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Politik: Kein Heimspiel für den Kanzler - die Gewerkschaftler bereiten Gerhard Schröder einen kühlen Empfang

Der Bundeskanzler fuhr gerade am Eingang zum Kongresszentrum am Hamburger Dammtor vor, als drinnen in Saal 1 ein Delegierter des IG-Metall-Gewerkschaftstages die "soziale Gerechtigkeitslücke" der Politik der Bundesregierung beklagte. Änderung forderte der Mann, und er bekam dafür kräftig Beifall.

Der Bundeskanzler fuhr gerade am Eingang zum Kongresszentrum am Hamburger Dammtor vor, als drinnen in Saal 1 ein Delegierter des IG-Metall-Gewerkschaftstages die "soziale Gerechtigkeitslücke" der Politik der Bundesregierung beklagte. Änderung forderte der Mann, und er bekam dafür kräftig Beifall. "Wir hoffen, dass wir gleich von Gerhard Schröder etwas Konkretes dazu hören", sagte er. "Sollte das nicht der Fall sein, sehe ich düstere Wolken auf diese Regierung zukommen." Kurz danach zischen die ersten Pfiffe, gibt es die ersten Buhrufe. Begleitet von IG-Metall-Chef Klaus Zwickel betritt der Kanzler den Saal. Angespannt geht er durch die Reihen der Delegierten zu seinem Platz in der ersten Reihe. Kaum eine Hand hebt sich zum Beifall. Schröder, ohnehin geschwächt durch eine Grippe, leidet sichtbar unter der Ablehnung. Trotzig schiebt er den Unterkiefer vor. Vorbei die Zeiten, in denen ein Sozialdemokrat auf einem Gewerkschaftskongress automatisch ein Heimspiel hatte.

Trotz seiner Erkrankung ist der Kanzler nach Hamburg gekommen, um vor den knapp 600 Delegierten der IG Metall zu sprechen. Er will seine Politik gegen den Vorwurf der sozialen Schieflage verteidigen. "Das verstehe ich nicht", ruft er in das abweisende Schweigen des Saales, "wenn ich zwei Milliarden Mark in die Hand nehme und etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit tue, wie kann man dann pfui rufen? Das verstehe ich nicht." Sein Blick zeigt, dass er es wirklich nicht versteht. Fast flehentlich beugt Schröder den Oberkörper vor. Warum klatscht denn niemand Beifall? Für den Kanzler war es sicher einer der schwersten Auftritte seiner Amtszeit.

Dann trägt er das vor, was einst Oskar Lafontaine - damals noch SPD-Chef - als Leistungsbilanz der ersten hundert Tage der rot-grünen Koalition vorgetragen hatte. Versprochen, gehalten: Die Lohnfortzahlung für Kranke wieder eingeführt, den Kündigungsschutz wieder verschärft, Kindergeld erhöht, Arbeitnehmer steuerlich entlastet. "Es waren eure Forderungen. Wir haben sie akzeptiert. Und nicht nur das. Wir haben sie ins Gesetzblatt gebracht", sagt der Kanzler. Und das alles in nicht einmal zwölf Monaten. Schröder kämpft um die Zustimmung der Gewerkschaften zu seinem Kurs. "Das ist ein Erfolg", ruft er in die anhaltenden Buhrufe hinein. Seine Stimme droht wegzubrechen, überschlägt sich fast. Er schlägt mit der Faust auf das Pult. Und plötzlich, nach zwanzig, dreißig Minuten schafft es der Kanzler. Die Delegierten hören ihm zu. "Wir sparen doch nicht, weil Sparen für uns Selbstzweck wäre", sagt er. Dann folgen die Zahlen, die auch Finanzminister Hans Eichel in jeder Rede wiederholt. 1,5 Billionen Mark Schulden, 82 Milliarden Mark des Bundeshaushaltes Jahr für Jahr nur für Zinsen. "Wenn ich nur die Hälfte davon hätte", meint der Kanzler und faltet die Hände. Wie viele berechtigte Wünsche ließen sich dann erfüllen. Will der Staat seine Handlungsfähigkeit zurückgewinnen, müsse gespart werden, sagt Schröder "es gibt da keine Alternative." Beifall gibt es auch nicht, aber auch keine Buhrufe mehr.

Der Kanzler spürt, dass die Stimmung etwas zu seinen Gunsten kippt. "Liebe Genossinnen, liebe...", hebt er an. Zögert. Er ist ja hier nicht bei der SPD. "Entschuldigung", meint er lächelnd. "Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen." Kräftiger Beifall ist der Lohn. Und die von der IG Metall vehement geforderte Rente mir 60? "Ich halte den Ansatz für richtig", sagt Schröder. Lebhafter Beifall. Aber einen Freibrief gibt er nicht. So wichtig die Forderung im Grundsatz auch sei, er könne jetzt nichts machen, was nicht finanzierbar ist. Um 0,4 Punkte würden die Beiträge zur Rentenversicherung steigen, würde man die Pläne der IG Metall jetzt umsetzen. Das will der Kanzler nicht. Das war die Absage. "Mir geht es nur darum, jetzt nichts anzukündigen, was ich nicht halten kann", sagt er mit leiser Stimme, den Kopf nachdenklich gesenkt. Da ist er wieder, der neue, der verantwortungsbewusste ernsthafte Gerhard Schröder. Vereinzelt bekommt er hier sogar Beifall dafür.

Am Ende überwiegt bei vielen Delegierten die Kritik. "Nichts Neues ", meint eine Gewerkschafterin. "Schröder habe in dem einen oder anderen Punkt ja Recht. Aber in Gänze?" So bleibt das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften auch nach dieser Kanzlerrede wohl so, wie Klaus Zwickel es kurz zuvor beschrieben hatte: "Sachlich, gespannt, interessant" und - trotz allem - "unterstützenswert".

Carsten Germis

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