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Politik: Intrige außer Kontrolle

Was wusste Sarkozy, was Villepin? Im Clearstream-Prozess bleiben auch nach den Plädoyers offene Fragen

Als einer der Letzten hatte vor dem Strafgericht der Anwalt des Angeklagten Imad Lahoud das Wort. Sein Klient bitte um Pardon für die „Flut an Lügen“, die er im Verlauf der Verhandlung aufgetischt habe. Dem Informatiker, der beschuldigt wird, Kontenlisten der luxemburgischen Bank Clearstream zum Zweck einer Verleumdung gefälscht zu haben, hatten die Gerichtsberichterstatter schon den Namen Pinocchio gegeben. Vielleicht war diese Bitte um Verzeihung am Prozessende ein Moment der Wahrheit. Denn auch nach der Anhörung der Zeugen, der Angeklagten, nach den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung ist diese Affäre kaum durchsichtiger geworden.

Wie zu erwarten war, blieben die Parteien bei ihrer jeweiligen Version, die ihre Darstellung der Wahrheit ist. Da in diesem Fall kaum materielle Beweise existieren, stehen Aussagen gegen Aussagen. Bevor sich das Gericht zur Beratung des Urteils zurückzieht, das erst zu Beginn des Jahres 2010 bekannt gegeben werden soll, gibt es nur wenige unbestrittene Erkenntnisse. Ein Duo bestehend aus dem EADS-Vizepräsidenten Jean- Louis Gergorin und seinem Mitarbeiter Lahoud beschaffte sich 2003 eine Liste mit Kontenangaben des luxemburgischen Geldinstituts Clearstream. Doch wann genau beschloss wer und eventuell in wessen Auftrag, zusätzliche Namen auf diese ursprünglich authentische Datei zu setzen, um offenbar den Eindruck zu erwecken, die betreffenden Persönlichkeiten hätten bei Clearstream heimliche Konten, um so Schmiergelder zu kassieren?

Im Januar 2004 präsentierte Gergorin bei einem Treffen mit dem damaligen Außenminister Dominique de Villepin und dem Geheimdienstler Philippe Rondot diese Listen. Villepin beauftragte Rondot mit einer Überprüfung der möglicherweise kompromittierenden Angaben.

Wusste Villepin, der wenig später Innen- und danach Premierminister wurde, damals schon, dass auch sein parteiinterner Rivale Nicolas Sarkozy auf der Liste stand? Er besteht darauf, dass er in gutem Treu und Glauben gehandelt habe. Stimmt es, dass Rondot exklusiv Villepin zu Händen von Staatspräsident Chirac Bericht erstatten sollte? Und warum wurde nicht nur Chirac, der als Staatschef Immunität genoss, von der Justiz ausgeklammert, sondern auch mindestens zwei damalige Regierungsmitglieder, Verteidigungsministerin Alliot-Marie und Wirtschaftsminister Sarkozy, die beide schon früh von der Existenz der Listen wussten?

Gergorin schickte Mitte 2004 die manipulierten Listen anonym einem Untersuchungsrichter. Wenig später wusste auch die Presse davon, doch der Skandal platzte, weil es sich herausstellte, das die Clearstream-Daten gefälscht waren. Seither verfolgten die Untersuchungsbehörden eigentlich nur eine Spur, die sich als eine ziemlich verengende Interpretation der Geschichte herausstellen sollte: Villepin habe mit seinen Komplizen Gergorin und Lahoud eine Verleumdungskampagne organisieren wollen, um Sarkozy an einer Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen zu hindern. Diese Anschuldigung konnte so auch die Anklage nicht aufrechterhalten. Damit bekam die Affäre und auch der Prozess den Stempel eines Duells Villepin-Sarkozy aufgedrückt.

Auch nach dem Prozess, der womöglich wegen Berufungen eine Fortsetzung erleben wird, wären andere Erklärungen der Affäre möglich. Etwa die, dass es zu Beginn um eine interne Abrechnung beim Luftfahrtkonzern EADS ging und dass die Intrige außer Kontrolle geriet. So wären die politischen Komplikationen nur ein Nebenschauplatz. Zudem wurden im Prozess andere Fakten bekannt, die erlauben könnten, die Geschichte der politischen Rivalität im genau umgekehrten Sinn zu erzählen. Einer der engsten Mitarbeiter Sarkozys traf sich laut Spesenabrechnungen rund ein Dutzend Mal mit Lahoud. So könnte man auch fragen, wer am meisten Nutzen aus dieser angeblichen Verschwörung gezogen hat. Sarkozy ist heute Präsident, Villepin bangt auf der Anklagebank um seine Karriere.

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