zum Hauptinhalt

Politik: Kanzler im Minutentakt: Armee und Rente, Putin und Atom: Wie Gerhard Schröder sein Pensum bewältigt

Bei genauerem Hinsehen offenbart das Kinn leichte, bläuliche Schatten, die Gesichtsfarbe könnte frischer sein, der Blick wirkt ein wenig abwesend, wenn der Kanzler ausnahmsweise schweigen darf - Politik hinterlässt ihre Spuren, zumal, wenn sie mit Nachtarbeit verbunden ist. Trotzdem hoffe er, scherzt Gerhard Schröder vor der fernsehgerechten blauen Kulisse der Bundespressekonferenz, dass man ihm die Freude ansehe.

Bei genauerem Hinsehen offenbart das Kinn leichte, bläuliche Schatten, die Gesichtsfarbe könnte frischer sein, der Blick wirkt ein wenig abwesend, wenn der Kanzler ausnahmsweise schweigen darf - Politik hinterlässt ihre Spuren, zumal, wenn sie mit Nachtarbeit verbunden ist. Trotzdem hoffe er, scherzt Gerhard Schröder vor der fernsehgerechten blauen Kulisse der Bundespressekonferenz, dass man ihm die Freude ansehe. Der Regierungschef freut sich an diesem Nachmittag über den Abschluss einer Arbeit, die er nicht erst als Bundeskanzler begonnen hat.

Um einen "Energiekonsens", samt Ausstieg aus der Atomenergie, hat er sich schon als niedersächsischer Ministerpräsident bemüht. Vergeblich. In der Stunde der Erfolgsbilanz vergisst der Kanzler nicht zu erwähnen, dass mancher Rückschlag auf diesem Weg ihm "auch von den engsten Freunden" bereitet wurde. In der Zeit der CDU-Regierung war er einmal nahe an der historischen Einigung, aber damals zu weit weg von seiner Partei, der SPD. Schröder ist nicht Kohl, aber nachtragend kann auch er sein, selbst im Stress einer Woche, die er in grandioser Untertreibung "arbeitsreich" nennt. Er fügt hinzu, dass sie am Donnerstag gegen 14 Uhr ja längst nicht zu Ende ist - innenpolitisch sind es Tage der Entscheidung, außenpolitisch Tage des Kennnlernens.

Und dazwischen immer wieder die beiden großen "R" im Leben jedes Spitzenpolitikers: Repräsentation und Routine. Mag am Dienstagnachmittag der vermeintlich entscheidende Rentengipfel mit den Spitzen der Opposition anstehen - auch in Berlin bleibt der Kanzler Niedersachse. Also führt ihn nach Pfingsten der erste Trip nach Emden, wo das Goldene Buch der Stadt und eine Konferenz mit dem Titel "Maritime Wirtschaft" warten. Gemeinsam mit dem Hannoverschen Oppositionsführer Christian Wulff fliegt Schröder dann von Hannover in die Hauptstadt. Man redet miteinander, klar, auch über die Rente, aber ein Durchbruch - so wird sich später zeigen - wird über den Wolken nicht erzielt.

Zäh ziehen sich die Gespräche im Kanzleramt hin. Erst beginnen sie zu spät, weil Schröder seine Leute noch einschwören muss. Der "eiserne Hans", Finanzminister Eichel, mag nur widerstrebend Geld für die Finanzierung der Rentenreform seines Kabinettskollegen Walter Riester herausrücken. Aber es ist auch Schröders Reform, und vor allem ist es Schröders Konsens. Er will die Einigung mit der Union, aber er will seine politischen Gegner auch in die Bredouille bringen. Deshalb zieht er irgendwann einen Zettel aus der Tasche. Auf 18 Zeilen steht da, dass er die Forderungen von CDU und CSU zur sozialen Absicherung der neuen Privatrente fast komplett erfüllt. Jetzt haben die Schwarzen Abstimmungsbedarf - und bitten nach 40 Minuten um Vertagung. Der Kanzler freut sich. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Denn irgendwo zwischendrin erfährt er, dass jenseits des Atlantiks sein liberaler Unterhändler Otto Graf Lambsdorff endlich eine Einigung in Sachen Zwangsarbeiter-Entschädigung und Klagesicherheit für deutsche Unternehmen erzielt hat. Noch ein Konsens, der auf der Kippe stand.

Weil die Rente sich hinzieht, muss eine regierungsinterne Vermittlung vom Abend auf den Morgen verschoben werden. Vor dem Kabinett um neun Uhr empfängt Schröder Kassenwart Eichel und Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der ebenso wie Riester für seine Reform, die der Bundeswehr, mehr Geld haben möchte. Pünktlich zur Sitzung hat er eine, nur Spezialisten verständliche, Grundsatzeinigung erzielt. Mittags kann Scharping sein Konzept der Öffentlichkeit vorstellen, nachdem in der Ministerrunde nicht bloß Außenminister Joschka Fischer Zweifel an seiner finanziellen Solidität geäußert hat. Über Geld wird erst in der kommenden Woche, im Rahmen des Gesamthaushaltes entschieden.

Den geplanten Besuch bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall im Südwesten muss der Kanzler sich an diesem Nachmittag schenken. Statt Repräsentation ist Routine angesagt. Beinharte Sacharbeit. Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier, sein getreuer Hausmeier schon in Hannover, reportiert den letzten Stand in Sachen Atomausstieg. Die beiden sind aufeinander eingespielt, der Kanzler ist von schneller Auffassungsgabe - anders als Gerüchte behaupten, nicht nur beim mündlichen Vortrag, sonden auch beim Studium präziser Aktenvermerke. Gegen 20 Uhr 30 beginnt dann der radioaktive High Noon. Die beiden oft eher gegen- als miteinander verhandelnden Minister Werner Müller und Jürgen Trittin kommen dazu und natürlich die Spitzen der Atomwirtschaft. Zwei Stunden später wollte, gerade zur "Tagesthemen"-Zeit, der Kanzler die Einigung verkünden. Denkste! Wieder ist es, zu etwas weiter vorgerückter Stunde, ein für ihn vorbereiteter Zettel, der den Durchbruch bringt. Kurze Auszeit der Industriellen - Pressekonferenz um ein Uhr morgens.

Wenige Stunden Schlaf später hat Kanzleramtsminister Martin Bury einen neuen Termin. "Jugend forscht" ist an diesem Morgen keine Chefsache mehr. Der Aufsteiger muss ihn vertreten. Um zehn Uhr will mit militärischen Ehren Wladimir Putin empfangen sein. Der Kanzler braucht nicht nur ein wenig Ruhe, sondern vielleicht auch ein wenig Vorbereitung durch seinen wichtigsten außenpolitischen Ratgeber, Michael Steiner. Dazu sein Wirtschaftsexperte Gretschmann. Mit Russland geht es um Krieg und Politik, aber auch um viel Geld, geliehenes und kaum zurückgezahltes. Ehe Schröder den größten Erfolg dieser Woche verkünden darf, den Atom-Konsens, muss allerdings noch Goh Chok Tong empfangen werden. Der ist Ministerpräsident von Singapur und hat außer auf militärische Ehren auch Anspruch auf den Kanzler.

Ein Glück, dass wenigstens die Atompressekonferenz kürzer währt als erwartet, da bleibt etwas mehr Zeit, sich auf innenpolitische Staatsgäste einzustellen. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer stehen wegen des Finanzausgleichs beim Kanzler auf der Matte. Weiter Glück, dass er die Materie aus der Zeit kennt, da er noch einer von ihnen war. Zwischen diesen, dem nächsten und den anderen Terminen kurze Gespräche, Blicke in hingereichte Mappen, gelegentlich ein Seufzer. Über vielleicht ausgestoßene Flüche schweigt das Umfeld. Am Abend "Heimfahrt" in die Dienstwohnung. Essen, vor allem: Reden mit Putin. Heute Ergebnisse. Dann Repräsentation am Reichstag mit Gattinnen, und dann, dann ist irgendwann auch für den Kanzler Wochenende. Wenigstens ein bisschen.

Thomas Kröter

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false