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Fordert die Regierung auf, schneller gegen die Krise im Gesundheitssystem vorzugehen: die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann.

© REUTERS/LIESA JOHANNSSEN

Exklusiv

Keine Fortschritte im „Herbst der Reformen“: So wollen die Grünen die Krise im Gesundheitswesen lösen

Die Bundesregierung findet keine Antwort auf das Finanzloch bei Kranken- und Pflegeversicherung. Nun schlagen die Grünen fünf Sofortmaßnahmen vor, um Beitragssteigerungen zu verhindern.

Stand:

Seit Monaten tut sich die Bundesregierung schwer, eine Antwort auf die finanzielle Schieflage im Pflege- und Gesundheitssystem zu geben. Nach aktuellen Schätzungen beläuft sich das Defizit bei der Gesetzlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr auf vier Milliarden Euro, der Pflegeversicherung fehlen zwei Milliarden Euro.

Die schwarz-rote Koalition will die Sozialbeiträge dennoch stabil halten. Wie das gelingen soll, kann Gesundheitsministerin Nina Warken allerdings nicht sagen. Da es in der Koalition dazu keine Einigkeit gibt, bleibt der CDU-Politikerin nichts anderes übrig, als auf die kommenden Ergebnisse zweier Reformkommissionen zu verweisen.

Das politische Vakuum will die Grünen-Fraktion im Bundestag nun mit einem eigenen Vorschlag füllen. „Deutschland braucht Sozialreformen, aber keinen Sozialabbau“, sagt die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann dem Tagesspiegel.

Grüne fordern mehr Steuergeld

Die jüngsten Pläne um Einschnitte beim Pflegegrad 1 verunsicherten Betroffene, statt für Verbesserung zu sorgen, kritisiert sie. Stattdessen solle die Bundesregierung „versicherungsfremde Leistungen aus Steuern finanzieren, die pandemiebedingten Milliarden an Pflege- und Krankenkassen zurückführen und Krankenhaus- wie Notfallreform zügig umsetzen“, fordert die Grünenpolitikerin.

Deutschland braucht Sozialreformen, aber keinen Sozialabbau.

Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen

Haßelmann hat dazu zusammen mit ihrer Stellvertreterin, Misbah Khan, und den Gesundheits- und Pflegepolitikern Janosch Dahmen, Linda Heitmann und Simone Fischer ein Fünf-Punkte-Papier mit Sofortmaßnahmen verfasst. Es liegt dem Tagesspiegel exklusiv vor.

Die Grünen schlagen darin vor, die Kranken- und Pflegekassen mit Steuermitteln zu stabilisieren. Mit diesen Geldern sollen die sogenannten versicherungsfremden Leistungen übernehmen werden.

Derzeit finanzieren die Beitragszahler die Gesundheitsversorgung von Bürgergeld-Empfängern mit. Das kostet sie inzwischen rund zehn Milliarden Euro im Jahr. Mit Mitteln der Sozialen Pflegeversicherung erhalten Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, Rentenpunkte. 2023 kostete das die Beitragszahler 3,7 Milliarden Euro. Zudem hat die Pflegeversicherung bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie Kosten in Höhe von rund sechs Milliarden Euro für die Allgemeinheit vorgestreckt. Hier fordern die Grünen eine Rückzahlung.

„Die gesetzliche Krankenversicherung darf nicht länger als eine Art Schattenhaushalt für die Sozial- und Gesundheitspolitik herhalten“, schreiben Haßelmann und ihre Fraktionskollegen. Mit einer Steuerfinanzierung würden diese Kosten gerecht verteilt.

Strukturreformen sollen Beitragssteigerungen verhindern

Dass der Staat die Kosten für die sogenannten versicherungsfremden Leistungen übernimmt, fordern auch die Krankenkassen schon lange. Bislang ist dazu Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) jedoch nicht bereit. Nach Ansicht von Experten könnten damit Beitragssteigerungen vorerst verhindert werden. Der Gesetzgeber würde so Zeit gewinnen, damit Strukturreformen wirken können.

Es ist mehr als bezeichnend, dass Union und SPD ausgerechnet im groß angekündigten ‚Herbst der Reformen‘ die Krankenhausreform wieder zurückdrehen wollen.

Misbah Khan, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen

Solche Reformen fordern auch die Grünen von der Bundesregierung ein. Sie wollen die Krankenhausreform wie von der Ampel beschlossen umsetzen.

Dabei soll die Behandlung komplizierter Krankheiten in spezialisierten Zentren konzentriert werden, viele kleinere Land- und Stadtteilkrankenhäuser könnten schließen. Gesundheitsministerin Warken will jedoch kommende Woche einen Gesetzentwurf ins Kabinett einbringen, mit dem die Qualitätskriterien für die Klinken aufgeweicht werden sollen.

„Es ist mehr als bezeichnend, dass Union und SPD ausgerechnet im groß angekündigten ‚Herbst der Reformen‘ die einzige große Reform im Gesundheitswesen der letzten Jahre, die Krankenhausreform, wieder zurückdrehen wollen“, kritisiert Misbah Khan. Dabei gebe es mehr als genug strukturelle Reformansätze, die ohne Leistungskürzungen auskämen.

Konkret schlagen die Grünen unter anderen eine Reform der Notfall-Versorgung vor, damit weniger Patienten mit leichten Beschwerden in den Notfall-Aufnahmen der Krankenhäuser landen und stationär behandelt werden. Außerdem sollen Hausärzte zur ersten Anlaufstelle für Patienten werden. Zudem wollen die Grünen die Kosten für neuartige Arzneimittel durch eine stärkere Regulierung der Preise begrenzen.

Eine Notfallreform und die Einführung eines Primärarztsystems plant auch die schwarz-rote Koalition. Bis sie zu einer finanziellen Entlastung des Gesundheitssystems führen, wird es allerdings etwas dauern.

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