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Politik: Karaoke am Swimmingpool

TIRANA . Denada denkt jetzt oft an ihren Garten in Prizren.

Von Caroline Fetscher

TIRANA . Denada denkt jetzt oft an ihren Garten in Prizren. Alles, was ihr teuer ist, hatte sie vor ihrer Flucht am ersten Mai in diesem Garten vergraben: ihren Ehering, die Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde ihres neunjährigen Sohnes Besnik sowie ihr Diplom als Architektin. Eingewickelt in Plastikfolie und gut verschnürt - so hat sie das wertvolle Paket an dem Ort gelassen, den sie verlassen mußte.

Sie stand "auf der Liste", das weiß sie. Auf dieser Liste standen alle, die bei regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) gearbeitet haben, so wie Denada. Es ist noch nicht die Zeit, um preiszugeben, welche Organisation das war. Denn Denada fürchtet um ihre Eltern und drei Geschwister, die sich in diesem Augenblick irgendwo im Kosovo durchschlagen. "Sie dachten, daß sie entkommen würden, und ich konnte sie nicht zwingen, uns zu begleiten."

Denadas klare, dunkle Augen können sich plötzlich verschleiern, wenn sie so etwas sagt. Sie wirkt zart. Für Zorn auf das, was geschieht, fehlt ihr die Kraft. Alle Kraft braucht sie, um mit Übersetzerjobs die Tage für sich sowie ihren Mann und ihren Sohn zu finanzieren. Ihr Mann, ein Ingenieur, hat überall Arbeit gesucht und nirgends welche gefunden. So bleibt er in der Einzimmerwohnung in einem Hochhaus bei dem kleinen Besnik, während Denada mit "Internationals"-Hilfsleuten und Medienleuten umherzieht und übersetzt. Zum Beispiel im Flüchtlingslager.

"Die Leute hier, das ist . . ." Sie bricht ihren Satz ab. Sie steht im sogenannten Swimmingpool-Camp in Tirana. Das ist ein heruntergekommener Freizeitpark, um dessen leere Schwimmbecken herum sich in UN- und Militärzelten inzwischen eine kleine Gemeinde von Menschen überwiegend ländlicher Herkunft gebildet hat. "Hier könnte ich nicht leben", sagt Denada und schüttelt sich. Lieber bringt sie die 300 Mark im Monat auf - für das Zimmer mit Bad- und Küchenbenutzung im Hochhaus.

Im Swimmingpool-Camp hat sich Alltag in den Nichtalltag eingeschlichen. Es gibt ein Unicef-Zelt als Kindergarten, zwar ohne Spielsachen, aber mit Buntstiften. Ein Café verkauft Eis und Cola, was sich die meisten Flüchtlinge gar nicht leisten können. In den Zelten spielt sich das Leben auf Matratzen ab. Sie sind zugleich Betten, Sofas und Teppiche. Manche haben auf den mit Wolldecken bespannten Matratzen Zierkissen drapiert. Alte Frauen stricken, ein Kind liegt am Boden und schreibt aus einem Heftchen Buchstaben ab. In den einstigen Bürobaracken der Anlage fertigen Ärzteteams aus Albanien und dem Ausland Patienten ab. Medikamente gibt es genug. Die Latrinen am Lagerrand werden gelegentlich geputzt und gespült, mit Wasser aus gebrauchten Plastikflaschen.

Gleich neben dem Zeltlager haben griechische Helfer ein Camp aus Containern errichtet, die Luxusvariante des erzwungenen Nomadendaseins. Um Zugang zu diesem Teil des Camps zu erwirken, muß man als Flüchtling den albanischen Behörden 2000 Mark zahlen - ein offenes Geheimnis. Dafür gibt es in den grau-weißen Wohncontainern ein Privatleben - eins mit Herd und fließendem Wasser, Dusche, Kühlschrank und Ventilator. Tirana wird um diese Jahreszeit plötzlich sehr heiß. Hundert Meter außerhalb der umzäunten Lager, in einem gigantischen Hangar aus Beton, sind etwa vierzig Wohnzelte untergebracht, neben brüchiger Kanalisation und müllgefüllten Becken, die einmal zum Schwimmbad-Komplex gehörten. Der Hangar, dessen Fassade zur Hälfte aus Plastikplanen besteht, läßt ahnen, wie ein winterfestes Lager aussehen könnte.

Denada graut es. Bei Kälte oder Hitze bringt sie dort keiner rein. Ihr Junge aber soll jetzt in die Schule. Während für Albaniens Schulkinder die Sommerferien begonnen haben, die bis Oktober dauern, sollen die Schulgebäude den Flüchtlingskindern dienen. Besnik will nicht. Er vermißt seine Freunde und Lehrer in Prizren. Eine andere Schule, das paßt ihm nicht. Aber er langweilt sich. "Wir wollen ihn überreden", hofft Denada. Ungern denkt sie daran, daß sie und ihr Mann ihm versprochen haben, an seinem Geburtstag Mitte Juni wieder zu Hause zu sein. "Daraus wird wohl nichts. Das muß ich ihm diese Woche erklären." Am liebsten würde Denada manchmal all das Elend verlassen und mit einem gefälschten Visum nach Italien übersetzen. Wie Jeton.

Jeton war schon weg. Mit Edyta, seiner Frau, und den drei kleinen Kindern. Jeton aus Pristina, der so gut übersetzte. Nun hatte der Kerl all seine sauer verdienten Dollar in ein Papier investiert, wertloser als eine weggeworfene U-Bahnkarte.

Dann am nächsten Abend war Jeton wieder da. Am Hafen von Durres hatten sie nur einen Blick auf das Papier geworfen - und alles war klar. Als Jeton in der Hotelhalle steht, lächelt er verlegen. Er freut sich fast, daß er nach einem Alptraumtag mit Kindern und Gepäck, Hoffnung und Angst wieder hier ist. Es ist ihnen sogar gelungen, den Schleppern das Geld wieder abzuluchsen. Plötzlich freuen sich alle in der Halle, die seine Geschichte mitbekommen. Philip von der OSZE verspricht ihm: Wir werden in Pristina zusammen Kaffee trinken, noch dieses Jahr! Und ein Nato-Mann umarmt Jeton, auch das wirkt wie ein Versprechen.

Am Abend im Swimmingpool-Camp tritt ein Karaoke-Mann aus Manhattan auf, der durch die Lager tourt und Flüchtlingen "unforgettable evenings" verheißt. Als er mit seiner Show durch ist, greifen Kinder nach dem Mikro und singen die neuesten Heldenhits der UCK. Etwa sechzig Kinder singen begeistert mit. Sie wissen nicht, was die UCK auf einer Pressekonferenz am Morgen berichtete. Man habe Serben gesehen, die Tote ausgruben, auf Lastwagen hoben und wegfuhren. Die serbische Armee verwende Giftgas. Niemand kann diese Informationen überprüfen. Aber bald ist es möglich, hoffen alle. Bald wissen wir, was wirklich im Kosovo geschah. Dann gräbt Denada auch ihren Ehering wieder aus.

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