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Politik: Jubiläum einer Unbekannten

Seit 15 Jahren vertritt die Türkische Gemeinde Deutschland Migranten – die eigene Mitgliederzahl aber kennt sie nicht

Berlin - Sie gilt als „eine der größten“ Einwanderervertretungen in der Bundesrepublik. Tatsächlich ist die Türkische Gemeinde Deutschland (TGD) die einzige nichtreligiöse Migrantenorganisation, die bundesweit wahrgenommen wird. Sie war beim Integrationsgipfel der Kanzlerin dabei, unter der Rubrik „säkulare Migrantenselbstorganisation“ sogar bei der Islamkonferenz. 2007 machte der Verband mit einem „Gipfelboykott“ von sich reden, um gegen die Verschärfung des Zuwanderungsrechts zu protestieren. Inzwischen bekommt der Bundesvorsitzende Kenan Kolat bis zu 30 Presseanfragen am Tag, ist in TV-Nachrichten zu sehen und spricht regelmäßig für „die Türken“ oder „die Einwanderer in Deutschland“ – eine Gruppe von wahlweise drei bis 15 Millionen Menschen. Doch wer genau Obertürke Kolat ist und wie das Innenleben der Türkischen Gemeinde aussieht, darüber ist nicht viel bekannt.

Die TGD feierte am vergangenen Freitag ihren 15. Geburtstag mit einem Bundeskongress in Berlin und zeigt sich so, wie sie sich am liebsten sieht: staatstragend und überparteilich. Neben dem obligatorischen Vertreter der türkischen Botschaft gab es Reden von Integrationsstaatsministerin Maria Böhmer (CDU), SPD-Chef Sigmar Gabriel, Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, der Linken-Vorsitzenden Gesine Lötzsch und dem FDP-Innenpolitiker Hartfrid Wolff. Der Verein arbeitet hartnäckig daran, sich von seinem Ruf als „traditionell SPD-nah“ zu distanzieren. Auch wenn der nun wiedergewählte Kolat keinen Hehl aus seiner Mitgliedschaft bei den Sozialdemokraten macht, hat sich die TGD unter ihm politisch geöffnet.

Die Neuausrichtung geht vor allem auf den Generationenwechsel an der Spitze 2005 zurück. Mit Kolat steht die TGD für die Gruppe der Türkischstämmigen, die in Deutschland angekommen sind – oder zumindest ankommen wollen. Der Seeverkehrstechniker und Sozialberater ist eloquent und parkettsicher. Sein Amtsvorgänger, der Politikprofessor Hakki Keskin, hatte dagegen als beinharter Kemalist überwiegend Kritik auf sich gezogen. Seine staatstreuen türkischen Ansichten wurden als befremdlich wahrgenommen. Umstritten war vor allem seine Haltung zum Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, die heute noch auf seiner Internetseite zu finden ist: „Eine vorsätzliche Vernichtungsabsicht wurde nie bewiesen“, heißt es da.

Die TGD hat sich von ihrem Ehrenmitglied Keskin – von 2005 bis 2009 war er Bundestagsabgeordneter der Linken – zwar nie eindeutig distanziert, doch beim Jubiläumsfest verzichtete man auf eine Rede von ihm. Kein Wunder: Keskins Marschrichtung ließ immer wieder den Verdacht aufkommen, die TGD sei eine verdeckte türkische Staatslobby. Kolat wird mit diesem Vorwurf öfter konfrontiert. „Wir sind eine Lobby für Türken in Deutschland, und nicht mehr“, sagt er. Das beinhalte mitunter auch einen Dialog mit türkischen Behörden und der Regierung in Ankara.

Doch auch in der Kolat-Ära wirft das Armenien-Thema öfter einen Schatten auf die TGD. 2009 kritisierte der Bundessprecher den Brandenburger Schullehrplan, weil hier „der türkische Völkermord an Armeniern“ vorkommt. Zuvor gab es einen Eklat, als einige führende Vereinsmitglieder die „Wir entschuldigen uns“-Kampagne aus der Türkei unterzeichnet hatten, in der rund 30 000 Türken die Verleugnung der Massaker verurteilten. Nach heftigen Auseinandersetzungen betonten die „Abtrünnigen“ dann öffentlich, dass sie sich zur TGD-Erklärung von 2001 bekennen. Darin heißt es: Politische Beschlüsse, einen angeblichen „Völkermord“ an der armenischen Bevölkerung zu manifestieren, verfolgten nicht nur das Ziel, die Türkei moralisch zu verurteilen, sondern auch Schadensersatzansprüche daraus abzuleiten.

In Migrantenkreisen wird der Verein vielfach beneidet und kritisiert. Gleichzeitig sind viele Landsleute froh darüber, dass es eine so professionelle Anlaufstelle von Türken für Türken gibt. Viele finden, als Vertreter für die Belange von Einwanderern habe sich der Verband bewährt. „Der Staat kann nicht mit einzelnen Bürgern kommunizieren, daher ist es wichtig, einen Gesprächspartner für Einwanderergruppen zu haben“, sagt Ruud Koopmans vom Wissenschaftszentrum Berlin. Das Problem sei aber, dass diese Organisationen den Anspruch haben, die gesamte Gruppe, wie etwa „die Türken“, zu repräsentieren. „In der Praxis geht das natürlich nicht“, sagt Koopmans. „Organisationen wie die TGD sprechen immer nur für einen Teil der Türken.“ Deshalb sei es wichtig, dass ein Staat mehrere Ansprechpartner hat. Der niederländische Soziologe bewertet den politischen Umgang mit Minderheitenvetretungen in Deutschland positiv: „Anders als in Holland werden hier nie ganze Organisationen subventioniert, sondern nur Einzelprojekte, über die Rechenschaft abgelegt werden muss.“ Die TGD hat laut einem Organigramm im Internet sieben geförderte Großprojekte, die einen Teil ihrer Arbeit finanzieren.

Koopmans sagt, dass eine Migrantenorganisation nur dann als Sprecherin fungieren kann, wenn sie eine repräsentative Mitgliederzahl aufweist. Doch ausgerechnet darüber führt die TDG nicht Buch. Für wie viele Türken der Verein steht, weiß niemand so genau. „Wir haben bundesweit rund 300 Einzelvereine, deren Mitgliederzahlen zwischen 50 und 2000 liegen“, erklärt Kolat. Bei durchschnittlich 200 Leuten pro Mitgliedsverein wären es 60 000 Mitglieder. Das entspräche rund zwei Prozent der Türkischstämmigen.

Ferda Ataman

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