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Politik: Jörg Haider ist kein Faschist, weder im klassischen Sinn noch in postmoderner Verkleidung - er ist ein Volkstribun (Analyse)

Der Mann kennt seine Klientel. Genüsslich kitzelt er die Ressentiments hervor, jongliert mit den Vorurteilen seines Publikums wie ein Artist in der Manege, verhöhnt die vermeintlichen Gegner und in grotesken Übertreibungen erzählt er von einer Welt, die aus den Fugen geraten ist und nun die kleinen Leute unter den Trümmern eines abbruchreifen Systems zu begraben droht.

Der Mann kennt seine Klientel. Genüsslich kitzelt er die Ressentiments hervor, jongliert mit den Vorurteilen seines Publikums wie ein Artist in der Manege, verhöhnt die vermeintlichen Gegner und in grotesken Übertreibungen erzählt er von einer Welt, die aus den Fugen geraten ist und nun die kleinen Leute unter den Trümmern eines abbruchreifen Systems zu begraben droht. Wenn Jörg Haider zu den Wählern spricht, dann vereinigt er die Menge zu einer Hetzmasse, die ihm bedingungslos folgt. Er hofiert sie, und er peitscht sie voran. Er heischt um Einverständnis, und wenn die johlende Zustimmung aufbrandet, glaubt er sich am Ziel.

Jörg Haiders Weg zur Macht ist in viele kleine Etappen unterteilt, in viele kleine Siege über die eingesessene Zurückhaltung und die Bequemlichkeit einer Bevölkerung, die es verstanden hat, sich in den vorhandenen Strukturen einzurichten. Wer Haider folgt, den durchflutet ein rebellisches Wohlgefühl, als schlage er krachend mit seiner Faust auf den Tisch und die unerreichbare, unverwundbare Elite erschaure bei diesem Krach. Einer gegen das System, Österreich gegen den Rest der Welt - Haider hat dies zum politischen Prinzip erhoben und keine Zauberformel könnte im Land der Gelegenheitsrebellen, in denen Kuschen und Stänkern eine Unglücksehe eingegangen sind, eine größere Kraft besitzen.

Natürlich ist Jörg Haider kein Faschist - weder im klassischen Sinn noch in postmoderner Verkleidung. Er ist vielmehr ein Volkstribun, der nichts mehr und nichts weniger will, als dem österreichischen Nachkriegsregime den Garaus zu bereiten. Die Alternative, die er dazu anbietet, besteht allerdings weder in einem autoritären Staat noch in einer turbokapitalistischen Leistungsgesellschaft, sondern erinnert am ehesten an die merkwürdige Domäne eines Faschingsprinzen, deren Verfassung aus Frohsinn und Kalauern zusammengemixt worden ist.

Sein Lebensziel, so gestand er nun vor wenigen Tagen, habe er bereits an jenem Tag erreicht, an dem das verhasste Ancien Regime der Republik, das Machtkartell von Sozialdemokraten und Christlichsozialen, welches das Land seit 1945 beherrscht hatte, in quälenden Verhandlungskrämpfen untergegangen war. Gewiss, Haider will noch mehr: Er will die Früchte seines Sieges auch selbst verzehren. Doch dann, wenn er endlich Regierungschef sein sollte, dann wird ihm hauptsächlich daran gelegen sein, gute Figur zu machen - ein Poseur der Macht, der für die Macht selbst nur wenig Verwendung hat. Er, ein Ausgeschlossener, wollte die Machtträger nicht bloß zwingen, ihn teilhaben zu lassen, sondern er hatte sich geschworen, ihnen die Macht zu entreissen. Die Methode, die er wählte, war der Exzess, die Frontalattacke gegen alles, was sich ihm entgegenstellte. Dieses Gefühl, ein Außenseiter zu sein, war ihm in die Wiege gelegt. Aufgewachsen in einem ärmlichen, nazistischen Elternhaus - Vater und Mutter hatten es verabsäumt bei den Nachkriegsparteien unterzukriechen - wurde er groß mit der nostalgisch verklärten Erinnerung an das NS-System, in welcher die Gesinnungsveteranen in seiner Umgebung schwelgten.

Während Österreich langsam zu einem eigenständischen Nationalbewusstsein fand, erlebte Haider die Wiederaufbaujahre in einer Atmosphäre von Demütigung und ehrgeizigem Stolz. Die Mutter flößte ihm die Überzeugung ein, er sei zu Höherem berufen, gleichzeitig umgab ihn die trübe Ahnung, dass einer wie er keine Perspektive besaß. Seine gesamte politische Karriere besteht in einem Ausbruchversuch aus dieser jugendlichen Enge - sein Ziel war und ist es, für sich und seine Herkunft Zukunft zu erzwingen. Und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Auf gewisse Art ist Haider ein politischer Amokläufer, der Zuflucht nimmt zu immer neuen Fluchtverwandlungen, der Menschen wie Parolen nach Gutdünken gebraucht und beides in dem Augenblick, in dem sie ihre Schuldigkeit erfüllt haben, wieder fallen lässt.

Die Liste der Vasallen, derer er sich wieder entledigt hat, ist deshalb ebenso lang wie jene der Positionen, die schulterzuckend verriet. Vor kurzem noch gab er sich stramm deutschnational und bezeichnete die österreichische Nation als "Missgeburt"; heute spielt er den alpinen Patrioten. Gestern noch lobte er SS-Veteranen, charakterfeste Männer zu sein; morgen schon könnte er sie als alte Deppen verspotten. Für Jörg Haider ist dies eine Frage der Nützlichkeit. Gefährlich und vor allem nicht regierungsfähig ist Jörg Haider, weil er nicht berechenbar ist und vor keinem Mittel zurückschreckt, das ihm Popularität verspricht.

Haider kennt keine Scham, wenn es darum geht, an die niederen Instinkte zu appellieren, die in Österreich, wie in jeder anderen Gesellschaft auch, ein Schattendasein fristen, solange ein falscher Prophet sich ihrer nicht annimmt und sie in der politischen Arena salonfähig macht. Da zieht Haider alle Register. Der Faschist Haider wäre eine berechenbare Größe. Der Desperado Haider hingegen ist ein Sicherheitsrisiko: Ein Mann, der keine Prinzipien kennt außer seinem Rechtfertigungswahn.Der Autor ist Chefredakteur des in Wien erscheinenden Nachrichtenmagazins "Format".

Joachim Riedl

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