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Politik: Kein Geld für niemand

Von Ursula Weidenfeld

Die Zahlen werden fast im Stundentakt revidiert: Nicht fünf, nein zehn, vielleicht sogar 15 oder 20 Milliarden Euro mehr als erwartet sollen sich zum Jahresende in den Kassen des Staates ansammeln. Keine Schätzung ist derzeit zu riskant, keine Erwartung zu verwegen, als dass sich nicht schöne Überlegungen daran knüpfen ließen, was man mit dem vielen Geld anfangen könnte.

Am nötigsten haben es die Familien, klar: Drei bis fünf Milliarden für die Familien und die Kindergärten, wer könnte dagegen sein? Auch die Bundeswehr darbt, ist nur noch bedingt einsatzbereit: Wie könnte man es den tapferen Soldaten verwehren, wenigstens anständig untergebracht zu werden? Und es kostet ja auch nicht viel, vielleicht eine Milliarde Euro, damit wenigstens die Kasernen wieder in Ordnung kommen. Die Wirtschaft, auch sie hat Wünsche: Nur knapp fünf Milliarden Anschubfinanzierungen wären nötig, und schon wäre die Unternehmensbesteuerung auf dem Stand der Zeit, international wettbewerbsfähig. Kann ein vernünftiger Mensch das verweigern? Natürlich müssen auch die Bürger, die Steuerzahler gefragt werden: Gebt uns das Geld einfach zurück, sagen sie. Eine bestechende Logik. Und dann sind da noch die Rentner (überfällige Anpassung der Bezüge), die Landwirte (Dürre), die Westländer (drohender Rückstand gegenüber Ostdeutschland), Berlin (Schloss).

Wer jetzt fordert, die zusätzlichen Steuereinnahmen in Schuldenabbau und Sparprogramme zu stecken, der gilt als übler Spaßverderber. Dennoch: Es wäre grundfalsch, den tagespolitischen Impulsen nachzugeben und mehr Geld auszugeben. Der Aufschwung dauert, wenn es gut geht, noch zwei oder drei Jahre. Einen Haushaltsüberschuss gibt es aber bisher nicht einmal – der gefühlte Verteilungsspielraum ist also deutlich größer als der echte. Mit dem Segen kann es zudem schnell wieder vorbei sein.

Jetzt ist die richtige Zeit, dafür zu sorgen, dass das Land dauerhaft einen besseren und erfolgreicheren Weg nimmt. Wer das will, der darf nicht erhoffte Steuereinnahmen für neue Ziele verjubeln, so berechtigt und ehrenwert diese Ziele auch sein mögen. Einen konjunkturunabhängig besseren Weg findet Deutschland nur dann, wenn es sich echten finanzpolitischen Spielraum erarbeitet. Dieser Spielraum entsteht, wenn die Schuldenlast nachhaltig sinkt und weniger Geld für Zinszahlungen aufgebracht werden muss. Der Spielraum erweitert sich, wenn auf dem Arbeitsmarkt nach und nach auch diejenigen eine Chance bekommen, die man im Allgemeinen für schwer vermittelbar hält. Denn ein Großteil der erfreulichen wirtschaftlichen Entwicklung beruht darauf, dass immer mehr frühere Arbeitslose eine Arbeit finden und von frustrierten Transfergeldempfängern zu Steuerzahlern und Konsumenten werden.

Für die Politik heißt das: Schuldenabbau und Entlastung der Sozialkassen durch eine vernünftige Neuformulierung der Eigenverantwortung und der Aufgaben der Solidargemeinschaft. Einen Anfang könnte die Politik in der Pflegeversicherung machen. Wenn jemals ernst gemeint war, dass man die Aufgaben der Allgemeinheit nicht nur den Beitragszahlern der gesetzlichen Versicherungen aufbürden wolle, sondern auch Beamten, Selbstständigen und Freiberuflern, dann muss die notwendige Reform der Pflegeversicherung der Beweis dafür werden. Das Allparteien-Mantra des vergangenen Jahrzehnts hieß: Wir müssen die Arbeit entlasten und Aufgaben aus dem allgemeinen Haushalt finanzieren. Bitte: Jetzt ist die Gelegenheit gekommen, diese zweifellos richtige Erkenntnis in die Wirklichkeit zu bringen.

Der Politik eine neue Richtung zu geben, das geht in guten Zeiten besser als in schlechten. Der Aufschwung jetzt zeigt, wie heiter es sich leben lässt, wenn es gut läuft im Land. Angela Merkel und Franz Müntefering haben es in der Hand, diesem vorübergehenden Gefühl mehr Substanz zu geben.

Sie haben es nicht nur in der Hand. Sie sind dafür verantwortlich.

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