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Robert Zollitsch

© ddp

Interview: "Sexualität ist kein Genussmittel"

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz und Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch über Kondome, Krise, Kanzlerin und Kurie.

Herr Erzbischof, für wen oder was haben Sie heute Morgen gebetet?

Für ganz profane Dinge: für eine gute Reise nach Berlin und dass ich in den Gesprächen, die ich führen werde, den richtigen Ton treffe.

Haben Sie das Gefühl, dass jetzt, in der Krise, wieder mehr Leute beten?

Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich merke, dass unsere kirchlichen Antworten auf die Probleme gehört werden. Seit dem Herbst wurde ich mehrfach von Bankern und Unternehmerverbänden eingeladen, um über das Thema „Mit Werten wirtschaften“ zu sprechen. Schon zweimal war ich den Wirtschaftsjunioren. Man fängt an, neu nachzudenken.

In welche Richtung?

Mit der Krise kam ein neues Stichwort in die Finanzwelt: Vertrauen. Die eine Bank vertraut der anderen nicht mehr, man leiht sich nichts mehr. Damit wird sichtbar, dass der Mensch im Mittelpunkt des Wirtschaftens steht. Der reine Markt kann das nicht leisten. Der schafft keine ethischen Werte.

Brauchen wir eine moralische Wende in Deutschland?

Ja, ganz sicher. Denn die Ellbogengesellschaft, die sich ausgebreitet hat, wo jeder nur an sich selbst denkt ...

… nach dem Motto, wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht …

... ist in die Krise gekommen. Diese Krise ist eine Chance, sich darauf zu besinnen, dass ich immer auch den anderen beachten und achten muss Es braucht den Blick für das Gesamte, auch die Benachteiligten müssen ihren Platz haben. Mein Handeln darf nicht nur wirtschaftlich orientiert, es muss auch moralisch begründet sein.

Bundespräsident Horst Köhler hat in seiner Rede am Dienstag versucht, den Begriff der Freiheit zu rehabilitieren.

Ich war sehr beeindruckt, dass er in so klaren Worten davon spricht, was Verantwortung und was Freiheit bedeutet. Freiheit braucht Inhalte und Vorgaben, Freiheit braucht Moral und Ethik. Darauf hat der Bundespräsident aufmerksam gemacht – und das nicht als Prediger wie ich, sondern als Finanzfachmann.

Wie sehr trifft die Finanzkrise die katholische Kirche?

Was die Geldanlagen angeht, nur wenig, weil wir das meiste Geld konservativ angelegt haben. Wir waren nie in der Versuchung, das große Geld machen zu wollen. Aber wir sind betroffen, wenn die Arbeitslosigkeit steigt. Schon mit der Kurzarbeit sind die Kirchensteuereinnahmen gesunken. Wir rechnen mit einem starken Rückgang der Steuereinnahmen um fünf bis zehn Prozent. Zudem sind wir in der Seelsorge für die Menschen gefordert, die Angst um ihre Existenz haben oder ihren Arbeitsplatz verlieren.

Tut die Bundeskanzlerin genug, um Arbeitsplätze zu retten?

Sie hat mit dem Konjunkturpaket reagiert und das war richtig. Es wird sich erst in einiger Zeit zeigen, ob es ausreicht oder ergänzt werden muss.

Soll die Kanzlerin Opel retten?

Ich verstehe die Sorge der Angestellten bei Opel und der Zuliefererbetriebe. Aber entscheidend muss sein, ob Opel ein Konzept hat, das für die Zukunft trägt.

Mit Staatsbeteiligung?

Ich bin der Meinung, dass zuerst Investoren gefunden werden sollen; ob der Staat dann weitere Garantien gibt, ist eine andere Frage.

Vielen CDU-Anhängern hat Merkels Kritik am Papst missfallen. Ihnen auch?

Ich kann Frau Merkels Sorge verstehen in Hinblick auf Bischof Williamson von der Piusbruderschaft, der die Existenz von Gaskammern in Auschwitz leugnet. Dass sie sich dazu äußern wollte, verstehe ich gut. Aber es wäre richtig gewesen, den diplomatischen Weg zu wählen. Zudem stellte sie Forderungen, die zum Zeitpunkt ihrer Ausführung bereits erfüllt waren. Da war sie schlecht beraten.

Die Art und Weise war falsch?

Ich hätte den Weg der Diplomatie gewählt.

Nimmt das Ansehen des Papstes und der katholischen Kirche Schaden, solange der Konflikt mit der Piusbruderschaft nicht geklärt ist?

In Frankreich hat es Umfragen gegeben, wonach das Ansehen des Papstes stark abgenommen hat. Deshalb wird es wichtig sein, dass die Angelegenheit bald geklärt wird. Ich wünsche mir, dass das noch dieses Jahr geschieht.

Warum tut sich der Papst so schwer, den Piusbrüdern eine Frist zu setzen?

Er hat den Vorgang an die Glaubenskongregation überwiesen, mit dem Auftrag eine Klärung herbeizuführen, ohne ein Ultimatum zu setzen. Hier durch einen vorgegebenen Termin Druck zu auszuüben, ist nicht seine Art.

Sie waren vor zehn Tagen beim Papst in Rom. Wie haben Sie ihn erlebt?

Er war sehr lebendig, sehr aufmerksam, sehr offen und ging auf jede Frage ein. Er hat auch von seiner Erschütterung berichtet, was die Williamson-Debatte ausgelöst hat, vor allem, dass er von den haarsträubenden Äußerungen Williamsons nichts gewusst hat.

Und weshalb hat er nichts gewusst?

Es hat ihn keiner informiert. Vor allem nicht Kardinal Hoyos, der seit zehn Jahren die Gespräche mit der Piusbruderschaft führt. Kardinal Hoyos sagt, von Williamsons Gesinnung nichts gewusst zu haben. Er hatte sich auch nicht im Internet informiert und auch sein Kollegium nicht einbezogen. Kardinal Kasper, der Beauftragte für die Beziehung zu den Juden, hat nichts von der bevorstehenden Aufhebung der Exkommunikation gewusst. Da muss sich etwas in der Kommunikation verbessern.

Was hat Kardinal Hoyos zehn Jahre lang gemacht?

Das dürfen Sie ihn mal fragen. Ich wäre auf die Antwort auch gespannt.

Auch die Kommunikation mit den Bischofskonferenzen in den einzelnen Ländern scheint nicht gut zu funktionieren.

Das Prinzip der Kollegialität kann noch besser verwirklicht werden. Die Bischofskonferenzen sollten einbezogen werden, wenn solche Entscheidungen anstehen. Als ich vor einem Jahr meine Aufgabe als Vorsitzender der Bischofskonferenz angetreten habe, hat man mir geraten: Seien Sie regelmäßig in Rom, seien Sie möglichst zweimal im Jahr beim Heiligen Vater. Es ist wichtig, auch mit den einzelnen Präfekten der Kongregationen Gespräche zu führen und ihnen unsere Perspektive aus Deutschland zu erläutern. Manches hört sich anders an, wenn man miteinander spricht, als wenn irgendwo nur eine schriftliche Stellungnahme erfolgt.

Hat Ihr Vorgänger, Kardinal Karl Lehmann, den Kontakt zu Rom ein bisschen schleifen lassen?

Er war aufgrund seiner Arbeit in verschiedenen Kongregationen sehr häufig in Rom.

Ist die deutsche Sicht in Rom überhaupt relevant?

Natürlich sind Kontinente wie Lateinamerika oder Afrika ebenso wichtig wie Europa. Aber Deutschland finanziert sehr viel in der Weltkirche, gerade unsere Hilfswerke leisten da ganz Großartiges. Das wird in Rom sehr geschätzt. Allerdings habe ich die Sorge, dass die deutsche Sprache im Vatikan eine zu geringe Rolle spielt.

Aber ist es so wichtig, ob die Dekrete in Englisch, Italienisch oder in Deutsch vorliegen?

Es geht darum, schnell und gut informiert zu sein. Wenn wir die Dekrete erst mit Verspätung und als Übersetzungen aus dem Italienischen bekommen, dann ist es für uns schwierig, rechtzeitig zu vermitteln. Sprache ist auch ein Stück Mentalität. Es geht ja nicht nur um Deutschland, Österreich und die Schweiz, sondern auch um Osteuropa, wo die deutsche Sprache sehr verbreitet ist.

Haben Sie mit dem Papst auch über seine Pläne für eine dritte Deutschlandreise gesprochen?

Ich habe dem Heiligen Vater gesagt, dass er bei uns herzlich willkommen ist. Einfach, weil es nach dem Weltjugendtag in Köln und dem Besuch in seiner bayrischen Heimat Zeit für einen offiziellen Besuch in seinem Heimatland ist. Er hatte mir aber schon im vergangenen Jahr deutlich gemacht, dass ihm Besuche in Afrika und im Heiligen Land zunächst vordringlicher seien. In diesen Ländern ist er als Papst noch nicht gewesen, während es in Deutschland bereits sein dritter Besuch wäre. Eine Entscheidung über eine mögliche Deutschlandreise im nächsten Jahr ist noch nicht gefallen.

Der Besuch würde dann in der zweiten Jahreshälfte 2010 stattfinden?

Wenn überhaupt 2010, dann wohl eher in der zweiten Jahreshälfte.

In Ostdeutschland ist der christliche Glaube nicht sehr stark verbreitet. Wäre es nicht ein kräftiger Impuls für die Christen dort, wenn der Papst eines der neuen Bundesländer besuchen würde?

Ich würde mich freuen, wenn der Papst bei einem Berlinbesuch auch in eines der neuen Bundesländer reist. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus hat ihn schon zwei Mal persönlich eingeladen, auch in Dresden zeigt man großes Interesse.

Die katholische Kirche definiert sich sehr stark über Traditionen. Welcher Raum ist da noch für Erneuerung?

Für uns ist klar: Wir leben aus der Tradition. Und in dieser Linie sehen wir auch die verschiedenen Konzilien. Aber jedes Konzil hat etwas Neues gebracht. Das will etwa die Piusbruderschaft nicht einsehen. Man kann nicht beim Ersten Vatikanischen Konzil stehen bleiben und sagen: Damit ist alles festgelegt. Mir wurde von den Anhängern Bischof Lefebvres vorgeworfen, ich würde das Zweite Vatikanische Konzil ...

... das von 1962 bis 1965 tagte und sich unter anderem für die Religionsfreiheit in der bürgerlichen Staatsordnung und für den Dialog mit Anders- oder Nichtgläubigen äußerte ...

... zum „Superkonzil“ hochstilisieren. Aber es ist nun einmal das neueste. Es ist das Konzil, das uns Antworten auf die Fragen unserer heutigen Zeit gibt. Tradition heißt nicht, die Asche weiterzutragen, sondern die Flamme lebendig zu halten.

Wie könnte sich die katholische Kirche in den nächsten Jahrzehnten erneuern?

Wir werden noch stark an unserem Verhältnis zur Welt, an der Stellung der Christen in der Gesellschaft arbeiten müssen. Dazu ist es notwendig, missionarisch noch viel stärker präsent zu sein. Glaube wird nicht mehr selbstverständlich von den Eltern übernommen. Wir waren zu Hause drei Buben. Da wurde nie darüber diskutiert, ob wir am Sonntag in die Kirche gehen. Heute ist das anders. Man wird nicht mehr einfach in die Kirche hineingetauft, wie das in Deutschland jahrhundertelang der Fall war. Das ist heute viel stärker die Entscheidung des Einzelnen. Da kommt viel auf uns zu.

Warum schreibt der Papst keine neue Pillen-Enzyklika, die den Menschen heute mehr entgegenkommt?

Die Frage der Sexualität auf den Gebrauch der Pille zu reduzieren ist genau die Vereinfachung, die hier nicht weiterführt. Wir befassen uns etwa in der Bischofskonferenz mit der Frage, wie wir das, was die katholische Lehre über den Wert von zwischenmenschlichen Beziehungen, Sexualität und Geschlechtlichkeit sagt, für den Menschen verständlich machen können.

In welche Richtung geht das Nachdenken in der Kirche über das Thema Sexualität?

Wenn ich mit jungen Leuten spreche, merke ich, dass es zunehmend als normal gilt, wenn man Sexualität mit vielen verschiedenen Partnern ausprobiert. Unsere Gesellschaft hat es nötig, sich neu darauf zu besinnen, dass Sexualität nicht Genussmittel ist, sondern ein Geschenk. Meiner Ansicht nach geht das Personale der Geschlechtlichkeit verloren. Da haben wir als Kirche eine prophetische Funktion: Man darf sich dieser gesellschaftlichen Entwicklung, die ich für gefährlich und falsch halte, nicht anschließen.

Ist es aber nicht auch gefährlich, zumindest fahrlässig, wenn der Papst Kondome zum Schutz vor Aids verbietet?

Ich habe sehr bedauert, dass man die Afrikareise des Papstes nur anhand dieses Themas bewertet hat. Bei dieser Reise ging es um viel mehr: um den Wert der Familie und um die Würde der Frau. Und Benedikt XVI. hat nicht einfach gesagt: Kondome darf es nicht geben. Aber die Differenzierung, die er zum Ausdruck gebracht hat, wollte man offenbar gar nicht zur Kenntnis nehmen. Alle wollten nur hören: Kondome – nein.

Worin besteht die Differenzierung?

Man muss schon fragen, ob nicht nur ein Alibi geschaffen wird, wenn man Kondome propagiert. Nehmen Sie das Beispiel Uganda: Dort hatte in den vergangenen Jahren eine Kampagne der Regierung unter der Mitarbeit der katholischen Kirche eheliche Treue propagiert, woraufhin die HIV-Infektionsrate um zwei Drittel gesunken ist. Im Jahr 2004 traten dann westliche Entwicklungshelfer auf, die eine Kondom-Kampagne starteten, was zur Folge hatte, dass die Verbreitung von Aids wieder zunahm. Der Grund dafür ist einfach: Je leichter Kondome erhältlich sind, umso höher ist die Infektionsrate, weil bei der Verwendung von Kondomen mehr Risiken in der sexuellen Aktivität eingegangen werden.

Wer sagt das?

Das sagt nicht (nur) die Kirche, das sagt der Harvard-Professor Edward Green aufgrund seiner 25-jährigen Erfahrung in der Aids-Forschung in Afrika. Das sollte man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Darüber hinaus ist es ebenso wichtig, anzuerkennen, dass es weltweit keine Organisation gibt, die so viel für Aids-Kranke tut, wie die katholische Kirche. Eine Realität, die leider allzu oft ausgeblendet wird. Und auch das gehört zu einer differenzierten Wahrnehmung: Dass die katholische Kirche nie gesagt hat, dass man kein Kondom in der Ehe benutzen darf, wenn einer der beiden Ehepartner Aids hat.

Das Gespräch führten Claudia Keller und Matthias Schlegel.

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