich viele eingeredet, dass diese Risiken nie eintreten, aber nun sind sie alle da. Millionen Arbeitnehmer müssen nun ausbaden, was einige Banker und Manager angerichtet haben.

Wenn das Vertrauen der Bürger so erschüttert ist, hätte die Koalition dann nicht zumindest per Gesetz verhindern müssen, dass Banker trotz der Milliardenverluste, die sie zu verantworten haben, Boni kassieren können?

Ich kann nur dazu auffordern, auf Boni zu verzichten. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Unternehmen, die keine Gewinne machen und in denen sogar Beschäftigte entlassen werden, freigiebig Boni vergeben. Das gilt für jedes Unternehmen, nicht nur für Banken.

Müssen die Spielregeln unserer Wirtschaftsordnung verändert werden?

Wir müssen durch eine verbindliche Regulierung der internationalen Finanzmärkte dafür sorgen, dass sich so eine Krise nicht wiederholen kann. Für Finanzprodukte muss es klare Regeln und Aufsichtsstrukturen geben.

Haben Sie den Eindruck, dass das Vertrauen der Menschen in die soziale Marktwirtschaft grundsätzlich erschüttert ist?

Für viele ist erschütternd, dass Grundregeln des Anstands verletzt worden sind. In der Wirtschaft haben wir lange eine Mentalität des „anything goes“ erlebt. Es geht aber nicht alles.

Was geht nicht?

Gier gab es immer. Aber in den vergangenen Jahren haben ideologische Konzepte Konjunktur gehabt, die Gier für normal und richtig halten. Eine der Konsequenzen aus der Krise muss eine Rückbesinnung auf den Sozialstaat sein. Eine Zeit lang galt der Begriff als Schimpfwort. Dabei ist der Sozialstaat auch eine Antwort auf manche der Ursachen der Krise.

Aha?

In Staaten wie den USA und Großbritannien konnte die Immobilienblase auch deshalb entstehen, weil einfachen Bürgern nichts anderes übrig blieb, als sich hoffnungslos zu verschulden, wenn sie ordentlich wohnen wollten. In Deutschland gibt es ein soziales Mietrecht, das einen großen Mietwohnungsmarkt möglich gemacht hat. Bei uns können viele Bürger in mehr oder weniger guten Wohngegenden wohnen, ohne dass sie das Risiko eingehen, sich finanziell zu überheben. Oder nehmen Sie einige der großen Konzerne in den USA, die jetzt auch deshalb Probleme haben, weil sie Aufgaben des Sozialstaats miterledigen müssen. In besseren Zeiten haben starke Belegschaften notgedrungen durchgesetzt, dass ihre Arbeitgeber für sie sorgen, weil es keine staatliche Krankenversicherung gibt. Und nun gehen ganze Unternehmen auch deshalb pleite, weil sie diese Last nicht mehr tragen können. Ich glaube, mancher Unternehmer in Deutschland weiß gar nicht, was er am Sozialstaat hat.

Gehört zum Sozialstaat auch, Unternehmen mit Staatsgeldern zu alimentieren, um Arbeitsplätze zu retten?

Wir können nicht Unternehmen retten, die kein zukunftsfähiges Geschäftsmodell haben. Und wir können nur in ganz beschränktem Umfang helfen: Wenn ein Unternehmen eigentlich gesund ist und nur wegen der aktuellen wirtschaftlichen Krise ganz vom Markt verschwinden würde, dann kann man im Einzelfall über staatliche Hilfen nachdenken.

Gibt es Kriterien, wann der Staat eingreifen solle?

Man kann nicht im Nerzmantel nach Staatshilfe rufen.

Sie spielen auf die Familienunternehmerin Marie-Elisabeth Schaeffler an, deren Unternehmen durch die gewagte Übernahme von Continental in immense Schwierigkeiten geraten ist.

Wir sind nicht dafür da, für Fehlentscheidungen von Milliardärinnen und Milliardären geradezustehen. Es kann jedenfalls nicht sein, dass jemand, der sich verspekuliert hat, auch noch einen Reibach auf Steuerzahlerkosten macht.

Sollte der Staat also lieber in Kauf nehmen, dass Schaeffler pleitegeht und Tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen?

In diesen turbulenten Zeiten will ich mit Festlegungen vorsichtig sein. Ich bekenne mich ausdrücklich zum Pragmatismus. Aber eines kann ich generell sagen: Es darf immer nur um die Arbeitnehmer und die Arbeitsplätze gehen, nicht darum, Eigentumsverhältnisse mit staatlichem Geld zu sichern.

Warum sprechen Sie sich dann dafür aus, Opel zu retten?

Ein Betrieb, der hier in Deutschland über ein Jahrhundert gewachsen ist und im Prinzip funktioniert, darf nicht nur durch die Insolvenz des amerikanischen Mutterkonzerns zerstört werden. Aber auch hier gilt: Der Staat sollte nicht Autobauer werden.

Aber ein Faible für Autos hat die Bundesregierung schon. Immerhin haben Sie mit dem zweiten Konjunkturpaket eine Abwrackprämie von 2500 Euro für den Kauf eines Neuwagens beschlossen.

Ja, die läuft super.

Aber was bringt es dem Facharbeiter bei Daimler, wenn die Leute sich einen japanischen Kleinwagen kaufen?

Wir sind gegen Protektionismus, deshalb können wir auch keine Vorschriften machen, welche Autos gekauft werden. Aber Ihre Skepsis ist unberechtigt: Es werden auch deutsche Autos gekauft. Außerdem geht es auch darum, die Leute grundsätzlich zum Konsum und die Unternehmen zu Investitionen zu animieren. Wir wollen das Gefühl durchbrechen, dass die Zukunft düster wird. Natürlich würde jeder von uns ein oder zwei Jahre durchkommen, ohne sich etwas Neues anzuschaffen – abgesehen von den Waren des täglichen Bedarfs. Für Unternehmen gilt Ähnliches. Aber wenn alle das machen würden, hätten wir ein riesiges volkswirtschaftliches Problem.

Wie stark wird die Wirtschaftskrise den deutschen Arbeitsmarkt erwischen?

Das kann ich nicht seriös vorhersagen. Aber ich hoffe, dass unsere Entscheidung, gleich zu Beginn der Krise intensiv auf die Ausweitung der Kurzarbeit zu setzen, sich in wesentlich günstigeren Arbeitsmarktdaten niederschlagen wird, als wir sie ohne unser beherztes Handeln registrieren müssten.

Gibt es denn Anzeichen dafür, dass die Arbeitgeber den Fehler aus dem letzten Abschwung nicht wiederholen, ihre Facharbeiter zu entlassen?

Es wäre ein fürchterlicher Fehler, wenn sich die Unternehmen jetzt in der Krise von eingearbeiteten Mitarbeitern und Fachkräften trennen würden. Der Fachkräftemangel wird sich in den nächsten Jahren trotz Wirtschaftskrise verstärken.

Herr Scholz, mit welcher Botschaft wird die SPD in den Wahlkampf ziehen?

Erstens: Wer sich anstrengt, muss auch etwas davon haben. Jemand, der arbeitet, muss mit seinem Einkommen auch seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Zweitens: Wer sich Mühe gibt, muss sein Leben verbessern können und darf nicht auf unüberwindbare Hürden stoßen. Drittens: Niemand darf am Wegesrand zurückbleiben.

Wenn man sich diese drei Leitsätze anhört, dann waren Sie als Arbeitsminister nicht so erfolgreich, oder?

Was? Die Zahl der Mindestlöhne hat sich verfünffacht. Obwohl im Wahlprogramm unseres Koalitionspartners das Gegenteil stand. Das finde ich nicht so schlecht. Die Schlacht um den Mindestlohn hat eindeutig die SPD gewonnen.

Es gibt immer noch Branchen, die zum Teil Ausbeuterlöhne zahlen – etwa das Friseurhandwerk.

Fast vier Millionen Arbeitnehmer werden demnächst durch Mindestlöhne geschützt. Es wird bald ein paar hunderttausend Arbeitnehmer geben, die wegen der SPD höhere Löhne haben. Außerdem hat die Koalition das Mindestarbeitsbedingungengesetz überarbeitet, mit dem der Gesetzgeber Mindestlöhne in Branchen einführen kann, in denen es weit und breit keinen Schutz durch Tarifverträge gibt. Da wird in diesem Jahr noch was passieren.

Sie streben vor den Bundestagswahlen noch mehr Mindestlöhne an?

Sobald das Gesetz in Kraft ist, werden wir sorgfältig untersuchen, in welchen Branchen aus unserer Sicht Handlungsbedarf besteht. Auch Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und die Landesregierungen können Vorschläge machen. Weitere Mindestlöhne in diesem Jahr wären zumindest wünschenswert.

Die Koalition hat Anfang des Jahres beschlossen, dass es auch in der Zeitarbeit eine Lohnuntergrenze geben soll. Nun stellt die Union sich quer. Rechnen Sie überhaupt noch mit einem Ergebnis?

Die Union wird sich früher oder später an ihr Wort halten. Davon muss ich in einer Koalition ausgehen.

Die Unions-Fraktion will den niedrigsten Stundenlohn eines Flächentarifvertrags zur Lohnuntergrenze machen. Was haben Sie dagegen?

Nicht jeder der vier verschiedenen Flächentarifverträge in der Zeitarbeit hat diesen Namen auch verdient. Die Tarifautonomie wird nicht gewahrt, wenn man sich abhängig macht von der Meinung des kleinsten Arbeitgeberverbands, dessen 130 Mitgliedsunternehmen gerade mal 4000 Arbeitnehmer beschäftigen. Da muss man sich schon viel Mühe geben, das in einer Branche mit 700 000 Beschäftigen überhaupt für einen Flächentarifvertrag zu halten. Soll dieser Verband für die nächsten 100 Jahre bestimmen dürfen, dass viele Bürger unseres Landes mit sechs Euro Stundenlohn auskommen müssen? Das haben wir in der Koalition nicht so vereinbart. Und das wäre auch verfassungswidrig.

Ist das eigentliche Problem nicht, dass es Gewerkschaften gibt, die für ihre Mitglieder zu geringe Löhne aushandeln?

In der Zeitarbeit gibt es eine Besonderheit: Dort gilt der Grundsatz, dass für die gleiche Arbeit der gleiche Lohn gezahlt wird – es sei denn, Gewerkschaften und Arbeitgeber regeln in einem Tarifvertrag eine geringere Bezahlung. Normalerweise ist ein Tarifvertrag das Ergebnis einer Verhandlung mehr oder weniger gleich starker Partner. Darauf beruht die Tarifautonomie. Was wir jetzt beobachten bei der Zeitarbeit, ist der Missbrauch von Tarifverträgen, um Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Das ist nicht das, was sich die Arbeitnehmer in einem jahrhundertelangen Kampf gegen Bismarck und seine Nachfolger erkämpft haben. Deshalb brauchen wir den Mindestlohn in der Zeitarbeit.

Wenn die Suche nach einem Kompromiss scheitert, wäre dann der Mindestlohn nicht ein wunderbares Wahlkampfthema für die SPD?

Wahlkampfthemen gibt es genug. Lieber wäre es mir, ich könnte bedrängten Bürgern schnell helfen.

Das Interview führten Cordula Eubel und Yasmin El-Sharif. Das Foto machte Mike Wolff.


Zur Person

DER JURIST
Ende 2007 trat Olaf Scholz die Nachfolge von Franz Müntefering als Arbeitsminister an. Der Sozialdemokrat ist vom Fach – er ist Rechtsanwalt für Arbeitsrecht.

DER DIENER Die Agenda 2010 zu erklären, das war seine Aufgabe als SPD-Generalsekretär. Als der damalige Kanzler Schröder 2004 wegen wachsender Kritik aus der Partei den SPD-Vorsitz abgab, musste auch Scholz.  seinen Hut nehmen.

DER HANSEAT Der 50-Jährige, der in Osnabrück als Sohn von Kaufleuten geboren wurde, ist in Hamburg aufgewachsen. Für die dortige SPD zieht Scholz als Spitzenkandidat in die Bundestagswahlen.

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