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Politik: Keine Zeit für Eitelkeit

Als neuer EU-Ratspräsident muss Irland bei der Verfassung vermitteln

Der irische Europaminister, Dick Roche, hätte sich einen anderen Auftakt zur EU-Präsidentschaft seines Landes gewünscht. „Wir haben alle fieberhaft für den Erfolg der italienischen Präsidentschaft gebetet.“ Jetzt werden die Iren nach Anzeichen für einen Konsens suchen, um die geplatzten Verhandlungen über die europäische Verfassung weiterzubringen. Irlands Ministerpräsident Bertie Ahern rechnet allerdings nicht damit, dass Fortschritte auf diesem Gebiet schnell erreicht werden könnten: „Wir brauchen erst einmal Zeit zum Nachdenken“, sagte er der BBC. Beobachter vermuten zudem, dass die Wahlen zum Europaparlament im Juni jeden Willen zum Einlenken fürs Erste lähmen.

Irlands Diplomatie hat einen guten Ruf: Sie gilt als subtil und uneigennützig. „Man bringt uns mehr Respekt entgegen, als das bei einem Kleinstaat zu erwarten wäre“, sagt Garret FitzGerald, Irlands großer Europäer, der 1975 als Außenminister erstmals den Vorsitz im Ministerrat übernommen hatte. Dabei hilft es, dass die Iren kaum eigene Steckenpferde verfolgen. Nur gegen die Steuerharmonisierung wehren sie sich vehement.

Der Höhepunkt des irischen Halbjahres steht schon fest: Am 1. Mai findet in Dublin die Beitrittszeremonie für zehn neue EU-Mitglieder statt. Viele von ihnen machen keinen Hehl daraus, dass Irland für sie Modellcharakter hat. Die einstige britische Kolonie hatte sich schließlich dank der europäischen Integration aus dem Schatten der großen Nachbarin herauslösen können. Irlands Verfassung schreibt vor, dass Reformen bei den EU-Verträgen in einer Volksabstimmung gebilligt werden müssen. Das verleiht irischen Politikern bei den Verhandlungen etwas mehr Bodenhaftung, zumal seit dem Debakel im Jahre 2001, als die Bürger den Vertrag von Nizza ablehnten. Außenminister Brian Cowen räumt ein, dass sich das irische Verhältnis zu Europa dadurch verändert hat: „Es kann nicht mehr unterstellt werden, dass die EU in den Augen unserer Bürger immer Recht hat.“ So will die irische Präsidentschaft versuchen, europaweit mehr Bürgernähe herzustellen.

Politiker aller Parteien sind sich einig, dass der Kleinstaat seinen Einfluss steigert, wenn die Souveränität mit anderen geteilt wird. Eine Spaltung der EU ist nicht im Interesse Irlands. Minister Roche wird deutlich: „Das Europa der zwei Geschwindigkeiten ist keine ernsthafte Option und widerspricht dem ursprünglichen Traum.“

Martin Alioth[Dublin]

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