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Politik: Karlsruhe verbietet den Abschuss entführter Flugzeuge

Koch: Regierung zum Teil wehrlos gegen Terror - Neue Debatte um Bundeswehreinsatz im Innern

Von Frank Jansen

Berlin/Karlsruhe - Das Bundesverfassungsgericht untersagt den Abschuss eines von Terroristen gekaperten Flugzeugs durch die Luftwaffe, wenn sich an Bord der Maschine Passagiere oder auch nur Besatzungspersonal befinden. Die Richter des 1. Senats in Karlsruhe erklärten am Mittwoch in ihrem Urteil eine Kernvorschrift des neuen Luftsicherheitsgesetzes für nichtig. Unmittelbar danach entbrannte eine heftige Debatte um die Konsequenzen. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte, die Karlsruher Entscheidung mache die Bundesregierung gegen bestimmte terroristische Attacken „derzeit wehrlos“. Während Unionspolitiker auf eine Änderung des Grundgesetzes drängten, um mehr Spielräume für Bundeswehreinsätze im Innern zu geben, wird dies von SPD und Opposition weiterhin abgelehnt.

Der Vorsitzende des 1. Senats und Präsident des Gerichts, Hans-Jürgen Papier, sagte, der Paragraf 14 Absatz 3 sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. Der Bundeswehr sei bei besonders schweren Unglücksfällen nicht erlaubt, „spezifisch militärische Waffen“ zu gebrauchen. Damit fehle dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz, einen Einsatz der Streitkräfte in Notlagen gesetzlich zu regeln. Außerdem verstoße der Paragraf gegen das Grundrecht auf Leben und die Garantie der Menschenwürde, da der Staat bei einem Abschuss unschuldige Menschen in einem entführten Flugzeug töte.

Der Bundestag hatte das Luftsicherheitsgesetz im Juni 2004 beschlossen. Bundespräsident Horst Köhler machte bei der Unterzeichnung im Januar 2005 schwere verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Gegen Teile des Luftsicherheitsgesetzes hatten der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP), ein Pilot sowie fünf Anwälte Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Nach der Entscheidung sagte Baum in Karlsruhe, das Gericht habe „ein außerordentliches wichtiges Urteil zum Schutz der Menschenwürde gefällt“. Grünen- Chefin Claudia Roth sprach von einer „Klarstellung“. Der Linkspartei-Abgeordnete Wolfgang Neskovic zeigte sich „sehr glücklich“, dass Karlsruhe „dem beabsichtigten Tabubruch entschieden entgegengetreten“ sei. Innenstaatssekretär Peter Altmaier (CDU) meinte hingegen, die Bundesregierung hätte sich ein Urteil gewünscht, das Rechtssicherheit bringt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte nach einer gemeinsamen Sitzung des Innen- und Sportausschusses: „Wir sind uns einig, dass wir den Schutzzweck des Luftsicherheitsgesetzes erfüllen müssen. Das wird nicht einfach sein, aber darauf können wir nicht verzichten.“ Er wisse, dass man eine Grundgesetzänderung „nicht in ein paar Tagen“ mache.

Schäubles Vorgänger, Otto Schily (SPD) kritisierte die Entscheidung. Er sagte der „Süddeutschen Zeitung“, das Gericht habe das Gesetz nicht richtig interpretiert. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) betonte, auch im Hinblick auf die Fußball-WM biete das Verfassungsgerichtsurteil „keinen Anlass, die bewährte Aufgabenteilung zwischen Polizei und Militär in Frage zu stellen“.

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