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Politik: Konvention der Kulturen

Von Werner van Bebber

Ein Lastwagenfahrer bekommt den Auftrag, eine Ladung Bier zu transportieren. Der Mann ist strenggläubiger Muslim. Er lehnt den Job ab und verlangt mit Hinweis auf seinen Glauben von seinem Arbeitgeber einen anderen Auftrag. Der wirft ihn hinaus; so geschehen in Tennessee. Jetzt hat der Muslim seinen Arbeitgeber wegen religiöser Diskriminierung verklagt.

Überall in der westlichen Welt müssen Konventionen neu getroffen werden. Der glaubensstrenge muslimische Lastwagenfahrer, der in seiner die Gerichte bemühenden Streitlust so gut zu Amerika zu passen scheint, erinnert an die kopftuchtragende Lehrerin Fereshta Ludin, der die Kopftuchfrage so viel wichtiger ist als ihr Beruf. Für den Streit um die Konventionen von morgen stehen in Deutschland der Streit ums Kopftuch – und in vielen Städten die Auseinandersetzung um Moscheen: Dürfen sie gebaut werden? Wie groß und wie hoch sollen sie werden? Es sind Streitfragen, in denen es nicht um religiöse Symbole geht, sondern um das Selbstverständnis der Gesellschaft. Deswegen fühlt sich fast jeder davon angesprochen, deshalb hat fast jeder eine Meinung dazu.

Ein Konsens ist nicht erkennbar. Radikale Ablehnung, munitioniert von Kulturkampfgedanken, äußert sich ebenso wie eine Laissez-faire-Gesinnung aus dem Glauben, eine multikulturelle Gesellschaft werde so freundlich und nett funktionieren wie der Berliner Karneval der Kulturen. Es geht nicht allein um Glaubensfragen. Es geht wieder um die Frage, wie weit Religion in den Alltag hineinwirken darf und soll. In der Bundesrepublik sah man dies lange als Privatsache an. Das war Konsens, während zwei große christliche Glaubensgemeinschaften nebeneinander lebten; die deutschen Juden teilten den Konsens. Jetzt verschafft sich mit dem Islam eine Konfession Geltung, deren Verständnis von Liberalität und Toleranz mit dem westlichen Wertesystem kollidiert.

Daraus entstehen starke Gegensätze. Das verwundert nicht in einem Land, das in drei Jahrzehnten zum Einwanderungsland wurde, während seine Politiker und seine Bürger darüber stritten, ob man „Einwanderungsland“ sagen darf oder nicht. Wie viel notwendige Bewegung in die Debatte über das Einwanderungsland Deutschland gekommen ist, hat sich im Streit um das Zuwanderungsgesetz gezeigt. Es hätte nicht geschadet, wenn dieser Streit offener und für das Publikum verständlicher geführt worden wäre: nicht als Auseinandersetzung von Fachleuten, die in kleinsten Kreisen über Duldung, die Integrationskosten und den Sinn von Punktesystemen verhandeln, sondern als Streit um die Chancen der Einwanderer und über Pflichten, die ihnen auferlegt werden sollten.

Immerhin sind die Deutschen in der Gegenwart angekommen: Sie sehen, dass ihre Vorstellungen von Liberalität manchem Zuwanderer viel zu weit gehen. Neuer Streit wird notwendigerweise über die Frage entstehen, wie gut Einwanderer deutsch sprechen sollen. Womöglich werden sich Gerichte mit der Frage zu befassen haben, ob einer kurdischen Mutter ein islamischer Kindergartenplatz bezahlt werden muss, während sie den die Integration fördernden Deutschkurs absolviert. Es wird der Einwanderungsgesellschaft nicht schaden, dass sie auf dem Rechtsweg entsteht. Von oben herab kann man sie nicht ordnen – nicht im Westen.

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