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Politik: Keine Quoten für die Noten

Von Kai Müller

Noch nie war deutsche Popmusik so erfolgreich wie heute. Zumindest in Deutschland. Diese Woche haben es sieben deutschsprachige Langspielplatten in die Top Ten geschafft. Obwohl das nur eine Momentaufnahme ist – in der nächsten Woche kann bereits alles wieder ganz anders sein –, erleben deutsche Produktionen derzeit einen Boom. Ist das Gejammer von Musikindustrie und Popmusikern, die heute bei einer Bundestagsanhörung eine Radioquote fordern, also nur larmoyantes Depressionsgeschwätz?

Nicht ganz. Die Musikindustrie steckt in ihrer schwersten Krise seit Erfindung des Plattenspielers. Nach 1997, als die Branche 2,6 Milliarden Euro umsetzte, hat sie Umsatzrückgänge von bis zu 20 Prozent hinnehmen müssen – und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Drastischer Personalabbau, Reduzierung des Künstlerrepertoires und der Pakt mit spektakulären, aber kurzlebigen Fernsehformaten wie „Deutschland sucht den Superstar“ und „Popstars“ sind die Folge. Doch den Anschluss an die neuen Technologien haben die Unterhaltungskonzerne verpasst. Es musste erst der Computerhersteller Apple kommen, um der Musikbranche mit der Erfindung des IpodSystems einen effektiven Internetzugang zu eröffnen und nebenbei ein neues Tonträgermedium zu entwickeln.

Haben sich die Labelmanager zu lange mit dem Falschen beschäftigt? Zu lange über einen Umzug nach Berlin nachgedacht? Jetzt, da sie da sind und opulente Firmensitze bezogen haben, leben sie hier ausgerechnet ihre Krise aus. Daran wird die Popkomm, die wichtigste Musikmesse der Welt, vermutlich auch nichts ändern. Nach 14 Kölner Jahren beginnt sie heute erstmals in der Hauptstadt. Sie soll ein Aufbruchsignal senden. Und in einer Branche, die wie kaum eine andere von Stimmungen abhängig ist, könnte ein bloßer Ortswechsel tatsächlich stimulierend wirken. Denn wie sang die Kölner Punkband Angelika Express so treffend: „Geh doch nach Berlin, wohin deine Freunde ziehen.“

Die Popkomm wurde 1989 vom Chef des Musiksenders Viva, Dieter Gorny, ins Leben gerufen, um den deutschen Unterhaltungsmarkt zu stärken und um Popkultur als Wirtschaftsfaktor im Bewusstsein zu verankern. Ein Konzept lag dem Ganzen nie zu Grunde, aber das enorme Wachstum der Plattenindustrie nach Einführung der CD machte den Branchentreff zum Selbstläufer. Es war egal, wie hoch Spesenrechnungen ausfielen. Hauptsache, der Spaß ging nicht verloren.

Auch heute wird man kaum etwas zu spüren bekommen von den Richtungskämpfen, die hinter den Kulissen der Branchenriesen toben. Dort nämlich ist man sich keineswegs einig, ob die Global Player ihre Investitionen in neue, unbekannte und regionale Künstler zurückfahren sollten. Oder im Gegenteil den Nachwuchs noch mehr fördern. Denn es sind hier zu Lande deutsche Künstler, die neues Geld in den Markt spülen. Ein Beispiel: Xavier Naidoo. Dessen zum Teil deutschsprachiger Soul-Pop zeugt nicht nur von hoher Professionalität. Er erreicht auch Jugendliche, die sich vom amerikanischen Original niemals angesprochen gefühlt hätten.

Trotzdem macht sich Naidoo jetzt mit 500 weiteren Unterzeichnern für eine Radioquote stark, weil die deutsche Musikszene im öffentlich-rechtlichen Rundfunk „kaum noch vorkommt“. Eine gesetzliche Regelung soll die Sender an ihren „Kulturauftrag“ binden – der umfasse auch eine Informationspflicht über Neuerscheinungen. Dass aber eine Zugangsbeschränkung für ausländische Künstler geeignet sein soll, die Qualität und Vielfalt im Äther zu erhöhen, ist zweifelhaft. Und was heißt eigentlich deutsch? Dürfte eine türkische Rap-Gruppe aus Berlin-Neukölln, die in ihrer Muttersprache singt und deshalb am Bosporus bekannter ist als an der Spree, benachteiligt werden?

Es gab in Deutschland schon einmal Quotenregelungen, zuletzt beim Rundfunk der DDR. Dort folgte auf einen ausländischen Schlager einer aus der eigenen Produktion. Wir wissen, dass solche Zwangsmaßnahmen am Ohr der Menschen vorbeigehen.

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