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Lebenslang gezeichnet. Die ätzende Substanz brennt sich für immer in die Haut ein. Die meisten Opfer von Säureattacken können nie wieder in ihr früheres Leben zurück, da sie gehänselt und verstoßen werden.

© REUTERS

Kambodscha: Spuren der Gewalt

Immer wieder werden in Kambodscha Menschen mit Säure attackiert. Ein Heim bei Phnom Penh versucht, den Opfern zu helfen.

Soum Bunnariths normales Leben endete nach einer durchzechten Nacht. Der Geschäftsmann war, wie so oft, am Abend mit Freunden unterwegs. In ihrer Kleinstadt im Norden Kambodschas zogen sie von Lokal zu Lokal. Irgendwann beschlossen sie, in einem Gasthaus ein Zimmer für die Nacht zu mieten.

Soums Frau lag unterdessen wach in ihrem Bett. Ihr Mann habe eine Affäre, hatten ihr die Nachbarn erzählt, mit einer Kellnerin. Die Leute reden viel, hatte sie sich immer gesagt, doch jetzt kam er schon wieder nicht heim. Um vier Uhr stand sie auf und verließ das Haus. Sie brauchte Klarheit und ging ihn suchen.

Als Soum, noch immer betrunken, am Morgen nach Hause kam, war sie nicht da. „Ich habe meine Kinder gefragt, wo ihre Mutter ist“, erinnert er sich. Wenige Minuten später stand sie vor ihm, eine Plastikflasche in der Hand. Es kam zum Streit, beide schrien sich an. Auf einmal kippte sie ihm den Flascheninhalt ins Gesicht und über den Oberkörper. „Es hat sich erst sehr heiß angefühlt, dann hat sich die Säure in meinen Körper gebrannt“, erzählt Soum. Er rannte aus dem Haus, doch nach wenigen Metern konnte er nichts mehr sehen. Verzweifelt sprang er in einen Fluss und versuchte, sich Wasser über das Gesicht zu kippen. Zwei Männer sahen ihn und brachten ihn in ein Krankenhaus.

Fünf Jahre nach dem Angriff ist dem 39-Jährigen die verheerende Wirkung der Säure noch immer deutlich anzusehen. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille, um die Narben zu verdecken, an deren Stelle einst seine Augen waren. Von seinem rechten Ohr ist nur noch ein Stumpf übrig. Tiefe dunkle Narben ziehen sich auch nach mehr als zwei Dutzend Operationen durch das Gesicht, über Arme, Hände und den ganzen Oberkörper.

Soum lebt mit rund einem Dutzend anderer in dem einzigen Heim für Säureopfer in Kambodscha. Es liegt rund 30 Kilometer von Phnom Penh entfernt in einem kleinen Dorf. Die Organisation „Cambodian Acid Survivors Charity“ (CASC) hat es vor drei Jahren eingerichtet, um den Opfern ein neues Leben zu ermöglichen.

Wie in Afghanistan, Pakistan und Bangladesch kommt es auch in Kambodscha sehr häufig zu Säureangriffen. Doch während beispielsweise in Afghanistan meist Frauen und Mädchen betroffen sind, werden in Kambodscha etwa genauso viele Männer wie Frauen Ziel dieser Angriffe.

Kambodscha ist ein traumatisiertes Land. Erst vor wenigen Jahren endete der drei Jahrzehnte währende Bürgerkrieg. Die Brutalität, der die Menschen ausgesetzt waren – etwa als die Roten Khmer Hunderttausende ermordeten – wurde nie umfassend aufgearbeitet. Daher entlädt sich die Gewalt, die sich tief in das Bewusstsein der Menschen eingegraben hat, noch heute selbst bei kleinsten Streits in Sekundenbruchteilen.

Im Erdgeschoss des zweistöckigen Hauptgebäudes der CASC stehen zehn Krankenhausbetten. Kürzlich eingelieferte Opfer von Säureattacken erholen sich hier von ihren Verletzungen. In zwei weiteren Häusern im großen Garten der Anlage leben weitere Opfer. Sie erlernen Grundwissen zum Ackerbau und zur einfachen Tierhaltung, um sich nach ihrer Entlassung selbst versorgen zu können. An ihr früheres Leben können die wenigsten anknüpfen; Freunde und Familienmitglieder verstoßen die Schwerverletzten häufig. Auch in Fabriken können sie selten arbeiten, da sie von Mitarbeitern häufig verspottet und gegängelt werden.

In der buddhistisch geprägten Gesellschaft Kambodschas ist die Vorstellung von „Karma“ allgegenwärtig. Wem etwas Schreckliches widerfährt, der muss selbst Schuld daran tragen, sonst hätte ihn das Schicksal nicht bestraft. Oft wird den Opfern unterstellt, in eine Dreiecksbeziehung verwickelt gewesen zu sein, obwohl das nur bei einem von sieben Angriffen die Ursache des Konflikts ist.

Geschäftsleute übergießen Konkurrenten mit Säure oder geben solche Angriffe in Auftrag, Nachbarn geraten in Streit und verletzen sich gegenseitig schwer. Hin und wieder kommt es sogar zu regelrechten Amokläufen, bei denen Unbeteiligte mit Säure übergossen werden. Nicht wenige Opfer nehmen sich in den Monaten nach der Tat das Leben.

„Die Gewalt wird es weiter geben, solange wir nichts dagegen unternehmen“, sagt Chhun Chenda Sophea, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Hilfsorganisation zuständig ist. „Wir haben keinen Ort, um die Wut und Unterdrückung herauszulassen.“ Zudem lebten viele Menschen von der Hand in den Mund. „Sie haben keine Zeit, um Stress abzubauen.“

„Gesichtswahrung“ und Stolz spielten in Kambodscha eine große Rolle, sagt Ziad Samman, der Projektkoordinator von CASC. Säureattacken seien eine extreme Form von Rache für den „Verlust des eigenen Gesichts“, wenn jemand im Streit öffentlich bloßgestellt worden sei. „Säureangriffe sind die effektivste Methode, jemand anderen sein Gesicht verlieren zu lassen“, sagt Samman. „Und zwar wortwörtlich: Die Opfer der Attacken haben danach kein Gesicht mehr.“

Rund 50 Attacken pro Jahr werden in dem 15-Millionen-Einwohner-Staat gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen, CASC geht von mindestens 100 aus. Angespornt werden die Täter häufig durch die Tatsache, dass der Staat nur selten entschlossen durchgreift. Polizei und Justiz gelten als ineffektiv und korrupt. Immer wieder werden vermeintliche Diebe von aufgebrachten Mobs am helllichten Tag zu Tode geprügelt – manchmal vor den Augen der Polizei. Wer sich im Kreis der Mächtigen bewegt, muss sich vor Strafverfolgung meist nicht fürchten. So soll eine Ministergattin der angeblichen Geliebten ihres Mannes vor Jahren Säure ins Gesicht geschüttet haben. Sie wurde für die Tat nie belangt.

Hinzu kommt, dass Säure problemlos und für wenige Cent zu bekommen ist. Sie wird bei der Herstellung von Kautschuk verwendet, und in entlegenen Dörfern liefern säurebetriebene Batterien den Strom für Radios und Fernseher. Der Verkauf der hochgefährlichen Substanz wird bislang vom Staat kaum kontrolliert.

Doch das könnte sich ändern. Künftig soll schwer bestraft werden, wer einen Säureangriff verübt. Ein entsprechendes Gesetz tritt vermutlich Anfang 2011 in Kraft. Samman bezweifelt jedoch, dass das Problem allein damit gelöst wird. „In Bangladesch wurde bereits 2002 ein Gesetz erlassen, um das Phänomen der Säureangriffe in den Griff zu bekommen.“ Verurteilt wurde aber noch niemand.

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