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Polenz

© Thilo Rückeis

Interview: "Sehr zügige Anerkennung"

Im Bundestag mehren sich die Stimmen, das Kosovo anzuerkennen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses sprach mit dem Tagesspiegel. Es ist eine Frage der Zeit, bis Deutschland das Kosovo diplomatisch anerkennt.

Das Kosovo hat seine Unabhängigkeit erklärt. Mit welchen Gegenmaßnahmen Serbiens rechnen Sie?

Es ist im Augenblick noch nicht entschieden, ob sich in Serbien die Kräfte um den europafreundlichen Präsidenten Boris Tadic oder diejenigen durchsetzen werden, die auf drastische Maßnahmen gegenüber den Staaten drängen, die das Kosovo völkerrechtlich anerkennen. Ich glaube, dass die Kräfte um Präsident Tadic die Oberhand behalten werden, die der Zukunft zugewandt sind.

Andererseits hat der serbische Kosovo-Minister Slobodan Samardzic angekündigt, dass Serbien seine Beziehungen zu allen Staaten überprüfen werde, die das Kosovo anerkennen. Droht also nicht doch eine neue Eiszeit im Verhältnis zu Belgrad?

Es würden dann vor allem die Serben frieren, wenn es dazu käme – denn die Zukunftsperspektive Serbiens liegt in einer EU-Mitgliedschaft. Die Präsidentschaftswahlen in Serbien haben ja gezeigt, dass die Mehrheit der Serben diesen Weg gehen will.

Entsteht mit der Unabhängigkeit des Kosovo ein Präzedenzfall für die Abspaltung weiterer Staaten anderswo auf der Welt?

Nein. Alle Seiten werden sehr deutlich machen, dass es sich um einen einzigartigen Fall handelt. Eine Resolution des Weltsicherheitsrates hätte dies noch deutlicher machen können. Aber da die Russen sich weigern, diesen Weg zu gehen, wird dies nun zur Angelegenheit des Parlaments in Pristina und der Europäischen Union. Sie müssen deutlich machen, dass es ganz besondere Umstände waren, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Leider war es trotz jahrelanger Verhandlungsbemühungen nicht möglich, eine einvernehmliche Lösung zwischen Belgrad und Pristina zu erreichen. In allen anderen Fällen, die jetzt genannt werden – zum Beispiel Abchasien, Westsahara oder das Kurdengebiet – würde eine Sezession völkerrechtlich daran scheitern, dass sie nicht auf internationale Anerkennung stoßen würde.

Wird Deutschland das Kosovo anerkennen?

Die Außenminister der EU werden sich mit der neuen Lage beschäftigen. Ich denke, dass die EU schnell reagieren wird, um kein Vakuum entstehen zu lassen. Aber es ist Sache jedes einzelnen Staates, zu entscheiden, wie er sich verhält. Ich gehe davon aus, dass sich Deutschland gemeinsam mit der weit überwiegenden Zahl der EU-Mitgliedstaaten dann für eine Anerkennung des Kosovo entscheiden wird.

In welchem Zeitraum?

Ich denke, dass sich die EU-Außenminister zu einem raschen Vorgehen entscheiden werden, damit kein neuer Schwebezustand entsteht. Ich gehe davon aus, dass sich mindestens 20 EU-Staaten für die Anerkennung entscheiden werden. Nicht alle gleichzeitig, aber alle sehr zügig.

Ruprecht Polenz (CDU) ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Außerdem gehört er zur deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der Nato.

Das Gespräch führte Albrecht Meier

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